I. Villinger u.a. (Hrsg.): Briefwechsel Gretha Jünger und Carl Schmitt

Cover
Titel
Briefwechsel Gretha Jünger und Carl Schmitt 1934-1953.


Herausgeber
Villinger, Ingeborg; Jaser, Alexander
Erschienen
Berlin 2007: Akademie Verlag
Anzahl Seiten
241 S.
Preis
€ 44,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Reinhard Mehring, Institut für Philosophie, Humboldt-Universität zu Berlin

Hinter starken Männern stehen meist starke Frauen. Diese Redensart mag in emanzipierten Zeiten auch umgekehrt gelten. Für das Gipfelgespräch zwischen Ernst Jünger und Carl Schmitt jedenfalls traf sie zu. Die Beziehung lebte auch durch die familiäre Gesamtkonstellation, wie der Briefwechsel zwischen Gretha Jünger und Schmitt eindrücklich zeigt. Ernst und Carl korrespondierten allerdings über 50 Jahre miteinander: von 1930 bis 1983. Der Briefwechsel mit Frau Jünger, die unter ihrem Mädchennamen von Jeinsen auch literarisch hervortrat, reicht dagegen nur von 1934 bis 1953: von ersten Glückwünschen zur Geburt des zweiten Sohnes Carl Alexander und Schmitts Patenschaft bis zum Abbruch des Kontaktes 1953. Grethas Vermittlungsbemühungen um Klärung der Dissonanzen und Streitigkeiten zwischen Ernst und Carl scheiterten damit. Schmitt wollte sich nicht weiter zur Rede stellen lassen. Der Briefwechsel hat also einen klaren Spannungsbogen: von Gratulationsbriefen und familiären Nachrichten über die Kriegsnöte nach 1939, die beide Familien eng zusammenbrachten, bis zu den scheiternden Versöhnungsbemühungen am Krankenbett Duschka Schmitts, sowie zur fürsorglichen Betreuung der Tochter Anima.

In der Korrespondenz mit Gretha Jünger trat Schmitt von seinen sonstigen geistesgeschichtlichen Höhenflügen ein Stück zurück und ließ sich auf einen familiären Briefwechsel ein. Deshalb geben die Schreiben aus Sicht der Schmitt-Forschung einigen biographischen Aufschluss über die Lebensumstände und Sorgen im Krieg. Dass die "Panzerschiffe" und Primadonnen des Rechtsintellektualismus beispielsweise profane Enten hielten und die Jüngers den Berlinern mit Hühnerfutter aushalfen, lässt sich hier wohl erstmals nachlesen. Auch die Entwicklung der kleinen Anima, Schmitts einziger Tochter, wird nur hier pädagogisch verhandelt. Vor allem aber taucht Duschka Schmitt als ruhender Pol und Beziehungskitt neben ihrem Mann Carl auf. Nach 1945 jedoch erneuerten sich der enge Umgang und das alte Vertrauen der Kriegsjahre trotz vieler Bemühungen nicht mehr ganz. Gretha schreibt dies der sauerländischen Existenz in Plettenberg und dem dortigen Umgang mit sekundären Geistern zu und rät gelegentlich zum Umzug. Namentlich macht sie Gerhard Nebel und Armin Mohler, den Satelliten Ernst Jüngers, für den Zerfall der alten Freundschaft verantwortlich. Im März 1948 warnt sie erstmals vor Nebel. Am 5. Januar 1949 beklagt sie Schmitts "Geist der Fremdheit" beim letzten Besuch, meint aber noch: "Ich bin aber gewiss, dass es immer nur fremde Einflüsse sind, die der Bösartigkeit [...] und die des Ungeschicks, oder des Mangels an Form" (S. 111). Am 9. Februar 1950 kritisiert sie Nebels "ständige und falsche Wiedergabe Ihrer Gespräche bei E. J." und "weiß nur Eines: dass eine solche Gestalt zweiten Ranges nicht auf die Ebene zwischen Ihnen und E. J. gehört" (S. 129). Am 14. Juni 1950 berichtet sie, dass auch die gemeinsamen Klärungsversuche "bei E. J. den Eindruck eines Forums erweckt[en], das sich an den Richtertisch begab" (S. 131).

Schmitts Lage nach 1945 war schwierig, schon ökonomisch war sie zunächst völlig ungesichert. Schmitt pflegte einiges Ressentiment gerade auch gegen Jüngers literarisches ‚Comeback': "Nicht das Jahr 1933, sondern das Jahr 1945 hat die Menschen entscheidend gruppiert", schreibt er am 27. August 1950. Die Opfer von 1933 hat er dabei nicht im Blick. Gretha will das Gipfelgespräch der kongenialen Größen nicht durch geltungsbedürftige Satelliten gestört sehen. Sie hofft, dass auch nach 1949 noch gilt, was Ernst Jünger schon am 11. November 1934 schrieb: "Da ich das Gefühl hatte, dass wir uns im Augenblick einer gewissen Meinungsverschiedenheit trennten, so gestatten Sie mir die kurze Bemerkung, dass unser Verhältnis wohl einen gemeinsamen Ort besitzt, an dem eine solche Differenz gar keine Rolle spielt. Was mich beschäftigt, ist die absolute und substanzielle Größe des Menschen, deren Dimensionen festzustellen ich über ganz andere Maßstäbe verfüge als etwa über den politischen."1 Dieses "soldatische" Ethos direkter Aussprache, diese Trennung von Moral und Politik war Schmitts Sache nicht. Er zog diplomatisch diskrete Formen der Aussprache vor. In einem "Schlussstrichbrief" vom 26. Mai 1959 an Armin Mohler, der im Anhang abgedruckt ist, schreibt Gretha, nachdem sie mit Mohlers "Machenschaften" und "Intrigue" abrechnete, über Schmitt: "Er wird darüber nachzudenken haben, ob sein charakterliches Bild seine vielen persönlichen Gegner erklärt, oder das politische. Da unzählige Menschen mit ihm ähnliche Erfahrungen machten wie ich, möchte ich das erstere glauben" (S. 192). Das ist ein starker Vorwurf, der auch eine Wahrnehmungsdifferenz zwischen Mit- und Nachwelt markiert. Zahlreiche Freunde brachen mit Schmitt nicht nur politischer Differenzen wegen.

In diesem durchaus kritischen Briefwechsel begegnet uns ein Schmitt im familiären und existentiellen Umbruch. Er zeigt Schmitts schwieriges Privatleben. Vom Frühjahr 1942 bis Ostern 1948 ging Tochter Anima in Cloppenburg zur Schule. Schon Anfang 1949 zeigte sich die tödliche Krebserkrankung seiner Frau Duschka, die schon die 1920er-Jahre hindurch oft schwer krank war. Wie sehr Gretha und Ernst Jünger damals primär an Duschka dachten und helfen wollten, zeigt sich auch in einigen Briefen an Duschkas Krankenbett, die im Düsseldorfer Nachlass Schmitts enthalten sind, aber leider nicht in die Edition aufgenommen wurden. Auch nach Duschkas Tod zeigt sich Grethas tätige Sorge um Animas weitere Entwicklung. Schmitt wiederum teilte kräftig aus, musste aber auch viel Kritik einstecken. Nach Duschkas Tod gibt es zwar noch diverse Verständigungsbemühungen zu den Jüngers. Nach Gerhard Nebel wird Armin Mohler aber zunehmend zum Zwischenträger negativer Äußerungen. Gretha warnt wiederholt vor seiner "Doppelzüngigkeit" (S. 180). Im Juli 1953, als er gerade seinen 65. Geburtstag feiern will, will Schmitt es nicht länger ertragen, fortlaufend zur Rede gestellt zu werden. Capisco et obmutesco, schreibt er: "Ich verstehe und verstumme". Etwas kleinlaut formuliert er in seinem letzten Brief vom 7. Juli 1953 an Gretha: "Vielleicht war die Schwäche auch nur eine Unfähigkeit aus Herzenshärte und Rechthaberei." (S. 182) Er spricht hier von sich, darüber, dass er den kritischen Zustand der Beziehung lange Zeit nicht ernst genug genommen hat. Deutlicher als das Gipfelgespräch der Meisterdenker dokumentiert daher dieser Briefwechsel den Zerfall vertrauensvoller Freundschaft mit Ernst Jünger, nicht den zu Gretha. Er wirft auch einiges Licht auf das Beziehungsethos der Kreise. Gretha bemerkt einmal zur Entwicklung der Kinder, "dass beide Elternpaare zu stark für sie waren" (29. Februar 1952). Indem sie und Duschka aus dem Schatten ihrer "Gebieter" (Gretha über Ernst) heraustreten, werden auch die Meisterdenker plastischer.

Die Edition des Briefwechsels wurde von Ingeborg Villinger und Alexander Jaser besorgt. Villinger zeichnet für die "Gesamtorganisation" verantwortlich, Jaser "für die Transkription und für die Kommentierung der Briefe, die Zeittafel sowie den wissenschaftlichen Apparat" (S. 211). Villingers Einleitung ist knapp und klar, der Apparat instruktiv, die Edition sorgfältig. Die Ausstattung ist erfreulich gut, so findet sich auch ein schöner Bildteil. Vor Jahren hob Villinger Schmitts Jugendsatire "Schattenrisse" in ihrer grundsätzlichen Stoßrichtung aus der Versenkung. Nun setzt sie erneut bei einem scheinbar marginalen Subtext an und stellt mit den Familien auch die Männer in neues Licht.

Anmerkung:
1 Ernst Jünger - Carl Schmitt. Briefe 1930-1983, Helmuth Kiesel (Hrsg.), Stuttgart 1999, S. 42.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension