C. Herloßsohn (hg): Damen Conversations Lexikon

Cover
Titel
Damen Conversations Lexikon. Neusatz und Faksimile der 10-bändigen Ausgabe Leipzig 1834 bis 1838


Herausgeber
Herloßsohn, Carl
Reihe
Digitale Bibliothek 118
Erschienen
Anzahl Seiten
Preis
€ 45,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Angelika Schaser, Historisches Seminar, Universität Hamburg

Von Majoran bis Ohrenzwang

Zu Beginn der 1830er-Jahre waren bereits knappe 50 enzyklopädische Werke für verschiedene Spezialgebiete und die unterschiedlichsten Zielgruppen auf dem deutschen Buchmarkt. Nicht nur der Außenseiter Joseph Meyer hatte als branchenfremder Kaufmann 1839 mit der Herausgabe seines Großen Conversations-Lexikons für gebildete Stände die etablierten Buchhändler brüskiert, indem er dieses Lexikon im Subskriptionsverfahren in Einzellieferungen am Buchhandel vorbei durch Kolporteure vertreiben ließ. Auf solch erfolgversprechende Neuerungen setzte auch der aus ärmlichen Verhältnissen stammende Schriftsteller Carl Herloßsohn (1804-1849), der „im Verein mit Gelehrten und Schriftstellerinnen“ (Impressum) 1834 die Herausgabe des Damen Conversations Lexikons begann. Der Lexika-Markt boomte und die bildungshungrigen Frauen des Bürgertums wurden in dieser Zeit als neue lukrative Käufergruppe entdeckt. Wer die Texte des Damen Conversations Lexikon im Einzelnen verfasste, ist nicht angegeben. Bei aufmerksamer Lektüre könnte man jedoch wohl einige der Autoren/innen unter den Mitarbeitern/innen identifizieren, Hinweise sind immer wieder zu finden. So wird etwa im Artikel „Ehe“ die „geistreiche Schriftstellerin K. v. Woltmann“ (Karoline von Woltmann, 1782-1847) zitiert. Die Artikel über Musik soll jedenfalls in den ersten beiden Bänden Robert Schumann verfasst haben.1

Das einzelne Heft des Lexikons wurde von Herloßsohn zu 6 Groschen verkauft, 4 Hefte machten einen Band aus. Als Blickfang zierte jeweils ein von Moritz Retzsch angefertigter Stahlstich berühmter Frauen das Frontispiz jeden Bandes, die Interimseinbände der Hefte waren mit Spitzendeckchen bzw. Spitzenmustern dekoriert. Die dadurch hervorgerufenen Assoziation mit Handarbeiten machten wie der Titel des Lexikons deutlich, dass Frauen der höheren Stände in den Augen des Herausgebers ein spezielles Publikum darstellten, deren Geschmack, Interessen und Bildungsstand man entgegenkommen wollte, indem man den angeblich natürlichen Geschlechterunterschieden bei der Aufmachung wie beim Inhalt des Lexikons Rechnung trug.

Das Lexikon enthält viele Frauenbiografien, da die Redaktion davon ausging, dass sich den Leserinnen die Welt vor allem über das Leben von Frauen erschließen würde. Geschichte wird in Form romantischer Erzählungen präsentiert, Religion, Mythologie, Kunst und Musik, Mode und Luxusartikel breiter Raum eingeräumt, Erkenntnisse der Naturwissenschaften als leichte Kost serviert: Während z.B. der Artikel über Zinn – ein Metall, das für die Industrialisierung von großer Bedeutung war – in Meyers Großem Conversations-Lexicon von 1852 auf 13 Seiten behandelt wird, widmet das Damenlexikon diesem Stoff gerade eine halbe Seite. Bei den zu „Frauenthemen“ deklarierten Einträgen wirken einzelne Artikel sehr betulich, da sie weder systematisch aufgebaut sind noch detailliertere Kenntnisse vermitteln, sondern aus bekannten Zitaten zusammengestellt wurden. So fragt man sich bei dem Artikel über die Ehe z.B., ob er nicht schon von zeitgenössischen Leserinnen als Parodie empfunden wurde. Zur Illustration sei hier ein Auszug vorgestellt: „Der Segen des Himmels schirmt und eine herrliche Bürgschaft, das Band, das Kindesliebe festigt, beglückt die Ehe, die aus Liebe und Vertrauen hervorgegangen ist: Es prüfe, wer sich ewig bindet, ob sich das Herz zum Herzen findet. Doch wo es sich gefunden, da wird die Erde ein Tempel, die Natur ein Abglanz, das Leben eine blumige Reise selbst über Klippen und Abgründe hin“. Passend dazu findet sich unter dem Stichwort „Emancipation“ nur ein Hinweis auf Römer, Katholiken und „Negersklaven“, die Emanzipation der Frau war für diese Redaktion offenbar noch kein Thema.

Die Stichworte, die den Inhalt des siebten Lexikonbands umreißen – von Majoran bis Ohrenzwang – machen deutlich, dass dieses Lexikon für die Wissenschaft durch implizite wie explizite Hinweise auf die Geschlechterordnung und die Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit in der Mitte des 19. Jahrhunderts eine wichtige Quelle für Fragen der Frauen- und Geschlechterforschung darstellt. Darüber hinaus erweist es sich als Fundgrube für kulturgeschichtliche Fragestellungen im weitesten Sinne. Für Themen der Alltagsgeschichte, der Musik- und Kunstgeschichte, der Konsum- und Textilgeschichte usw. kann man hier manchen anregenden Eintrag finden. Das Stichwort „Ohrenzwang“ macht z.B. deutlich, dass das Lexikon auch als Medizinlexikon zu gebrauchen war, führte es doch nicht nur auf, was man unter Ohrenzwang verstand, sondern nannte auch die passenden Mittel, mit denen das Leiden behoben oder doch wenigstens gelindert werden konnte.

Die digitale Aufbereitung der von 1834 bis 1838 erschienenen zehnbändigen Buchausgabe gibt den vollständigen Text wieder und weist sich durch die bekannten Vorzüge der Digitalen Bibliothek aus. Vorrede, Impressum, Stahlstiche und die einzelnen Titelblätter der zehn Bände sind in der Einführung abrufbar, der Text des Lexikons steht in einer seitengenauen Wiedergabe der Buchausgabe im Neusatz und als Faksimile zur Verfügung. Nicht abgebildet wurden die Spitzenmuster der Interimseinbände der Hefte, ein Beispiel dafür findet sich in der Bibliotheca lexicorum.2 Suchfunktion, ein Register sowie die temporären wie dauerhaften Markiermöglichkeiten machen eine zielgenaue Suche und schnelle Orientierung im Text möglich. Dem wenig bekannten Damen Conversations Lexikon ist in dieser leicht zugänglichen Version eine breite Rezeption zu wünschen.

Anmerkungen:
1 Bibliotheca lexicorum. Kommentiertes Verzeichnis der Sammlung Otmar Seemann. Eine Bibliographie der enzyklopädischen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart, unter besonderer Berücksichtigung der im deutschen Sprachraum ab dem Jahr 1500 gedruckten Werke, bearb. v. Martin Peche, nach einem von Otmar Seemann erstellten Gesamtverzeichnis und mit einer mehr als 3000 Titel umfassenden Bibliographie zur Geschichte der Lexikonistik, hg. v. Hugo Wetscherek, Wien 2001, S. 239-242.
2 Bibliotheca lexicorum (wie Anm. 1), S. 241.

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