Titel
Ludwig Friedrich von Froriep (1779-1847). Ein Weimarer Verleger zwischen Ämtern, Geschäften und Politik


Autor(en)
von Häfen, Wiebke
Reihe
Veröff. d. Hist. Kommission für Thüringen, Kl. Reihe 19
Erschienen
Anzahl Seiten
345 S.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Martin Nissen, Institut für Geschichtswissenschaft, Humboldt-Universität zu Berlin

Obwohl Roger Chartier das Verhältnis von Wissenschaft, Verlagswesen und Lesepublikum bereits in den späten 1980er-Jahren als zentrales Themenfeld für eine New Cultural History vorschlug, wirkte hier zu Lande die Tradition der Firmenjubiläen und Unternehmensgeschichten zunächst weiter. „Verlagsgeschichte als Kulturgeschichte“ zu schreiben, ist ein noch immer kaum eingelöstes Programm.1 Allerdings sind in den letzten Jahren einige Arbeiten erschienen, die verlags- und buchhandelsgeschichtliche Themen unter wirtschafts-, sozial- und mediengeschichtlichen Fragestellungen untersucht haben, zuletzt Dirk Moldenhauers Dissertation über den Verleger Friedrich Perthes als Mittler zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit.2

Wiebke von Häfens Arbeit zu dem Weimarer Frauenarzt, Verleger und Landtagsabgeordneten Ludwig Friedrich von Froriep, die aus einer 2002 an der Universität Jena angenommenen Dissertation hervorgegangen ist, verbindet diese hochaktuelle Thematik mit einer zunehmend beliebten biographischen Herangehensweise. Sie selbst begründet die Relevanz der Arbeit nicht mit der herausragenden Bedeutung Frorieps, sondern mit dem Typus der „Normalbiographie“ (S. 6), an der exemplarisch übergreifende Fragestellungen geklärt werden könnten. Bei der Arbeit handelt es sich somit nicht, wie der Untertitel suggeriert, um eine verlagsgeschichtliche Studie, sondern um eine Biographie im klassischen Sinne, die in der Person Frorieps ihren Zusammenhalt findet. Da Froriep sich überwiegend in Weimar aufhielt, bleibt die Untersuchung auf den Raum des Großherzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach beschränkt; insbesondere interessiert von Häfen sich für das Beziehungsgeflecht von individueller Lebensführung und städtischer Kultur. Bei der Untersuchung des „Oppositions-Blatts“, einer frühliberalen politischen Tageszeitung, die zwischen 1817 und 1820 von Froriep herausgegeben wurde, sowie beim Vergleich der Verfassungsverhältnisse in Sachsen-Weimar-Eisenach und Württemberg greift sie über diesen Untersuchungsraum hinaus.

Im Mittelpunkt steht die Person Ludwig Friedrich von Froriep. Froriep, in Erfurt in einem protestantischen Pfarrhaus geboren, studierte in Jena Medizin, setzte sein Studium nach der Promotion in Wien fort und wurde 1804 nach der Habilitation Ordinarius der Geburtshilfe in Halle. 1808 ging er als Professor der Anatomie und Chirurgie nach Tübingen, wurde dort 1810 von König Friedrich I. von Württemberg in den Adelsstand erhoben und 1814 zu dessen Leibarzt berufen. 1816 kehrte er nach Weimar zurück, brach seine medizinische Karriere ab und trat in die Leitung des Landes-Industrie-Comptoirs seines Schwiegervaters Friedrich Justin Bertuch ein. 1818 wurde Froriep Geschäftsführer; nach Bertuchs Tod 1822 leitete er das Unternehmen in alleiniger Verantwortung. Neben erfolgreichen Fachzeitschriften war die politische Tageszeitung „Oppositions-Blatt“ das profitabelste Unternehmen des Verlags. Das Oppositions-Blatt, das Froriep in der kurzen Zeitspanne zwischen 1817 bis 1820 herausgab, trug wesentlich zur Verbreitung frühliberaler Politik- und Gesellschaftsvorstellungen bei.

Froriep war zwar ein guter Zeitungsverleger, jedoch ein schlechter Geschäftsmann. Das Unternehmen, das unter Bertuch und in der Anfangsphase von Frorieps Verlagsleitung seine Blütephase hatte, wirtschaftete zunehmend verlustreich und steuerte seit Beginn der 1830er-Jahre auf den Konkurs zu. Vermutlich wegen seiner sozialen Verantwortung als größter Arbeitgeber der Stadt zögerte Froriep den Verkauf des Verlages jedoch bis kurz vor seinem Tod hinaus.

Für die biographische Untersuchung, die anhand der Kapitelabfolge Sozialisation, Ausbildung und Wissenschaftskarriere, Familie und Freundeskreis und Bürger in Weimar erfolgt, geht von Häfen von einer Überlegung Dieter Langewiesches aus, inwieweit der Frühliberalismus nur eine „verfassungspolitische Bewegung mit einer mehr oder weniger offenen politisch-sozialen Weltanschauung“ gewesen sei oder auch „die bürgerlichen Alltagsnormen und die gesamte Lebensführung“ geprägt habe.3 Von Häfen fragt somit nach der „Affinität von bestimmten bürgerlichen Tugenden und politischer Ausrichtung“ (S. 309). Dabei konzentriert sie sich in häufig mikrohistorischem Zugriff auf die Person Frorieps und sein engeres familiäres und geschäftliches Umfeld.

Besonders gelungen sind die geschlechtergeschichtlichen Teile der Arbeit, in denen Frorieps Rolle als Vater, Ehemann und Oberhaupt der Familie untersucht werden (S. 104-153). Bei der Auswertung der Briefkorrespondenz mit seiner Frau Charlotte gewinnt die Arbeit Züge einer Doppelbiographie. Ähnlich wie in den sozialgeschichtlichen Arbeiten von Anne-Charlotte Trepp und Rebekka Habermas begreift von Häfen die Zeit um 1800 als „Experimentierphase“ (Kaschuba), in der der Vater noch in die Familie integriert war und sich der Frau erstaunliche Handlungsräume eröffneten. Bei der Erziehung der Tochter und der Einflussnahme auf deren Berufswahl und Eheplanung zeichnete sich die klare Zuweisung bürgerlicher Geschlechterrollen jedoch bereits ab. Erschwert wird die Lektüre in diesen Abschnitten durch eine überreiche Detailfülle sowie durch allzu ausführliche Briefzitate. Zwar treten so die handelnden Personen plastisch vor Augen. Der Übergang zu einer systematisierenden und abstrahierenden Darstellung erscheint jedoch teilweise abrupt.

Ein weiteres interessantes Ergebnis der Arbeit ist Frorieps Tätigkeit als Abgeordneter des Weimarer Landtags, dem er in den Sessionen von 1823 und 1826 angehörte. In dem aufgeklärten Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach wurde der politische Aushandlungsprozess durch die Initiativen des Hofes einerseits und die Facharbeit in den Landtagsausschüssen andererseits bestimmt. Politische Grundsatzfragen blieben weithin ausgespart. Der Landtag war nicht der Ort, um die staatliche Ordnung insgesamt in Frage zu stellen. Auch hierbei erwies sich Froriep als typischer Vertreter des Weimarer Bürgertums. Er nahm bei den Sitzungen des Landtags keine herausragende Position ein, prägte als Vorsitzender des Verwaltungsausschusses jedoch die Entscheidungsprozesse in politischen Detailfragen entscheidend mit und trat dabei durchaus für seine liberalen Überzeugungen ein. Durch die stille Hintergrundarbeit in den Ausschüssen konnte er so zu einem „Mittler zwischen höfischer und bürgerlicher Gesellschaft“ (S. 314) werden.

Am Schluss der Arbeit stellt von Häfen einen kurzen Vergleich mit anderen Frühliberalen wie Karl von Rotteck und Ludwig Uhland an und weist davon ausgehend die enge Verbindung von Alltagsnormen und politisch-sozialer Weltanschauung zurück: „Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Lebensführung, also der Ausgestaltung des privaten und geselligen Lebens, und der polischen Einstellung konnte mithin nicht festgestellt werden.“ (S. 316). Um in die bürgerliche Gesellschaft aufgenommen zu werden, seien „die für Geselligkeit benötigten Fähigkeiten und Eigenschaften“ (S. 311) wichtiger gewesen als die Übereinstimmung in politischen Grundhaltungen.

Bezogen auf Froriep kommt von Häfen jedoch eigentlich zu anderen Ergebnissen. Hier scheint die enge Verbindung der bürgerlichen Lebensführung Frorieps, seiner Wertschätzung von Erziehung und Bildung, von Tugendhaftigkeit und Fleiß einerseits und seinem politischen Engagement im Weimarer Landtag und in den Gesellschaftsvereinen der Stadt offenbar. Diesen Zusammenhang auf der Grundlage eines vergleichenden Blicks auf abweichende Ehekonzepte und politische Einstellungen anderer Frühliberaler gänzlich zu verwerfen, ist meines Erachtens nicht überzeugend.

Die vorliegende Studie schließt eine Forschungslücke zu dem Weimarer Verleger Johann Ludwig von Frorie.4 Die Arbeit ist klar gegliedert und verbindet in gelungener Weise chronologische mit stärker systematisierenden Kapiteln. Durch die Auswertung der umfangreichen Briefkorrespondenz Frorieps hat von Häfen einen wichtigen Beitrag zu einem bisher wenig beachteten Frühliberalen geleistet.5 Die in biographischen Werken nicht immer übliche Gleichgewichtung von Privatleben, Geschäftsleben und politischem und gesellschaftlichem Engagement korrespondiert in gelungener Weise mit dem Selbstverständnis des Protagonisten.

Einige Mängel der Arbeit sollen dennoch nicht unerwähnt bleiben. Die einzelnen Teile weisen einen sehr unterschiedlichen Arbeitsstand auf. Gut ausgearbeitete Abschnitte folgen auf unzureichend überarbeitete, teilweise unangebundene Passagen. Insbesondere wird die Lektüre durch fehlende Zusammenfassungen erschwert. Bei dem Schlusskapitel handelt es sich weitgehend um einen Ausblick auf die Familiengeschichte im 19. Jahrhundert. Die kurze Zusammenfassung am Ende des vierten Kapitels (S. 309-311) bietet keinen Ersatz. Es ist zu bedauern, dass Arbeiten wie diese häufig keinem Schlusslektorat von Verlagsseite mehr unterzogen werden. Störend fallen nicht nur Rechtschreib-, Kommafehler und unvollständige Sätze auf, sondern auch erhebliche Formatprobleme (fehlende gesperrte Leerzeichen, mehrere Leerzeilen nach Seitenumbruch, durchgehende Fußnotennummerierung über Kapitelgrenzen hinweg). Bei den teilweise wenig angebundenen Einschüben, die politische und sozialgeschichtliche Hintergrundinformationen liefern, wären Kürzungen möglich gewesen. Diese Hinweise richten sich jedoch vor allem an die Fachverlage, die Schlusslektorat und Satz immer häufiger den Autoren selbst aufbürden.

Anmerkungen:
1 Hübinger, Gangolf, Einleitung. Verlagsgeschichte als Kulturgeschichte, in: Ders. (Hrsg.), Versammlungsort moderner Geister. Der Eugen-Diederichs-Verlag – Aufbruch ins Jahrhundert der Extreme, München 1996, S. 9-23.
2 Moldenhauer, Dirk, Geschichte als Ware. Der Verleger Friedrich Christoph Perthes (1772-1843) als Wegbereiter der modernen Geschichtsschreibung, Köln, Weimar 2008.
3 Langewiesche, Dieter, Frühliberalismus und Bürgertum 1815-1849, in: Lothar Gall (Hrsg.), Bürgertum und bürgerlich-liberale Bewegung in Mitteleuropa seit dem 18. Jahrhundert, München 1997, S. 63-129, hier S. 75.
4 Ludwig Friedrich von Froriep ist bisher noch nicht einmal in der Neuen Deutschen Biographie aufgeführt, obwohl er zu seiner Zeit der wichtigste Arbeitgeber Weimars und einer der reichsten Bürger der Stadt war.
5 Wiebke von Häfen lehnt sich allerdings ganz an Dieter Langewiesches Konzept des Frühliberalismus an und vernachlässigt andere Ansätze, die den Liberalismus stärker an frühkonstitutionelle Bewegungen des 18. Jahrhunderts anschließen. So wurde die Studie von Uwe Wilhelm, Der deutsche Frühliberalismus von den Anfängen bis 1789, Frankfurt am Main 1995 nicht berücksichtigt.