Chr. Hesse: Amtsträger der Fürsten im spätmittelalterlichen Reich

Cover
Titel
Amtsträger der Fürsten im spätmittelalterlichen Reich. Die Funktionseliten der lokalen Verwaltung in Bayern-Landshut, Hessen, Sachsen und Württemberg 1350-1515


Autor(en)
Hesse, Christian
Reihe
Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 70
Erschienen
Göttingen 2005: Vandenhoeck & Ruprecht
Anzahl Seiten
976 S.
Preis
€ 129,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Gabriel Zeilinger, Universität Kiel

Die für den Druck leicht überarbeitete Berner Habilitationsschrift von Christian Hesse widmet sich einer nicht nur für die mittelalterliche Verfassungsgeschichte zentralen Frage: Wie gelangte die in der Vormoderne offenkundig im Fürsten personifizierte, vielgestaltige Herrschaft über sein Land und seine Leute in die Weite eben dieses Raumes, auf wessen Hilfe konnte ein Fürst bei der Materialisierung seiner teils verstreuten, teils schon verdichteten Rechte bauen? Nachdem die Erforschung der alteuropäischen Höfe und Residenzen – mithin gewissermaßen die ‚Zentralverwaltungen’ dieser Jahrhunderte – in den vergangenen beiden Jahrzehnten einen merklichen Aufschwung erfuhr, ist es umso erfreulicher, dass mit Hesse wiederum eine monographische Bearbeitung der vormodernen Lokalverwaltung erfolgt und damit die fürstlich-höfische Sphäre auf die sie stützenden Füße gestellt wird. Da in seiner Analyse zudem in vergleichender Betrachtung gleich mehrere mittel- und oberdeutsche weltliche Fürstentümer des Spätmittelalters mit unterschiedlichen Siedlungs- und Wirtschaftsstrukturen als Untersuchungsfeld dienen, erfüllt die Arbeit – soviel sei vorweggenommen – ein Desiderat der mittelalterlichen Verfassungsgeschichte.

Christian Hesse geht es aber gerade nicht allein um eine politik- und verwaltungsgeschichtliche Untersuchung der Ämterorganisation in Bayern-Landshut, Hessen, Sachsen und Württemberg, sondern im Besonderen um die „Verbindung der Institutionen- mit der Sozialgeschichte“ (S. 19 und öfter). Damit treten – für eine Zeit, der modernes Anstaltsdenken fremd war – völlig zu Recht die in verschiedenen Funktionen der fürstlichen Lokalverwaltung tätigen Menschen, hier vor allem diejenigen in der Finanzverwaltung, in den Vordergrund, denn: „Erst die Erarbeitung eines Sozial- und Wissensprofils der landesherrlichen Amtsträger mit Hilfe der prosopographischen Methode und die Analyse der Trägergruppen dieser Prozesse gestattet daher weiterführende Aussagen zur Entwicklung moderner Staatlichkeit“ (S. 19). Dass Hesse mit diesem maßgeblich von Peter Moraw und Rainer C. Schwinges etablierten methodischen Postulat Ernst macht, zeigt sein umfänglicher Anhang, in dem dicht belegte Kurzbiographien von 5.921 Amtsträgern in den betrachteten Fürstentümern hinterlegt sind (S. 483-859). Es ist hervorzuheben, dass er dazu bei Weitem nicht nur durch Publikationen aufgearbeitete oder handschriftlich überlieferte Bestallungs- und Dienerlisten ausgewertet hat, sondern sich auch der Mühsal unterzog, viele Bände fürstlicher Rechnungsüberlieferungen auf Personenbelege von Amtsträgern durchzusehen – ein entsagungsvolles, aber ergiebiges Unternehmen.

Auf dieser Materialbasis entwickelt Hesse sein Untersuchungsprogramm: Nach dem ausführlichen Umriss der „Grundlagen“ seiner Arbeit (S. 13-94), in dem auch die territorialpolitischen Entwicklungen und wirtschafts- und sozialgeschichtlichen Grundgegebenheiten der vier Fürstentümer skizziert werden, folgt im zweiten Abschnitt die vornehmlich institutionengeschichtliche Darstellung der „Verwaltungsorganisation und Verwaltungsaufgaben“ der jeweiligen Ämterorganisation in den Herrschaften (S. 95-201). Hier zeichnet Hesse recht breit die Entwicklungen in der Ämterverwaltung nach, die – bei allen regionalen Unterschieden – zumeist in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts einen Differenzierungsschub erlebte. Dabei trifft die eigentlich naheliegende, aber doch zu unterstreichende Feststellung des Verfassers den Kern: „Personen formten neue Ämter“ (S. 199). Nachdem derart der Bezugsrahmen der Arbeit gelegt ist, folgt drittens der eigentliche Hauptteil der Untersuchung: „Die Amtsträger in der fürstlichen Verwaltung“ (S. 203-472). Nun treten die Amtleute, Vögte, Pfleger, Rentmeister, Keller, Kastner, Landschreiber, Schösser und weitere lokale Dienstleute der Fürsten dezidiert in den Vordergrund. Zunächst werden in einer gelungenen Kombination von Gruppenbiographie und Einzelbeispiel die geographische und soziale Herkunft der Amtsträger, dann ihre Ausbildungswege, die ökonomischen Ausgangslagen und die Einwirkungen des Dienstes insbesondere nach dem Gesichtspunkt der ‚Mitunternehmerschaft’ (freilich auf Gedeih und Verderb!) untersucht. Diese sozioökonomischen Determinanten gipfeln dann in der Rekonstruktion familialer und anderer Netzwerke in den fürstlichen Lokalverwaltungen.

Wenngleich hier nicht annähernd alle Ergebnisse des Werkes benannt werden können, so seien doch einige in Auswahl hervorgehoben: Es gelingt Christian Hesse, ein dichtes wie differenziertes Sozialprofil einer vormodernen Funktionselite zu zeichnen, deren Vertreter zwar im Untersuchungszeitraum nicht selten eine adlige Herkunft aufwiesen, aber deren Veränderung im Verlauf gerade des 15. Jahrhunderts durch soziale Aufstiegsprozesse – oft genug über Universitätsbesuche an einer Artistenfakultät – deutlich greifbar sind. Dass Territorialisierung vielerorts mit Urbanisierung einherging oder ihr folgte, zeigt sich – besonders ausgeprägt im städtereichen Württemberg – daran, dass in ansteigender Zahl Mitglieder der merkantilen und politischen Führungsgruppen der jeweiligen Landstädte, freilich nicht allein aus ratsfähigen Familien, Stellen gerade in der dezentralen fürstlichen Finanzverwaltung besetzten. Diese „übernahmen [...] als Keller, Schreiber oder seltener Geleitsmann zuerst die Finanzen und anschliessend als Schösser, Vogt oder Rentmeister langsam die Gerichtsrechte ausserhalb der Stadt, im Amt. Sie verliessen den städtischen Bereich zu Gunsten des fürstlichen Amtes und trugen so massgeblich zur Ämterbildung [...] bei“ (S. 353). Der bereits angesprochene zunehmende Universitätsbesuch diente dabei bis zu Beginn des 16. Jahrhunderts freilich eher dem Ausweis eines Stellenanwärters als der „Rationalisierung der Abläufe“ (S. 378) in der Verwaltung. Wirkmächtiger war dafür wohl das ökonomische Interesse der Amtleute, aus ihrer Position trotz des allfälligen Netto-Prinzips der Abrechnung und der fast schon erwarteten Darlehensvergabe an den Herrn nicht nur sozialen Gewinn zu ziehen.

Dass bei dem räumlich und zeitlich weitgreifenden Ansatz Hesses in einigen Aspekten etwas kurz gegriffen wurde bzw. werden musste, ist angesichts der Fülle des ausgebreiteten Materials und der zupackenden Gesamtanalyse gerechtfertigt, wenn nicht gar notwendig. Zahlreiche illustrative Karten und Graphiken sowie ein Orts- und Personenregister runden diesen bemerkenswerten Band ab, der sowohl für die vergleichende Landesgeschichtsforschung und die Verfassungsgeschichte als auch für die Erforschung spätmittelalterlicher Elitenbildungen, zudem für die Geschichte der Urbanisierung wichtige Erkenntnisse bietet.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension