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Titel
Alles authentisch?. Popularisierung der Geschichte im Fernsehen


Herausgeber
Fischer, Thomas; Wirtz, Rainer
Erschienen
Konstanz 2008: UVK Verlag
Anzahl Seiten
238 S.
Preis
€ 19,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Judith Keilbach, Dep. Media- en Cultuurwetenschappen, Utrecht University

Der vorliegende Sammelband wurde – so die beiden Herausgeber in ihrem Vorwort – durch den Historikertag 2006 in Konstanz angeregt, auf dem in mehreren Sektionen über Geschichte im Fernsehen diskutiert wurde. Mit ihrer Textauswahl bieten sie die Gelegenheit, den Befund einer „schwierigen“ Beziehung zwischen Historikern und Fernsehpraktikern einer Überprüfung zu unterziehen. Dabei heben Fischer und Wirtz im Vorwort hervor, dass die Feuilletons angesichts der Resonanz des Geschichtsfernsehens zwar von einem Bedeutungsverlust der Geschichtswissenschaft sprechen mögen, dass populäre Formen der Geschichtsvermittlung jedoch nicht ohne Historiker auskommen. Dies wird vor allem auch in den Beiträgen der Fernsehredakteure und -journalisten deutlich, die ihre fernsehpraktische Arbeit vorstellen und reflektieren.

Dem Vorwurf, das Fernsehen liefere Emotionen statt Argumente und produziere Nazikitsch, tritt beispielsweise Michael Kloft, Autor und Redakteur bei Spiegel TV, mit dem Hinweis entgegen, die Kenntnis des aktuellen Forschungsstands sei eine Grundbedingung für die Produktion von Geschichtsdokumentationen. Die Frage, wie viel Wissenschaft Zeitgeschichte im Fernsehen verträgt, beantwortet er mit Fallbeispielen verschiedener Kooperationsformen von Historikern und TV-Autoren. Resultieren aus einer „Nicht-Kooperation“ (S. 88) nicht zwangsläufig schlechte Filme, so betont Kloft dennoch, dass jeder TV-Autor „grob fahrlässig“ handeln würde, „wenn er nicht die Unterstützung von Experten in Anspruch nimmt“ (S. 92). Eine „ideale Zusammenarbeit“ (ebenda) beschreibt er exemplarisch anhand der Einbindung eines führenden Wissenschaftlers, der „seine vielfältigen, in Jahrzehnten gesammelten Erkenntnisse und Dokumente für den Film zur Verfügung stellte“ und für „Nachfragen stets erreichbar“ war (S. 93). Mit seiner Beschreibung verschiedener Darstellungsoptionen von Geschichte formuliert Kloft auch seine Ablehnung lehrstückhafter Sendungen, denn die „Erosion der Marktanteile bei den Zuschauern unter Fünfzig“ erfordere „neue Ideen und Wege [...], um die nachwachsenden Generationen an den Bildschirm zu fesseln“ (S. 88).

Aus der Perspektive eines wissenschaftlichen Beraters schildert hingegen Althistoriker Martin Zimmermann (Ludwig-Maximilians-Universität München) seine Erfahrungen im Rahmen einer Filmproduktion über die Ausgrabung von Troja. Er lässt dabei keinen Zweifel daran, dass Historikern vornehmlich die Funktion zukommt, Filmen und Fernsehsendungen Authentizität zu verleihen, indem sie der Presse und dem Publikum als Garant für die historische Verlässlichkeit vorgestellt werden. Zimmermann beschreibt, wie nicht nur während der Produktion seine Einwände gegen die Geschichtsdarstellung und Hinweise auf den Stand der wissenschaftlichen Forschung ignoriert wurden, sondern auch, dass Journalisten das Authentizitätsversprechen gerade durch ihre kritische Befragung der historischen Verlässlichkeit zusätzlich verstärken. „Ein beratender Historiker“, so Zimmermann, „sieht sich unversehens in der Rolle einer Autorität, welche der Fiktionalität das Siegel eines historischen Kernbestandes aufprägen soll“ (S. 159). Dass sein „Erfahrungsbericht“ implizit den im Sammelband enthaltenen Beiträgen der Fernsehpraktiker widerspricht, lässt sich möglicherweise auf den Unterschied zwischen dokumentarischen Sendungen und Fiktionalisierungen von Geschichte zurückführen, und die besondere Resistenz gegen wissenschaftliche Einwände kann dem spezifischen Kontext der Produktionsfirma TeamWorx geschuldet sein. Im Vergleich mit den Texten aus der Produzentenperspektive zeichnen sich jedoch auch die verschiedenen Erwartungen und Ziele einer wissenschaftlichen Beratung ab, denn zwischen der Überprüfung des Manuskripts, einer „Abnahme“ der Requisiten oder der großzügigen Bereitstellung von Forschungsergebnissen, wie Kloft sie sich wünscht, bestehen erhebliche Unterschiede. Über die amüsante Schilderung seiner Beratertätigkeit hinaus benennt Zimmermann zudem mögliche Fragestellungen an filmische Geschichtsdarstellungen und hebt dabei unter anderem die Historizität von Authentizitätsstrategien hervor, womit er sich gleichzeitig von der in vielen Filmproduktionen anzutreffenden Bemühung distanziert, die Vergangenheit authentisch zu rekonstruieren.

Edgar Lersch, Leiter des historischen Archivs des Südwestdeutschen Rundfunks (SWR), plädiert ebenfalls dafür, bei der Diskussion von Geschichtsfilmen und -fernsehsendungen stärker die historiografische Metaebene in den Blick zu nehmen. Er bemängelt zurecht, dass „eine Debatte über die Legitimität der Fiktionalisierung von Geschichte im Gang ist, die sich der großen Tradition dieser Auseinandersetzung mit der Vergangenheit zu wenig bewusst ist“ (S. 111), dass Überlegungen aus anderen Fachbereichen (zum Beispiel der Literaturwissenschaft) ausgeblendet und selbst theoretische Auseinandersetzungen, die im „eigenen“ Fach über die „fließenden Grenzen zwischen Fakten und Fiktionen“ (ebenda) stattgefunden haben, ignoriert werden. Dass dokumentarische Geschichtsfilme eine lange Tradition haben, bei der Beschäftigung mit der Vergangenheit vielfältigste formale Verfahren zum Einsatz gebracht wurden und die Vermischung von dokumentarischen und fiktionalen Elementen keine Neuheit ist, zeigt Lersch in einem Gang durch die Filmgeschichte. Dabei geht er auf die verschiedenen filmischen Elemente und narrativen Schemata ein, die zur Darstellung unterschiedlicher historischer Epochen genutzt werden (zum Beispiel das Aufsuchen historischer Schauplätze, der Einsatz von historischem Bildmaterial und Zeitzeugen, die narrative Form einer Gerichtsverhandlung, Reenactments usw.), und diskutiert ihre jeweiligen historiografischen Potenziale. Sein besonderes Interesse gilt dabei dem Umgang mit historischem Bildmaterial, das nur selten auf seinen Quellenstatus hin ausgewertet und oft nur illustrativ eingesetzt wird. Angesichts der nur losen Referentialität von Bildern und Geschichte in den Geschichtsdokumentationen adressiert Lersch die Kritiker von Fiktionalisierungen mit der Frage, warum sie die Archivbilder nach wie vor den „um Vermittlung des historischen Ereignisses bemühten Gestaltungsformen wie etwa die Spielszenen“ (S. 135) vorziehen. Selbstreflexiven Produktionen und experimentellen Formen räumt er im Angebotskontext des gegenwärtigen Fernsehens hingegen keine Chancen ein.

Auch Beate Schlanstein, stellvertretende Leiterin der Programmgruppe Dokumentation beim Westdeutschen Rundfunk (WDR), bezieht in ihre Überlegungen Mischformen ein und konstatiert, dass die Verwendung von fiktionalen Elementen keinen Widerspruch zur Authentizität von Filmen oder Fernsehsendungen bilden. Ihre kurze Begriffsklärung deutet die vielfältigen Konzeptionen von „Authentizität“ an. Sie kommt zu dem Schluss, dass man „mit Geschichte im Fernsehen heiter und leicht, gefühlvoll und ironisch, spielerisch und analytisch umgehen – und dabei authentisch sein“ kann (S. 225).

Thomas Fischer weist darauf hin, dass sich die Art der Geschichtsdarstellung in Abhängigkeit vom jeweiligen Medium verändert. Werde in der Fachwissenschaft eine historisch-kritische Analyse betreiben, so komme im Fernsehen medienbedingt der „Modus des subjektiven Erlebens“ (S. 33) zur Geltung, wobei Fischer diese beiden Darstellungsformen nicht als Gegensatz sondern als „unterschiedliche Narrative für verschiedene Publika“ (S. 34) versteht. Sein Text führt dabei vor Augen, dass sich der gegenwärtige Modus von Geschichtsdokumentationen, den er „Erzähl- und Erinnerungsfernsehen“ nennt1, erst im Laufe der Zeit herausgebildet hat. Für die Abkehr vom „Experten- und Erklärfernsehen“ sieht Fischer mehrere Gründe – nicht zuletzt die Konkurrenz der kommerziellen Sender und die Entdeckung der Zeitzeugen in der Geschichtswissenschaft. Der Beitrag des Leiters der Redaktion Bildung und Zeitgeschehen beim SWR gibt darüber hinaus einen Einblick in die Produktionsabläufe von Geschichtsdokumentationen, wobei insbesondere der Umgang mit Zeitzeugen und ihr Potential für den Darstellung der Vergangenheit in den Blick genommen wird, und schließt mit einer Beschreibung zeitgeschichtlicher Erzählformen, die eher an investigativen Dokumentationen orientiert sind.

Auch Frank Bösch, Professor für Fachjournalistik Geschichte (Universität Gießen), setzt sich mit der Figur des Zeitzeugen auseinander und beschreibt anhand von Dokumentationen über den Holocaust ihre historische Veränderung im Laufe der Fernsehgeschichte.2 Wurde in frühen Dokumentationen noch auf eine Individualisierung der Zeitzeugen verzichtet, so wird ihnen zunehmend Raum zur Selbstdarstellung gegeben und den Zuschauern damit gleichzeitig eine affektive Annäherung an die Vergangenheit angeboten – ein Befund, der mit zahlreichen Fernsehbeispielen untermauert wird. Bösch diskutiert diese Veränderungen zum einen im zeithistorischen Kontext (NS-Prozesse in den 1960er-Jahren, zunehmender Rechtsradikalismus Ende der 1970er-Jahre) und gibt zum anderen einen Ausblick auf die kommenden Jahre. Fungieren Zeitzeugen gegenwärtig noch als „Leitfiguren der Geschichtsdokumentationen“ (S. 71), so stellt er in Aussicht, dass Historiker zukünftig „stellvertretend die Rolle der Zeitzeugen übernehmen“ werden (ebenda) und skizziert mögliche Auftritte von Historikern, die sich „einfühlen“.

Fabio Crivellari geht hingegen dem Unbehagen nach, das sich angesichts der Popularisierung von Geschichte einstellt. Vor dem Hintergrund seines Befunds, dass sich „ein Hauptteil der Kritik, die sich an historische Filmproduktionen“ richtet, „weniger im akademischen als vielmehr im populären Mediensystem selbst wieder[findet]“ (S. 165) beschreibt Crivellari das Unbehangen an der Popularisierung von Geschichte aus systemtheoretischer Perspektive als einen selbstreferenziellen Moment der Medien. Im Gegensatz zu einer Kritik, die „der Eigenlogik des Medienverbundssystems verpflichtet“ bleibt (S. 168), schlägt er vor, mediale Praktiken als ritualisierte Kommunikation zu verstehen und verstärkt Aspekte wie narrative Schemata, Serialität, Anschlussfähigkeit an die Alltagskommunikation oder die Produktion von Aufmerksamkeit in den Blick zu nehmen, da diese einen erheblichen Einfluss auf die Formierung kollektiver Geschichtsbilder haben.

Rainer Wirtz konstatiert in seinem einleitenden Überblick über die verschiedenen Formen der Geschichtsdarstellungen in Film und Fernsehen hingegen, dass den Zuschauern angesichts der Vielfalt lediglich eine „spasmodic view“ bleibe und beschreibt in einem zweiten Beitrag unterschiedliche Authentifizierungsstrategien, die gegenwärtig nicht zuletzt mit einem „Cross-over der Identitäten“ operieren, wie Wirtz am Beispiel der gemeinsamen Fernsehauftritte von Schauspielern und „authentischen“ Personen, deren historische Erlebnisse nachgespielt werden, erläutert. Darüber hinaus enthält der Sammelband einen Wiederabdruck von Michael Wildts pointierter Analyse von „Der Untergang“3 und einen Werkstattbericht von Ulrich Brochhagen, in dem er die unterschiedlichen Ziele von zwei Geschichtsserien über die DDR darstellt, die er als Redakteur des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR) betreut hat.

Der Sammelband gibt einen Einblick in die zentralen Fragen der Debatte über die Darstellung von Geschichte im Fernsehen. Ihm hätte allerdings eine systematische Einleitung gut getan, um die einzelnen Beiträge im Feld der Diskussion zu positionieren und um auf unterschiedliche Konzeptionen (beispielsweise der Begriffe „Authentizität“ und „Popularisierung“) bzw. Zielsetzungen hinzuweisen. Durch die Heterogenität der Beiträge, die sich sowohl mit dokumentarischen als auch mit fiktionalisierenden Sendungen beschäftigen sowie unterschiedliche historische Epochen in den Blick nehmen, entsteht der Eindruck, als ließe sich über „Geschichtsdarstellung“ im Allgemeinen sprechen – wohingegen sich Zuschauererwartungen und filmische Verfahren in Abhängigkeit vom jeweiligen „Genre“ doch deutlich voneinander unterscheiden.4 In allen Beträgen fällt darüber hinaus das Primat der historischen Information auf: Unterhaltende oder experimentelle Formen, die ja ebenfalls im Fernsehen anzutreffen sind, finden im vorliegenden Sammelband keine Erwähnung. Insgesamt hätte eine Berücksichtigung der internationalen Diskussion sowie von Theoriedebatten, die in anderen (wissenschaftlichen) Disziplinen geführt werden, dem Band zusätzliches Gewicht verliehen.5

Anmerkungen:
1 Casetti und Odin schlagen zur Differenzierung der unterschiedlichen Konzeptionen von Fernsehen die Begriff Paläo- und Neofernsehen vor. Vgl. Francesco Casetti / Roger Odin, Vom Paläo- zum Neo-Fernsehen. Ein semiotisch-pragmatischer Ansatz, in: Ralf Adelmann u.a. (Hrsg.), Grundlagentexte zur Fernsehwissenschaft, Konstanz 2002, S. 311-333.
2 Siehe hierzu auch Michael Elm, Zeugenschaft im Film. Eine erinnerungskulturelle Analyse filmischer Erzählungen des Holocaust, Berlin 2008; Judith Keilbach, Geschichtsbilder und Zeitzeugen. Zur Darstellung des Nationalsozialismus im bundesdeutschen Fernsehen, Münster 2008.
3 Michael Wildt, „Der Untergang“: Ein Film inszeniert sich als Quelle, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History, Online-Ausgabe, 2 (2005), H. 1, <http://www.zeithistorische-forschungen.de/16126041-Wildt-1-2005> (14.12.2008).
4 Vgl. hierzu beispielsweise Bill Nichols, Representing Reality. Issues and Concepts in Documentary, Bloomington 1991.
5 Vgl. neben den einschlägigen Publikationen von Marc Ferro, Pierre Sorlin und Michéle Lagny bspw. auch Natalie Zemon Davis, Slaves on Screen. Film and Historical Vision, Cambridge 2002; William Guynn, Writing History in Film, New York 2006; Sylvie Lindeperg, Nuit et brouillard. Un film dans l'histoire, Paris 2007; Robert Rosenstone, History on Film / Film on History, Harlow 2006.

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