H.-U. Wiemer (Hrsg.): Theoderich der Große und das gotische Königreich in Italien

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Title
Theoderich der Große und das gotische Königreich in Italien.


Editor(s)
Wiemer, Hans-Ulrich
Series
Schriften des Historischen Kollegs (102)
Published
Extent
471 S.
Price
€ 94,95
Reviewed for H-Soz-Kult by
Alheydis Plassmann, Abteilung für Frühe Neuzeit und Rheinische Landesgeschichte, Rheinische-Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

Der aus einer Tagung am Historischen Kolleg in München im Jahr 2016 hervorgegangene Sammelband, der um einige wenige Beiträge erweitert wurde, bietet aus verschiedenen Disziplinen einen Blick auf den Gotenkönig Theoderich den Großen und sein italisches Reich, so dass sich insgesamt ein vielfältiges – nicht in allen Einzelheiten widerspruchsfreies – Bild ergibt, das den Stand der Forschung wiedergibt. Dankenswerterweise sind den Beiträgen Zusammenfassungen auf Deutsch und Englisch beigegeben.

Der Herausgeber selbst, aus dessen Feder auch die neueste einschlägige Biographie Theoderichs stammt, findet sich mit drei Beiträgen vertreten. In seiner Einleitung (S. 1–36) stellt er das Konzept des Sammelbandes vor und erläutert, wie die Beiträge das Gesamtbild bereichern, während er „statt eines Nachworts“ (S. 393–444) am Ende des Bandes einen Überblick über die Forschungsgeschichte zu Theoderich gibt, eine willkommene Abrundung dessen, was man zum Teil in kleinerem Zusammenhang auch in den Beiträgen erfahren hat.

Den Reigen der Disziplinen eröffnen vier archäologische Beiträge, die die Befunde aus den schriftlichen Quellen zum Teil erheblich verändern. Christian Witschel (S. 37–61) legt anhand epigraphischer Quellen dar, dass die Städte Italiens zwar gegenüber Gallien ein höheres Maß an Kontinuität aufweisen, dass aber dennoch ein allmählicher Niedergang des öffentlichen Raumes schon vor Theoderich zu konstatieren ist, der im östlichen Mittelmeer so nicht stattfand, und dass daher die aus den Quellen belegte Sorge Theoderichs um die Städte nur punktuell wirksam gewesen ist. Ralf Behrwald (S. 63–88) kann dies anhand der Stadt Rom bestätigen, wo ebenfalls nur Einzelmaßnahmen gegen den Verfall gesetzt wurden. Emmanuele Vacaro (S. 89–124) kann am Beispiel Siziliens zeigen, dass auch dort die Städte schrumpften. Dem steht aber eine Intensivierung der ländlichen Orte und deren Prosperität entgegen. Neil Christie (S. 125–153) betrachtet das ostrogotische Italien insgesamt, und es ist nicht ganz verständlich, warum dieser Beitrag dementsprechend nicht an den Anfang gestellt wurde (in Wiemers Einleitung wird er aufgrund des Überblickcharakters zuerst behandelt, S. 3ff.). Christie möchte allgemein eine Blütezeit bis zu den Gotenkriegen konstatieren, die sich vor allem am Festungsbau niedergeschlagen habe. Auch in der Archäologie steckt der Teufel also durchaus im Detail, und ein völlig einheitliches Bild ist nicht zu gewinnen.

Mit den Beiträgen von Hanns Christof Brennecke (S. 155–173) und Jan-Markus Kötter (S. 175–191) werden religionsgeschichtliche Themen in den Mittelpunkt gestellt: Brennecke stellt fest, dass Theoderich zwar die antijudaistische Gesetzgebung des Ostens nicht übernahm, dass er aber dennoch nicht als „tolerant“ gegenüber den Juden gelten kann, da für ihn als Homöer die Juden auch als Abweichler gelten mussten. Dass Theoderich aber nicht antijudaistisch war, bestätigte in den Augen der Katholiken wiederum seine Stellung als Häretiker, ein Spiel, dass Theoderich nicht gewinnen konnte. Kötter betont, dass Theoderichs Behandlung der katholischen Bischöfe von Pragmatik geprägt war, die religiöse Differenzen der Agenda des friedlichen Miteinanders unterstellt. Zur dann ja wohl als eine Ausnahme zu charakterisierenden Behandlung des Symmachus und Boethius äußert er sich nicht, was insbesondere deshalb bedauerlich ist, weil sie das Bild des Theoderich ja doch nachhaltig geprägt hat.

Peter Eich (S. 193–222) beleuchtet die Macht des Senatorenstandes und vermutet, dass stadtrömische Ämter gegenüber dem Dienst am Hof, der politischen Einfluss ermöglichte, an Attraktivität abnahmen und nicht unbedingt angestrebt wurden.

Karl Ubl (S. 223–238) behandelt den Codex Theoderici, der seiner Meinung nach als Kodifikation eher einen Denkprozess über das Recht darstellt als eine Rechtsetzung: Die „Unordnung“ im Codex ist also nicht durch eine kasuistische Sammelweise zu erklären, sondern liegt daran, dass der Eindruck erweckt werden sollte, dass der Codex im Zuge normaler Rechtsgeschäfte entstanden war. Theoderich inszeniert sich damit in der vornehmen Herrschaftsaufgabe eines Rechtspflegers. Es leuchtet nicht ganz ein, warum sich beide Interpretationen notwendigerweise ausschließen.

Hans-Ulrich Wiemer (S. 239–294) beschäftigt sich in seinem Beitrag mit der Nachfolge des Theoderich. Ganz im Sinne der Infragestellung der Existenz einer Amalerdynastie betont er, dass es sich bei der Herrschaftsübernahme des Athalarich unter der Regentschaft Amalaswinthas um eine Lösung in letzter Sekunde handelt, die nur deshalb Erfolg hatte, weil sich weitere Prätendenten mit einem Anspruch, wie etwa Theodahad und Tuluin, überreden ließen, Athalarich als Notlösung anzuerkennen.

In einem Band zu einem der Nachfolgereich des römischen Imperiums darf auch die schon oft behandelte Identitätsfrage nicht fehlen. Timo Stickler (S. 295–314) bedient die „römische“ Seite und legt anschaulich dar, dass römische Senatoren keinesfalls auf ihrer Romanitas pochten, sondern dass sie vor allem eine Identität als „potentielle Amtsträger“ in den Vordergrund stellten, die ihre Stellung und auch ihre Richtungswechsel in den Gotenkriegen bestimmte. Walter Pohl (S. 315–339) bescheinigt den gotischen Identitäten dem Gang der Forschung gemäß und in Abwehr der Ideen von Walter Goffart, dass sie ein Konstrukt gewesen seien, das aber als geglaubte Identität den Gang der Dinge real beeinflusst habe.

Massimiliano Vitiello (S. 341–367) unterzieht Cassiodors Verwendung der Könige Ostrogotha und Ermanarich als amalische und vorgeblich heldenhafte Vorfahren Theoderichs einer Neubewertung anhand der Befunde in einem neu entdeckten Fragment des Dexippus, die er als Bestätigung deutet, dass Cassiodor Quellen zu diesen Königen gekannt haben muss. Indes ist die Frage zu stellen, ob eine dynastische Linie von Ostrogotha zu Theoderich nicht eben doch unbelegbar bleiben muss.

Schließlich widmet sich Florian Kragl mit einem Beitrag zum Nachleben des Theoderich in der Heldensage (S. 369–392) – in der die Historizität zur Unkenntlichkeit verschwimmt – einem Aspekt, um den es in der Germanistik deutlich stiller geworden ist, was zum abschließenden Forschungsüberblick von Wiemer überleitet.

Ein Personen- und Ortsregister beschließen den lesenswerten Band, der eine hervorragende Ergänzung zu Wiemers Biographie bietet.

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