Betrachtet man die noch junge Geschichte der Erforschung des deutschen Stiftungswesens so ergibt sich eine interessante Rangfolge, die von einer Fokussierung auf die Förderung von Kunst und Kultur über die Erforschung privater Wohltätigkeit zur Erforschung der privaten Förderung von Bildung führt. Am Anfang standen die vor allem mit dem Konzept des „Mäzenatentums“ identifizierten Untersuchungen zur Förderung künstlerischer und kultureller Einrichtungen, die in der Publikation verschiedener Monographien und Sammelbänden in der von Thomas W. Gaehtgens, Jürgen Kocka und Reinhard Rürup herausgegebenen Reihe „Bürgerlichkeit – Wertewandel – Mäzenatentum“ mündeten. Die hier veröffentlichten Studien waren von der Grundidee getragen, dass private Förderung öffentlicher Zwecke im 19. Jahrhundert vor allem Förderung von Kunstmuseen und Kunstgalerien bedeutete. In diesem Zusammenhang besaß das Konzept des Mäzenatentums durchaus Erklärungswert. Manuel Freys Versuch, dieses Konzept auf andere Bereiche auszudehnen, scheiterte jedoch vor allem an einem großen Hindernis: Der Begriff „Mäzenatentum“ wird aufgrund seiner Begriffsgeschichte immer zuerst mit der Förderung von Kunst und Kultur verbunden. Die Verwendung dieses Konzeptes birgt daher die Gefahr einer ungewollten Blickverengung, die zu fragwürdigen Interpretationen führen kann. Und aus diesem Grunde haben nur wenige der Forscher, die sich mit sozialen Stiftungen oder Stiftungen im Bildungswesen beschäftigt haben, das Konzept des Mäzenatentums übernommen.
Dieter Hein verwies bereits in seiner Analyse der städtischen Stiftungen in Karlsruhe und Mannheim, dass eben nicht Kultur, sondern soziale Stiftungen und Stiftungen für Bildungszwecke im Mittelpunkt bürgerlicher Stiftungstätigkeit standen.1 Folgerichtig wendeten sich verschiedene Historiker, wie zum Beispiel Stephen Pielhoff und Andreas Ludwig, der Erforschung des Stiftungswesens für soziale Zwecke und der generellen Wohltätigkeit im Spannungsfeld zwischen privater Wohltätigkeit und staatlicher Intervention zu.2 Der hier zu besprechende Sammelband widmet sich nun einem weiteren Phänomen der privaten Wohltätigkeit, nämlich der privaten Förderung von Schulbildung, Ausbildung, und universitärer Bildung. Jonas Flöter und Gerhard Kluchert betonen in ihren Einleitungen zu diesem Sammelband, dass das Bildungsmäzenatentum ein Forschungsdesiderat sei. Allerdings ergibt sich schon das erste Problem mit Blick auf den von den Herausgebern vorgeschlagenen Begriff „Bildungsmäzenatentum“, der von Kluchert als Neologismus beschrieben wird. Auch wenn er sich der Neuschöpfung dieses Wortes bewusst ist, beklagt sich Kluchert doch darüber, dass man bei der Suche nach vorhandenen Arbeiten zu dieser Thematik (S. 26-27) nicht fündig würde. Das ergibt sich aus dem Charakter dieser Neuschöpfung. Unter diesem Begriff wird man nicht die Arbeiten von Bernhard Ebneth über die private Ausbildungsförderung in Nürnberg oder Klaus Schultz über Stiftungen an der Berliner Universität finden. 3 Und die darüber hinaus existierenden umfangreichen zeitgenössischen Verzeichnisse der in einzelnen Regionen oder Städten vorhandenen Stiftungen für Gymnasien und Schulen wird man mit diesem Stichwort wohl auch nicht in den Katalogen aufspüren.4 Insgesamt fragt es sich, ob es sinnvoll ist, den Begriff des Mäzenatentums hier zu verwenden. In den Quellen und Dokumenten, die zum Beispiel die Gründer von universitären Stipendienstiftungen hinterlassen haben, findet sich, so meine Erfahrung, das Wort Mäzen nicht ein einziges Mal. Dafür wird der Begriff des „Stifters“ und der „Stiftung“ konsequent verwendet. Es fällt auch auf, dass Flöter selbst in seinem quellennahen Beitrag zum Stiftungswesen an den sächsischen Fürsten- und Landesschulen, überwiegend den Begriff des Stifters, des Stiftungswesens und der Stiftung verwendet.
Im Übrigen betritt der Band Neuland und lenkt unseren Blick auf ein von der Forschung bisher vernachlässigtes Feld der Philanthropiegeschichte. Der Band vereint, und das ist eine hervorhebenswerte Seltenheit, Beiträge, die sich mit der privaten Förderung verschiedener Bildungseinrichtungen von der Frühen Neuzeit bis ins späte 19. Jahrhundert beschäftigen. Eine solch weite zeitliche Spannbreite, die die imaginäre Grenze zwischen Früher Neuzeit und moderner Gesellschaft überbrückt, ist nicht üblich für die Mehrzahl der Tagungen und Publikationen, die sich mit den Phänomenen der Stiftung und des philanthropischen Engagements beschäftigen. Leider wurde dieser zeitliche Längsschnitt nicht produktiv für eine theoretische Diskussion des Phänomens des Stiftens genutzt. Die Freysche Definition des Mäzenatentums steht unvermittelt neben dem von Michael Borgolte mit Blick auf vormoderne Gesellschaften entwickelten sozialhistorischen Stiftungsansatz.
Die insgesamt 14 Beiträge vermitteln interessante Aspekte über so verschiedene Einrichtungen wie die Kölner Studienstiftungen, das Berlinische Gymnasium zum Grauen Kloster, die sächsischen Fürsten- und Landesschulen, die Franckeschen Stiftungen etc. So diskutiert Flöter das stifterische Engagement des Bürgertums an den fürstlichen Landesschulen im Spannungsfeld von staatlichem und privatem Handeln. Er sieht bürgerliches Stiften als einen bewussten Anspruch des Bürgertums auf bildungspolitische Deutungsmacht. Für Stifter waren Stiftungen natürlich immer eine Möglichkeit, Gesellschaft zu gestalten und im Falle von Bildungsstiftungen, Einfluss auf die Zusammensetzung der Schüler-/Studentenschaft zu nehmen oder gar die Auswahl der Lehrinhalte zu beeinflussen. Insofern wäre eine detaillierte Diskussion dieser Deutungsmacht sehr aufschlussreich. Der Verweis darauf, dass der Stifter einer Preisstiftung verlangte, dass die Preisarbeiten nur in deutscher Sprache und nicht in Latein oder Altgriechisch verfasst werden sollten, verweist doch auf das Potential für Veränderung und Einfluss, das sich hier auftat. Dabei sollte auch nicht aus dem Blick geraten, dass Stifter, die oftmals über keinerlei pädagogische Ausbildung verfügten, mittels ihrer Stiftungen Einfluss auf bildungspolitische Fragen zu nehmen versuchten.
Besonders hervorhebenswert ist Stephen Pielhoffs vergleichend angelegte Untersuchung der Ausbildungsförderung in Hamburg, Dortmund und Münster, in der der Autor zu der Erkenntnis gelangt, dass das „bürgerliche Mäzenatentum nicht generell als kulturelle Klammer um ein in Berufsgruppen und soziale Schichten differenziertes Bürgertum interpretiert werden kann“ (S. 332). Seine Untersuchung der privaten Ausbildungsförderung durch Vereine und Stiftungen deutet eher auf „die Phänomene innerbürgerlicher Differenzierung“ wie zum Beispiel „die Konflikte zwischen bürgerlichen Sozialreformern und sozialkonservativen Paternalisten auf dem Feld der Ausbildungsförderung nichtbürgerlicher Schichten oder […] die Unterschiede zwischen wirtschaftsbürgerlichen und bildungsbürgerlichen Ausbildungsstiftungen“ (S. 333).
Auch wenn alle Beiträge zu diesem Sammelband auf soliden Quellenstudien beruhen, sind sie doch von sehr unterschiedlicher Qualität hinsichtlich der Literaturauswahl und ihrer Analyseebenen sowie des Abstraktionsniveaus. Insgesamt ist der Sammelband natürlich wichtig für eine weitere Erforschung der Stiftungen auf dem Feld der Bildungsförderung. Mehr als ein erster Schritt ist er jedoch nicht.
Anmerkungen:
1 Hein, Dieter, Das Stiftungswesen als Instrument bürgerlichen Handelns im 19. Jahrhundert, in: Bernhard Kirchgässner und Hans-Peter Becht (Hrsg.), Stadt und Mäzenatentum, Sigmaringen 1997, S. 75-92.
2 Pielhoff, Stephen, Paternalismus und Stadtarmut. Armutswahrnehmung und Privatwohltätigkeit im Hamburger Bürgertum 1830-1914. Hamburg 1999; Ludwig, Andreas, Der Fall Charlottenburg. Soziale Stiftungen im städtischen Kontext 1800-1950, Köln 2005.
3 Ebneth, Bernhard, Stipendienstiftungen in Nürnberg. Eine Historische Studie zum Funktionszusammenhang der Ausbildungsförderung für Studenten am Beispiel einer Großstadt (15.-20. Jahrhundert), Nürnberg 1994; Schultz, Klaus, Stiftungen zur Studien- und Forschungsförderung an der Berliner Universität. Ihr Schicksal in den Jahren der Weimarer Republik und im Dritten Reich, (Beiträge zur Geschichte der Humboldt-Universität zu Berlin Nr. 32), Berlin 1994.
4 Hautz, Johann Friedrich, Urkundliche Geschichte der Stipendien und Stiftungen an dem Großherzoglichen Lyceum zu Heidelberg mit den Lebensbeschreibungen der Stifter. Nebst den Stipendien der Universität Heidelberg, den Bernhard’schen Pfälzer-Stipendien an der Universität Utrecht und dem Neuspitzer’schen Familien-Stipendium. Heidelberg 1856; Stipendien, Stiftungen und sonstige Unterstützungsquellen. Eine Zusammenstellung der im Königreich Bayern bestehenden öffentlichen Wohltätigkeits-Stiftungen, Stipendienfonds, Freiplätze an Schulen, Darlehensquellen und sonstigen Unterstützungsquellen (Zuschüsse aus Staats-, Kreis-, und Distriktsfonds) für Körperschaften (Gemeinden, Armenpflegen, Vereine etc.) und Einzelpersonen. Mit mehreren Musterbeispielen für Stipendiengesuche und sonstige Eingaben. Unter Mitwirkung von maßgebenden Fachmännern herausgegeben von Schwarz, Paulus, Ansbach 1913; Stipendien-Buch für das Großherzogthum Sachsen-Weimar-Eisenach nebst Anhang bearbeitet von Zwez, Wilhelm, Weimar 1852.