W. M. Ormrod: Women and Parliament in Later Medieval England

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Title
Women and Parliament in Later Medieval England.


Author(s)
Ormrod, William Mark
Series
The New Middle Ages
Published
Basingstoke 2020: Palgrave Macmillan
Extent
148 S.
Price
€ 51,99
Reviewed for H-Soz-Kult by
Anne Foerster, Historisches Institut, Universität Paderborn

Die Feierlichkeiten zum 100. Jahrestag des Representation of the People Act, der 1918 einigen Frauen ein Stimmrecht bei den Wahlen zum Britischen Parlament gewährte, boten William Mark Ormrod († 2020), einem der besten Kenner der englischen Verwaltungsgeschichte, Anlass, nach der Rolle von Frauen in der Geschichte des spätmittelalterlichen Parlaments zu fragen. Für die Studie, die wenige Wochen vor seinem Tod erschien, stellt er die Parliament Rolls, die offiziellen Aufzeichnungen über die Verfahren, die die Beschlüsse der Sitzungen zusammenfassen, in den Mittelpunkt. Ergänzt werden diese durch einzelne Petitionen von Frauen sowie in einigen Fällen durch nicht offizielle Erzählungen über Ereignisse während der Sitzungsperioden der Parlamente.

Die Studie verfolgt drei Ziele: erstens will sie einen Beitrag zur Erforschung der Teilhabe von Frauen am politischen Leben des Mittelalters leisten. Das zweite Ziel ist es, Petitionen im Parlament als Egodokumente nutzbar zu machen. Drittens soll sie an die feministische Geschichtsschreibung anschließen, indem sie die bereits von der Forschung in vielen Bereichen revidierte Vorstellung einer öffentlich-privaten Binarität und den Niedergang der Macht von Frauen im Spätmittelalter nun auch in der Männerdomäne Parlament kritisch hinterfragt.

Das erste Kapitel bietet einen kurzen Abriss der Geschichte des englischen Parlaments. Die folgenden Kapitel gliedern sich teils nach dem gesellschaftlichen Status der Petentinnen, teils nach deren Anliegen. So fokussiert Kapitel 2 Königinnen und diejenigen der adligen Damen, deren Ehegatten zum Parlament einberufen wurden, Kapitel 3 Frauen der Gentry und Kapitel 5 Institutionen von und mit Frauen. Die zur Entscheidung gebrachten Angelegenheiten sind einerseits Fälle, in denen Frauen selbst vor Gericht standen (4), andererseits Problemfälle im Zusammenhang mit dem Wittum (6) sowie Verhandlungen wegen Vergewaltigungen und Frauenraub (7). Kapitel 8 nimmt mit den Themen Arbeit und öffentliche Finanzen zwei weitere Debatten in den Blick, bei welchen die Ansichten der weiblichen Bevölkerung gefragt waren. Sein Fazit zieht Ormrod in Kapitel 9, in dem er auch die Grenzen seiner Quellen aufzeigt.

Die Aktivitäten von Frauen müssen vor dem Hintergrund eines allgemeinen Wandels der Möglichkeiten, Petitionen ins Parlament einzubringen, betrachtet werden. So verengte sich der Zugang im Lauf des Spätmittelalters für die unteren sozialen Schichten. Die Teilhabe von Frauen am politischen (oder rechtlichen) Leben beschränkte sich meist auf femme sole, also diejenigen, die dauerhaft oder vorübergehend auf sich allein gestellt waren. Gemeinsam mit ihrem Gatten treten Frauen in den Quellen des Parlaments dann auf, wenn Entscheidungen ihre Besitzungen betrafen. Frauen richteten ihre Petitionen häufig eher an die Chancery, nutzten aber die Gelegenheit, das Parlament anzurufen, etwa, um den König als Schützer der Schwachen, der Witwen und Waisen zu involvieren. Häuften sich bestimmte Anliegen, befeuerten sie damit auch die politischen Debatten ihrer Zeit.

Während Königinnen ihre Ehegatten in anderen Institutionen vertreten konnten, gibt es keine Hinweise darauf, dass dies beim Parlament möglich war. Insgesamt kommt der Autor zu dem Schluss, dass Frauen nur indirekt Zugang zum Parlament hatten und an den Sitzungen nicht teilnahmen. Bei schweren Anklagen, insbesondere der des Verrats, beanspruchte das Parlament, über die Gattinnen der Peers urteilen zu können, wobei diese dafür nicht zwangsläufig selbst dort erscheinen mussten. Nur Alice Perrers, die Geliebte Eduards III., wurde nach dessen Tod vor dem Parlament befragt, das Urteil in ihrem Fall jedoch erst gefällt, nachdem das Parlament aufgelöst worden war.

Dieser Befund scheint den Gedanken zu stützen, die Handlungsfähigkeiten von Frauen wären durch anwachsende Institutionalisierung beschränkt worden. Königinnen werden jedoch bei Entscheidungen über Bestrafungen im Parlament als Intervenientinnen genannt. Ob sie dabei tatsächlich vor Ort waren, wie Ormrod es für Margarethe von Anjou gegen Ende der Regierung ihres Gemahls vermutet, oder ob man sich in solchen Fällen lediglich des Namens der Königin bediente, um es dem König zu ermöglichen, Gnade walten zu lassen, kann auf der alleinigen Grundlage der parlamentarischen Quellen nicht geklärt werden.

Außergewöhnlich ist der historiografisch überlieferte Fall einer im Parlament erschienenen Gruppe von Frauen, die dort eine Beschwerde über die nicht vor dem Parlament verhandelte Eheangelegenheit Humphreys von Gloucester vorbrachte. Hier ging es dem Schreiber möglicherweise darum, die allgemeine Empörung, die Betroffenheit der gesamten Gesellschaft, zu der Frauen als gedachte eigene soziale Gruppe gehörten, zu demonstrieren. Solche „imagined collectivs“ wie „die armen Frauen“ oder „die Witwen von London“ versuchte man häufiger als Petentinnen einzusetzen, allerdings mit geringem Erfolg.

Die Sicherung des Wittums und ihres wirtschaftlichen Auskommens war ein Anliegen, das Frauen aus allen Schichten – Königinnen mit ihren Verwaltern, aber auch andere adlige Frauen und solche der Gentry – ins Parlament brachten. Dieser Weg bot eine gewisse Öffentlichkeit, die wohl hilfreich bei der Durchsetzung ihrer Ansprüche war. Manche nutzten diese Möglichkeit mehrfach. Den sehr hohen Anteil verwitweter Petentinnen erklärt Ormrod mit deren besonders prekärer Lage und ihrer Angewiesenheit auf Unterstützung bei der Wahrung ihrer Rechte. Mit dem oft explizit gemachten Verweis auf den Witwenstatus und auf Armut bedienten sie den Diskurs weiblicher Schwäche und Schutzbedürftigkeit sicherlich auch gezielt, um eine Entscheidung zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Der Themenbereich Wittum betraf Frauen in besonders direkter Weise und Ormrod sieht sie hierbei als aktive Teilnehmerinnen in der parlamentarischen Lobbyarbeit. Ein Problem, das durch ihre Petitionen besonders intensiv diskutiert wurde, war der Verlust ihrer Wittumsansprüche, wenn ihre Männer wegen Verrat enteignet wurden, was während des Bürgerkrieges 1321/22, nach der Absetzung Eduards II. 1327 und nach dem Bauernaufstand in größerem Ausmaß vorkam. Bei den Verhandlungen über den raptus, der sowohl die Vergewaltigung wie auch den Raub von Frauen meinen kann, waren es üblicherweise Ehemänner oder andere männliche Verwandte, die die Eingaben machten. Immerhin ein Drittel stammt aber von Frauen. Auch als Steuerzahlerinnen und Gläubigerinnen der Krone waren diese in der Lage, sich selbstbewusst in den politischen Strukturen zu bewegen und ihre Interessen zu vertreten.

Trotz der Formelhaftigkeit der Eingaben, trotz der männlichen Schreiber- und Adressatenschaft und dem Zweck, letztere dazu zu bewegen, den Petentinnen ihr Recht zuzusprechen, lassen sie sich doch als Egodokumente von Frauen lesen. Eine Stimme erhalten sie etwa durch die (angeblich) wortgetreue Wiedergabe von Aussagen in der ersten Person, aber auch in der Briefform mit Anrede der Adressaten in der zweiten Person. In diesen Fällen, in denen die Petitionen von der eigentlich üblichen Formulierung der dritten Person abweichen, mag der Schreiber mit der Form nicht vertraut gewesen sein. Ormrod vermutet aber den absichtsvollen Einsatz dieser persönlicheren Ansprache, um eine günstige Entscheidung herbeizuführen. Demnach bieten die Petitionen als Egodokumente, so Ormrod, die Möglichkeit, darin nach weiblicher agency, Selbstwahrnehmung, Selbstbewusstsein und Individualität in den unterschiedlichsten sozialen Schichten zu suchen.

Die Studie beschreibt die Möglichkeiten der Teilhabe von Frauen an der Institution des Parlaments anhand der Petitionen und Parlamentsakten und zeigt dabei aber auch immer wieder auf, wie diese Dokumente den forschenden Blick lenken, welche Aussagen auf dieser Grundlage nicht getroffen werden können, welche Fragen sich anschließen. Ormrod bietet mit seiner Aufarbeitung des Themas anhand dieser klar umrissenen Quellenbasis viele Anregungen für weitere Überlegungen. So streift er etwa den Einfluss sozialräumlicher Aspekte wie der Personenkonstellation in der königlichen Familie oder des Orts, an dem das Parlament zusammenkam. Gerade dieser letzte Aspekt, die Frage, ob sich der Zugang zum Parlament verändert, je nachdem ob es im institutionalisierten und daher stärker sozial aufgeladenen Parlamentsgebäude in Westminster tagte, oder an einem anderen Ort, birgt Potential für einen differenzierten Blick auf die Bedeutung von privat oder öffentlich konnotierten Räumen für die Spielräume und Handlungsfähigkeit von Frauen. Die herausgearbeiteten geschlechterspezifischen Stereotypen wie das der armen Witwe und das des Königs als Schützer sowie deren bewusster Einsatz als Argument liefert Impulse für geschlechtergeschichtliche Untersuchungen zu Stereotypen und dem Spiel mit ihnen. Ein dem Autor nicht anzulastender Kritikpunkt ist der Aufbau des Buchs mit Abstracts und Bibliografie zu jedem der kurzen, teilweise nur sieben Seiten umfassenden Kapitel, die zu unschönen Redundanzen führen und diese Studie, die laut Vorwort als Aufsatz geplant war, unnötig aufblähen.

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