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Titel
Weltöffentlichkeit und Diktatur. Die amerikanischen Auslandskorrespondenten im »Dritten Reich«


Autor(en)
Domeier, Norman
Erschienen
Göttingen 2021: Wallstein Verlag
Anzahl Seiten
768 S.
Preis
€ 49,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Stephanie Seul, Deutsche Presseforschung, Universität Bremen

„Germany was no closed land; no ,iron curtain‘ veiled her from the rest of the world“, konstatierte Andrew Sharf schon vor Jahrzehnten für das „Dritte Reich“.1 Auf diese zentrale These baut die Arbeit von Norman Domeier auf: Auch nach 1933 war Berlin ein begehrter Ort für Auslandskorrespondenten und einige namhafte Auslandskorrespondentinnen, amerikanische Zeitungen berichteten bis weit in den Zweiten Weltkrieg hinein aus der deutschen Hauptstadt. Die amerikanischen Auslandskorrespondenten wurden nach Kriegseintritt der Vereinigten Staaten von Amerika (USA) interniert und im Frühjahr 1942 gegen ihre deutschen Kollegen in den USA ausgetauscht; dennoch blieben die USA als globale Medienmacht in Berlin präsent: Die New Yorker Nachrichtenagentur Associated Press (AP) setzte ihre Kooperation mit dem nationalsozialistischen (NS) Regime fort, getarnt als „Büro Laux“, einer geheimen Einrichtung von Schutzstaffel (SS) und Auswärtigem Amt mit deutschen Mitarbeitern. Ein von der amerikanischen Regierung genehmigter Deal führte dazu, dass von 1942 bis 1945 ca. 40.000 Pressefotos zwischen den USA und dem „Dritten Reich“ ausgetauscht wurden. Täglich transportierten Kuriere Fotos vom und für den Kriegsgegner USA per Flugzeug nach Lissabon, ab 1944 auch nach Stockholm. AP belieferte über 1.400 Zeitungen in den USA und weltweit mit Nachrichten und Pressefotos und sorgte dafür, dass Bilder aus dem NS-Staat, den besetzten Gebieten und von den Fronten in der internationalen Presse Verbreitung fanden. Gleichzeitig nutzte die NS-Presse AP-Fotos für antiamerikanische und antisemitische Propaganda. Das „Dritte Reich“, so Domeier, war „ein hochgradig aktiver Player auf dem globalen Medienmarkt“ (S. 16). Hitler und das NS-Regime erhoben nicht nur einen weltweiten Herrschaftsanspruch, sondern bauten parallel zu den geopolitischen Vorstößen ein globales Mediennetzwerk auf, um Nachrichten und Bilder gezielt zu lenken.2 Vom ersten bis zum letzten Tag blieb das „Dritte Reich“ über die amerikanischen Auslandskorrespondenten, und später über das „Büro Laux“, mit der Weltöffentlichkeit verbunden.

Die medienhistorische Forschung hat Auslandskorrespondenten erst ansatzweise in den Fokus genommen und ihre Arbeitsweisen und Selbstbilder (etwa als Verfasser des „first rough draft of history“), ihre Beziehungen zu den Heimatredaktionen und zu Kollegen vor Ort oder ihre professionellen Netzwerke untersucht.3 Die Forschung zum „Dritten Reich“ hat ihrerseits stark auf die NS-Propaganda fokussiert und den Korrespondenten, die das Bild des „Dritten Reiches“ im Ausland formten, wenig Beachtung geschenkt.4 Ein Grund hierfür ist nicht zuletzt die Quellenlage: Die Nachlässe der Auslandskorrespondenten sind über die ganze Welt verstreut und zum Teil in abgelegenen Archiven verwahrt; die Forschungsarbeit ist daher zeitaufwändig und teuer.

Norman Domeier untersucht in seiner Habilitationsschrift an der Universität Stuttgart die Rolle der Auslandskorrespondenten im „Dritten Reich“ – vom ersten Kontakt zur nationalsozialistischen Bewegung in den 1920er-Jahren bis zum Nürnberger Prozess 1945/46, den William Shirer als sein „last assignment to end my reporting of the Nazi time“ (S. 52) bezeichnete. Der Hauptfokus liegt auf amerikanischen Korrespondenten und Korrespondentinnen, der zahlenmäßig größten und tonangebenden Gruppe innerhalb des Auslandspresse-Corps in Berlin, aber es werden auch Journalisten aus Großbritannien, Frankreich, Italien, Schweden und der Schweiz einbezogen. Im März 1932 waren 406 Auslandskorrespondenten und -korrespondentinnen in Berlin akkreditiert, darunter 73 Amerikanerinnen und Amerikaner. Selbst nach Kriegsausbruch und dem Abzug der Briten, Franzosen und Polen arbeiteten bis 1942 immer noch etwa 250 Auslandskorrespondenten in Berlin.

Die Studie begreift Auslandskorrespondenten als eigenständige politische Akteure, „die Agenden setzten und Ereignisse mitprägten“ (S. 43). Die amerikanischen Korrespondenten genossen erhebliche Freiheiten. Bis Kriegsausbruch konnten sie sich frei, bis Dezember 1941 mit Einschränkungen frei bewegen und recherchieren, und sie äußerten sich am kritischsten über das „Dritte Reich“. Eine Vorzensur für ausländische Zeitungen wurde erst im Herbst 1942 eingeführt. Missliebigen Korrespondenten wurde indes die Arbeit schwer bis unmöglich gemacht; einige wurden von der Gestapo verhaftet oder ausgewiesen – so etwa Dorothy Thompson, die Leiterin des Berlin-Büros der New York Evening Post, die 1934 des Landes verwiesen wurde. Dennoch gelang es dem NS-Regime nicht, die Auslandspresse dauerhaft zu lenken; dies verhinderten interne Machtkämpfe, Kompetenzgerangel und Strategiefehler der NS-Behörden sowie der Wunsch nach möglichst wohlwollender Auslandsberichterstattung. Die internationale Öffentlichkeit war daher häufig besser über die Vorgänge im „Dritten Reich“ informiert als die deutsche Bevölkerung durch die NS-Propaganda.

Das Werk ist in ein einleitendes Kapitel, fünf Hauptkapitel sowie ein Fazit gegliedert. Im zweiten Kapitel untersucht Domeier die soziale Welt der Auslandskorrespondenten, ihre Arbeitsmethoden, ihre teils bis in die 1920er-Jahre zurückreichenden Kontakte zur NS-Bewegung und ihr Verhältnis zu den Machthabern des „Dritten Reiches“. Die Journalisten genossen zahlreiche Privilegien und konnten finanziell gut ausgestattet beruflich wie privat ein opulentes Leben führen. Bezeichnend hierfür ist eine Liste, die Louis P. Lochner, der Leiter des Berliner AP-Büros, 1936 für seine Kinder anfertigte: Zwischen Ende Januar und Mitte März besuchte er 41 Bälle, Empfänge, Dinner und andere Anlässe, die ihm reichhaltiges Material für seine Presseberichte lieferten. Ein weiterer Schwerpunkt des Kapitels ist die Berichterstattung über innenpolitische Aspekte: „Machtergreifung“ und Etablierung der NS-Diktatur, Reichstagsbrand, Röhm-Affäre, Kirchenkampf, Konzentrationslager und Aufrüstung.

Das dritte Kapitel untersucht die „Scoops“ der amerikanischen Korrespondenten – exklusive, sensationelle Berichte, mit deren Veröffentlichung Zeitungen und Rundfunksender der Konkurrenz zuvorzukommen versuchten. Amerikanischen Korrespondenten gelang im Bereich der NS-Außenpolitik eine Reihe solcher „Scoops“, die vom Regime teilweise bewusst ermöglicht wurden, darunter der „Anschluss“ Österreichs, das Münchener Abkommen, die Annektierung der „Rest-Tschechei" sowie die „Blitzkriege“ 1939/40. Dabei spielte der Rundfunk eine zentrale Rolle. Der vierte Abschnitt ist Karl von Wiegand gewidmet, einem der einflussreichsten amerikanischen Auslandskorrespondenten des 20. Jahrhunderts. Wiegand hatte seit 1921 Kontakt zu Hitler und der NSDAP und war der letzte amerikanische Korrespondent, der Hitler am 9. Juni 1940, kurz vor dem Fall von Paris, interviewte. Kapitel Fünf analysiert das eingangs beschriebene geheime Abkommen zwischen AP und NS-Regime, das 1942–1945 den Austausch von Pressefotos zwischen den Kriegsgegnern ermöglichte.

Anders als die Überschrift „‚Why didn’t the press shout?‘ Die amerikanischen Auslandskorrespondenten und der Holocaust“ (S. 516) suggeriert, deckt das sechste Kapitel nicht die gesamte amerikanische Presseberichterstattung über die Verfolgung und Ermordung der Juden 1933–1945 ab, sondern beginnt mit den Novemberpogromen 1938. Diese waren „ein transnational ausführlich berichtetes Medienereignis; auch visuell durch wenige, aber wirkungsvolle Pressefotos“ (S. 518). Die Berichterstattung über die staatlich organisierte Judenverfolgung in der Frühphase des „Dritten Reiches“, etwa den Boykott jüdischer Geschäfte, Ärzte und Rechtsanwälte im April 1933, wird ausgeklammert. Aufbauend auf den Forschungen von Lipstadt, Shapiro und Leff5 geht Domeier sodann der Frage nach, was die Weltöffentlichkeit über die Ermordung der europäischen Juden wissen konnte. Zwar berichtete die amerikanische Presse immer wieder über einzelne NS-Verbrechen gegen die Juden und über die Vernichtungslager. Der Massenmord blieb aber ein Thema unter vielen, das zumeist nur auf den Innenseiten der Zeitungen abgehandelt und der Berichterstattung über den Kriegsverlauf untergeordnet wurde. Domeier liefert zwei neue Erklärungsansätze für das mediale Desinteresse. Erstens hätten sich die Star-Korrespondenten, die bis 1941 aus Deutschland berichteten, nicht mit dem Völkermord beschäftigt. Einzig William Shirer habe hin und wieder versucht, die Aufmerksamkeit der amerikanischen Öffentlichkeit auf das Thema zu lenken. Zweitens sei die amerikanische Presse durch den AP-Deal mit Nachrichten und Bildern aus dem „Dritten Reich“ „saturiert“ gewesen, so dass wenig Interesse am Holocaust bestanden habe (S. 30, 574, 624, 694, 707). Diese These erscheint indes noch nicht hinreichend durch Quellen belegt. Weitere Schwerpunkte dieses Abschnitts sind die mediale Darstellung der Einverleibung der „Rest-Tschechei“ im März 1939 und der Eroberung Polens im Herbst 1939, die von einer engen Kooperation amerikanischer Medien (vor allem von AP) mit dem NS-Regime geprägt war, sowie die Rückkehr der amerikanischen Auslandskorrespondenten mit den alliierten Truppen im Sommer 1944 und ihre Berichterstattung über die befreiten Lager und den Nürnberger Prozess 1945/46.

Abgerundet wird die Studie durch 78 Abbildungen sowie ein umfangreiches Quellen- und Literaturverzeichnis (das zahlreiche Titel enthält, die nicht in den Fußnoten zitiert werden). Wünschenswert wäre noch ein Verzeichnis der benutzen (digitalen) Zeitungsarchive gewesen. Ein Ärgernis ist leider das Personenregister, das die Namen der im Quellen- und Literaturverzeichnis aufgeführten Journalisten sowie häufig genannter Personen wie Hitler, Goebbels, Laux, Mussolini oder Roosevelt ausklammert. Auch fehlt ein Sachregister, um das 768 Seiten umfassende Werk zu erschließen. Hier hat der Verlag eindeutig an der falschen Stelle gespart; die Nutzung für weitere Forschung wird somit erschwert (wenn man sich nicht gleich das Ebook kauft).

Diese Kritikpunkte schmälern jedoch nicht Domeiers Verdienst. „Weltöffentlichkeit und Diktatur“ ist eine akribisch recherchierte Studie, die einen wichtigen Beitrag zur Medien- und transnationalen Geschichte des „Dritten Reiches“ leistet und einen Standard für die historische Journalismusforschung setzt. Sie fördert bisher unbekannte globale Medienverflechtungen zu Tage, etwa den geheimen Deal zwischen AP und dem NS-Regime, und macht einmal mehr deutlich, dass Medien- und Kommunikationsgeschichte zentral für die Politik-, Militär-, Sozial- und Kulturgeschichte sowie die transnationale Geschichtsschreibung sind. Es wäre zu wünschen, dass sich diese Bedeutung in Deutschland auch institutionell niederschlägt – in der medienhistorischen Denomination von Lehrstühlen, in Forschungszentren und spezialisierten Studiengängen, aber auch im Ausbau digitaler Zeitungsarchive mit Volltext-Suchfunktion, insbesondere der NS-Presse.

Anmerkungen:
1 Andrew Sharf, The British Press and Jews under Nazi Rule, London 1964, S. 79.
2 Heidi Tworek hat unlängst die jahrzehntelange Tradition der Lenkung von internationalen Nachrichtenströmen durch das Deutsche Reich untersucht: Heidi J.S. Tworek, News from Germany. The Competition to Control World Communications, 1900–1945, Cambridge, MA 2019; vgl. Michael Homberg, Rezension zu: Heidi J.S. Tworek, News from Germany. The Competition to Control World Communications, 1900–1945, Cambridge, MA 2019, in: H-Soz-Kult, 11.10.2019, https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-28036 (01.09.2023).
3 Zur Berufsgeschichte deutscher Auslandskorrespondenten im 19. und frühen 20. Jahrhundert vgl. Sonja Hillerich, Deutsche Auslandskorrespondenten im 19. Jahrhundert. Die Entstehung einer transnationalen journalistischen Berufskultur, Berlin 2018; vgl. Norman Domeier, Rezension zu: Sonja Hillerich, Deutsche Auslandskorrespondenten im 19. Jahrhundert. Die Entstehung einer transnationalen journalistischen Berufskultur, Berlin 2018, in: H-Soz-Kult, 06.07.2018, https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-27002 (01.09.2023); Hartwig Gebhardt, Mir fehlt eben ein anständiger Beruf: Leben und Arbeit des Auslandskorrespondenten Hans Tröbst (1891–1939). Materialien zur Sozial- und Kulturgeschichte des deutschen Journalismus im 20. Jahrhundert, Bremen 2007.
4 Eine erste Studie, die Domeier nicht zitiert, ist Martin Herzer, Auslandskorrespondenten und auswärtige Pressepolitik im Dritten Reich, Köln 2012; vgl. Daniel Mühlenfeld, Rezension zu: Martin Herzer, Auslandskorrespondenten und auswärtige Pressepolitik im Dritten Reich, Köln 2012, in: H-Soz-Kult, 06.09.2012, https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-18167 (01.09.2023).
5 Deborah E. Lipstadt, Beyond Belief. The American Press and the Coming of the Holocaust 1933–1945, New York 1986; Robert Moses Shapiro (Hrsg.), Why Didn’t the Press Shout? American and International Journalism during the Holocaust, Jersey City 2003; Laurel Leff, Buried by The Times. The Holocaust and America’s Most Important Newspaper, Cambridge 2005.