Ministerialität und Zeugenlisten: Das sind die wichtigsten Stichworte für die Arbeit von Fabian Schmitt, einer an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn bei Andrea Stieldorf entstandenen Dissertation. Schon lange beschäftigt sich die historische Forschung mit Ministerialen und Ministerialität als einem politischen und gesellschaftlichen Phänomen, das im hohen Mittelalter im Umfeld fast jeden Herrschers im Reich und ebenso an bedeutenden Stiften und Klöstern auftrat. Dabei haben auch die Ministerialen des Kölner Erzstiftes die Aufmerksamkeit der Mediävistik wie der Landesgeschichte auf sich gelenkt, wobei es erstaunlich ist, dass bis heute keine umfassende, systematische Gesamtdarstellung zur Kölner Ministerialität vorliegt. Diesem Mangel hat Schmitt nunmehr Abhilfe geschaffen, indem er sich zum Ziel setzte, für den Untersuchungszeitraum von etwa 1056 (Amtsantritt Erzbischofs Anno II.) bis 1261 (Tod Erzbischofs Konrad von Hochstaden) die in den Quellen genannten Ministerialen zusammenzustellen, dabei „alle Aspekte des Phänomens Ministerialität zu erfassen“ (S. 328) und die Ministerialen unterschiedlichen Lebensbereichen zuzuordnen. Dazu gehören auch die Fragen nach sozialer Mobilität (Aufstiegs- und Abstiegsmöglichkeiten) sowie nach einem abgeschlossenen und festgefügten rechtlichen Status der Ministerialen.
Das zweite Stichwort „Zeugenlisten“ verweist auf den methodischen Angang der Untersuchung: Schmitt wertet für den Untersuchungszeitraum die Zeugenlisten der von den Kölner Erzbischöfen ausgestellten Urkunden aus, bilden doch die Angaben von Zeugen bis weit ins 13. Jahrhundert ein wichtiges Beglaubigungsmittel. Dies ist eine für die Erforschung mittelalterlicher Höfe nicht nur auf Reichsebene probate Methode, die auch hier mit Gewinn angewendet wird. So kommt ein mehr als 40 Seiten umfassender prosopographischer Katalog mit Angaben zu 45 Ministerialen vom ausgehenden 11. bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts zusammen, der die Grundlage für die Beantwortung der aufgeworfenen Fragestellungen darstellt und auf den auch künftige Forschungen immer wieder zurückgreifen dürften. Souverän geht Schmitt mit den Fallstricken um, die diese Zeugenlisten mit sich bringen wie etwa der Umstand, dass die möglichen oder wahrscheinlichen Ministerialen nicht immer eindeutig als solche benannt werden. Indem die nicht sicher belegten Ministerialen und diejenigen, die weniger als fünfmal erwähnt sind, von vornherein in dem Katalog nicht berücksichtigt sind, führen die Auswertungen zu gut belegten und belastbaren Ergebnissen. Allerdings gilt dadurch auch die Feststellung, dass „in dieser Arbeit nur Aussagen zur oberen sozialen Schicht der Ministerialen“ (S. 32) gemacht werden können, in noch höherem Maße, als es das Quellenmaterial ohnehin nur zulässt. Die oft sehr vorsichtigen Schlussfolgerungen und Wertungen Schmitts ziehen sich auch sonst durch die gesamte Arbeit. Das muss allerdings nicht als Kritikpunkt verstanden werden, sondern zeigt die Solidität der Ergebnisse. Mit der Quellenbasis hängt es zudem zusammen, dass sich auch nicht annähernd Aussagen machen lassen, wie viele Kölner Ministeriale es überhaupt gegeben hat. Ebenso sind historische Netzwerkanalysen nicht möglich, wozu die Quellenmassen erst ab dem späten Mittelalter einladen. Dass Schmitt sich aus arbeitsökonomischen Gründen auf die erzbischöflichen Urkunden und hierbei auf die Zeugenlisten beschränkt, wird man akzeptieren, drohte sonst die Untersuchung doch aus den Fugen zu geraten. Allerdings wären wenigstens einige Seitenblicke oder Beispiele hilfreich, ob und wie ergiebig (oder auch nicht) weitere Überlieferungen wie Urkunden anderer Aussteller, die Kölner Schreinsbücher bzw. -karten oder erzählende Quellen (z. B. die Werke von Caesarius von Heisterbach) für das Thema der Kölner Ministerialität sind. Auch eine Verknüpfung der Urkundeninhalte mit den Zeugenlisten findet nur am Rande statt.
Einem einleitenden Kapitel, in dem diese und andere Grundlagen gelegt werden, folgen in stringenter Gliederung weitere 10 Kapitel der Darstellung. Dabei erläutert Schmitt zunächst die Entstehung und Entwicklung der Kölner Ministerialität, beginnend mit der ersten Nennung von ministeriales (1061) in einer Urkunde von Erzbischof Anno II., und nimmt eine terminologische Abgrenzung zu den Begriffen servientes, minister und miles, aber auch zu den adeligen Vasallen vor. Als Gründe für die Entstehung der Ministerialität werden „das Bevölkerungswachstum im Hochmittelalter, die Auflösung der Villikationsverfassung, der Landesausbau und der immer schwerer zu kontrollierende Adel“ (S. 72) herausgearbeitet. Ein nächstes Kapitel beschäftigt sich mit dem längeren und dem kürzeren Kölner Dienstrecht (um 1170) sowie dem Kölner Hofdienst, also drei Rechtstexten, in denen Rechte und Pflichten der Ministerialen benannt werden. Exemplarisch geht es sodann um die beiden erzstiftischen Ministerialenfamilien von Eppendorf und von Bachem, Inhaber der Kölner Stadtvogtei bzw. des Kämmereramtes am Hof des Erzstiftes. Wie auch in anderen Abschnitten wird deutlich, dass der Kölner Stadtvogt das bedeutendste von Ministerialen ausgeübte Amt war und ihm eine herausgehobene Stellung zukam.
Sechs weitere Kapitel behandeln nach dem Schema „Ministeriale + X“ bestimmte Lebensbereiche, Funktionen und Regionen: Ministeriale in der Grundherrschaft, am Hof des Erzbischofs, in der Stadt Köln, auf Burgen, im kölnischen Westfalen sowie in Städten des Erzstiftes. Das letzte Kapitel vor einem abschließenden Fazit gibt einen Ausblick ins 13. Jahrhundert, in dem der Terminus ministeriales nach und nach aus den Quellen verschwindet.
In vielerlei Hinsicht kann Fabian Schmitt für die Kölner Ministerialität Erkenntnisse nachvollziehen und bestätigen, die auch in anderen Regionen oder auf Reichsebene zur Ministerialität gewonnen wurden: So spielten Ministerialen ein wichtige Rolle bei der politischen Entscheidungsfindung im Konsens, ferner bei der Abwesenheit des Erzbischofs oder bei Sedisvakanz, wodurch sie einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung eines transpersonalen Herrschaftsverständnisses leisteten und neben dem Adel und der Geistlichkeit (Priorenkolleg) die dritte Säule der erzbischöflichen Herrschaft waren. Für das 13. Jahrhundert lässt sich feststellen, dass „ein genereller Aufstieg aus der Ministerialität ins Rittertum nicht stattgefunden hat“ (S. 327), wie überhaupt Aufstiege aus niedrigeren Schichten in die Ministerialität kaum belegbar sind. Dies ist nicht ausschließlich einer unzureichenden Quellenlage geschuldet und insofern kein bloßes „argumentum e silentio“, waren doch oftmals „für einen […] Eintritt in die Ministerialität Voraussetzungen nötig […], die nur ein schon vorhandener, gehobener sozialer Rang mit sich bringen konnte“ (S. 327). Das Verschwinden der Ministerialität bis nach der Mitte des 13. Jahrhunderts ist u. a. dem Umstand zu verdanken, dass Ministeriale mehr und mehr Funktionen im Rahmen der allmählich sich herausbildenden Ämterverfassung übernahmen. So wurden mancherlei ministeriales zu officiati, was nicht zuletzt mit der zunehmenden Disfunktionalität des adeligen Lehnshofes als Stütze für die erzbischöfliche Landesherrschaft zusammenhing.
Die wichtigsten Ergebnisse erzielt Schmitt allerdings für den Bereich der erzbischöflichen Ministerialen in der Stadt Köln, indem er entgegen der älteren Forschung zu dem nachdrücklichen Schluss kommt, dass die Bedeutung der Ministerialen für die sich im Laufe des 12. Jahrhunderts herausbildende bürgerliche Gemeinde eher gering ist. So sind etwa keine Ministeriale als Amtmänner in den Parochien nachweisbar. Auch wenn die erzbischöflichen Zöllner Gerhard Unmaze und Karl von der Salzgasse in der 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts ebenso als Ministeriale belegt werden können wie recht viele Mitglieder des Schöffenkollegs und der Richerzeche, war doch der Status als Ministeriale oft lediglich ein zeitweiser oder ein Merkmal bzw. eine Tätigkeit unter vielen anderen. Wünschenswert wäre ein weiterer Seitenblick auf die Ministerialität anderer Herren und insbesondere der Stifte und Klöster: Gab es personelle und/oder temporäre Überschneidungen und wenn ja in welchem Maße?
Abgerundet wird die Arbeit durch einige Tabellen, Diagramme und Karten, die sich aus der Auswertung des Katalogs der Ministerialen ergeben, sowie durch ein knappes, leider unvollständiges Personenregister. Auch ein Ortsregister wäre hilfreich gewesen. Allerdings sind diese kleineren Monita in Bezug zu setzen zu der Gesamtleistung von Fabian Schmitt, der eine grundsolide, systematische Studie zur Ministerialität des Kölner Erzstiftes vorgelegt hat, die nicht zuletzt auch Anregungen für weitere Forschungen geben kann.