H. M. Heinig: Öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften

Titel
Öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften. Studien zur Rechtsstellung der nach Art. 137 Abs. 5 WRV korporierten Religionsgesellschaften in Deutschland und in der Europäischen Union


Autor(en)
Heinig, Hans M.
Reihe
Schriften zum öffentlichen Recht 921
Erschienen
Anzahl Seiten
578 S.
Preis
€ 108,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Helmut Goerlich, Juristenfakultät, Universität Leipzig

Die Düsseldorfer Dissertation, bei Martin Morlok entstanden, erhebt einen nennenswerten Anspruch, der sich offenbar auch in der Absicht spiegelt, in Heidelberg bei Görg Haverkate mit einem an diesem Lehrstuhl einschlägigen Thema zu habilitieren. Haverkate ist bekanntlich überraschend verstorben; es steht zu hoffen, dass dieser große Verlust des Fachs nicht auch dieses Vorhaben gefährdet. Der Autor ist außerdem durch zahlreiche staatskirchenrechtliche Aufsätze in Sammelbänden und juristischen und theologischen Fachzeitschriften hervorgetreten, die sein bisheriges Generalthema variieren und neue Felder erschließen.

Das Vorwort weist ihn außerdem als einen Mann weltläufiger Eleganz und des Kompliments zwischen Berlin und Heidelberg aus. Das gilt auch für die Eröffnung der Arbeit: "Religionsrecht begründet einen Status der Freiheit, Gleichheit, Öffentlichkeit und Differenz und: Religionsrecht ist Mehrebenenrecht – dies sind die beiden Kernthesen der vorliegenden Arbeit in 'lexikalischer Ordnung'", wobei das erste und das letzte Wort mit einer Fußnote drapiert sind: die erste programmisch lang von Alexander Hollerbach bis Christian Walter und Marcel Vachek, die zweite philosophisch apokryph mit Hilfe von John Rawls dekoriert.

Die Inhaltsübersicht führt den Leser von religionsverfassungstheoretischen Präliminarien zu historischen Aspekten als Folie der heutigen Rechtsstellung öffentlich-rechtlicher Religionsgesellschaften nach dem Grundgesetz, anschließend in die allgemeinen staatskirchenrechtlichen Rahmenbedingungen der Freiheit, Parität, Öffentlichkeit und Differenz für Religionsgesellschaften unter dieser Verfassung sowie sodann zum verfassungsrechtlichen Status der öffentlich-rechtlichen Körperschaft für Religionsgesellschaften nach dem Grundgesetz und schließlich zum Status der Freiheit, Gleichheit, Öffentlichkeit und Differenz im Kontext des Europarechts. Dabei zeugt diese Übersicht zugleich vom Einstieg in die Materie aus der Perspektive des Rechts der Europäischen Union, wie der Autor im Vorwort aus der Erfahrung eines Praktikums in Brüssel beim dortigen Büro der EKD berichtet. Dies hat den Vorzug, dass die Untersuchung den nationalen Rahmen verlässt, ebenso wie die engere Perspektive des historisch geprägten nationalen Staatskirchenrechts auf der Grundlage der kirchenpolitischen Kompromisse in der Weimarer Nationalversammlung. Dabei erweist sich die prägende Kraft dieser Perspektive als sehr fruchtbar. Sie zeigt, welchen rechtlichen Wandel die europäische Integration gerade nun in Deutschland bewirken kann, wo zugleich die gesellschaftlichen Strukturen in diesem Lande dahin führen, den tradierten Rahmen zugunsten egalitärer kirchenpolitischer Konzepte zu sprengen, selbst wenn das zu Brüchen, Konflikten und Inkonsistenzen führt, die weder Kirchen und religiöse Verbände selbst, noch Verwaltung und Politik sowie last not least ebenso wenig die Gerichte auflösen können. Dabei ist die interdisziplinäre Anlage der Arbeit, die sich sowohl in ihrer theologisch-philosophischen wie in ihrer kulturwissenschaftlichen Orientierung manifestiert, von großem Vorzug. Ersichtlich ist dem Autor dieser Status seiner Arbeit aber auch bewusst und ergibt dies eine gewisse Neigung zu feuilletonistischer Bildkraft und Metaphorik. Das mag manche Leser, besonders den juristischen Handwerker und Dogmatiker, erschrecken, es mag manchen aber auch bei der Stange halten und weiterführen, auch durch das ganze, recht lange Wegstrecken abschreitende Buch, das letztlich zu dem Ergebnis einer Lösung des Staatskirchenrechts aus seinem bisherigen Dornröschenschlaf hilft und schließlich zu der klassischen Formel von "freien Kirchen im demokratischen Gemeinwesen" (Konrad Hesse) führt; eine Formel, die heute auch die muslimischen, die freikirchlichen und weltanschaulichen Verbände umfasst, also über ihre Zeit hinausgewachsen ist. Dabei ist die Tragweite des Rechts der europäischen Integration deswegen so groß, weil es, anders als das Recht der Europäischen Menschenrechtskonvention, sich unmittelbar mit Anwendungsvorrang gegen das nationale Recht durchsetzt und so dieses Recht hin zu egalitären Rechtsstrukturen aufbricht, die gleichermaßen auch gleiche Öffentlichkeit und Differenz von Recht, Politik und Religion, Staat, Gesellschaft und kirchlich-weltanschaulichen Verbänden von dieser Union her einfordern. Damit ist der Weg zurück in die Traditionalismen eines engeren Rechtsgebiets, in seine Binnenorientierung und die damit verbundenen Ausblendungen der Orientierung verlegt.

Zu diesen Entwicklungen beigetragen zu haben, das ist das große Verdienst der Düsseldorfer Dissertation, die jenseits der bloßen Rechtsfragen deshalb Beachtung verdient und sicher ihren Weg machen wird. Dabei zeigt sich zugleich in vielen Einzelfragen, die in dieser Anzeige für ein breiteres Publikum nicht auszubreiten sind, dass das juristische Handwerkszeug dem Autor nicht fern liegt und Antworten zu diesen Fragen mit dieser Untersuchung zudem die gebotene Beförderung erhalten. Deshalb ist die Schrift nachhaltig zu empfehlen und eine ausgezeichnete Grundlage auch für eine sozusagen "zünftige" Karriere im engeren Fach.

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