R. Van Dam: The Roman Revolution of Constantine

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Titel
The Roman Revolution of Constantine.


Autor(en)
Van Dam, Raymond
Erschienen
Cambridge u.a. 2007: Cambridge University Press
Anzahl Seiten
XII, 441 S.
Preis
£ 45,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Johannes Wienand, Seminar für Alte Geschichte und Epigraphik, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Monografischen Abhandlungen zu Konstantin dem Großen liegt in der Regel ein vorrangiges Interesse an der conversio Constantini zu Grunde, das heißt an Konstantins Stellung zum Christentum und an der Rolle des Kaisers für die Christianisierung des Imperium Romanum. Mit seiner Studie „The Roman Revolution of Constantine“ erhebt Raymond Van Dam den Anspruch, alternative Perspektiven auf die konstantinische Herrschaft zu entwickeln und Konstantin zunächst und vor allem als typischen römischen Kaiser zu begreifen.1 Dabei möchte Van Dam primär auf das administrative Regierungshandeln Konstantins und auf die kaiserliche Selbstdarstellung fokussieren. Als Kronzeugen seines Ansatzes führt der Autor Ronald Syme (The Roman Revolution) und Paul Zanker (Augustus und die Macht der Bilder) an.2 Die genaue Bedeutung dieser wegweisenden Augustus-Studien für Van Dams Analyse bleibt im Verlauf der Argumentation allerdings unklar;3 die Monografie ist dagegen stark von Van Dams eigenen Forschungen zu Gallien und Kappadokien geprägt.4 Gerade dadurch jedoch weist das Buch Vorzüge auf, die es für die Konstantinforschung wertvoll erscheinen lassen – wenngleich es letztlich auch Van Dam nicht vermeiden kann (und will), der Christianisierung einen zentralen Stellenwert in seiner Untersuchung einzuräumen.

Van Dams Untersuchung gliedert sich in drei Teile: Der erste Teil („A Roman Empire without Rome“) kreist um das Reskript von Hispellum, der zweite Teil („A Greek Roman Empire“) um das Inschriftendossier aus Orcistus. Im dritten Teil („Emperor and God“) untersucht Van Dam die Genese der christlichen Konzeption des römischen Kaisers unter Konstantin sowie deren weitere Entwicklung unter den nachfolgenden Herrschern bis Theodosius II. In zwei Appendizes liefert Van Dam den jeweiligen Originaltext sowie Übersetzungen und Datierungen der beiden Hauptquellen (Hispellum-Reskript und Orcistus-Dossier). Da Van Dam weniger an der Biografie Konstantins als vielmehr an den Strukturentwicklungen der Monarchie und des Reiches in der Übergangsphase zwischen Prinzipat und Spätantike interessiert ist, hat er sich gegen den typischerweise chronologisch arrangierten Aufbau biografischer Studien entschieden. Gerade dadurch schafft er sich den nötigen argumentativen Freiraum, um die „konstantinische Wende“ dort zu verorten, wo sie sich vollzog: Weder nachts in einem Zelt, als den Kaiser das Traumgesicht eines christlichen Siegeszeichens überkam, noch im Hirn eines machiavellistischen Taktierers, sondern im Spannungsfeld ergebnisoffener politischer Aushandlungsprozesse, die sich innerhalb spezifischer politischer, sozialer und kultureller Rahmenbedingungen vollzogen.

In den ersten beiden Teilen wird die kommunikative Logik der Petition zum archimedischen Punkt, mit dessen Hilfe die Herrschaft Konstantins in übergreifende Entwicklungszusammenhänge eingebettet und so historisch plausibilisiert werden kann. Der erste Teil widmet sich dem positiven Bescheid Konstantins auf das Gesuch der umbrischen Stadt Hispellum, einen kaiserlichen Namen annehmen und dem Kaiser einen Kaiserkulttempel mit den entsprechenden ludi und munera einrichten zu dürfen.5 Überzeugend arbeitet Van Dam heraus, dass für Konstantins Reskript Fragen der dynastischen Repräsentation sowie die Programmatik einer reichsweiten renovatio (durch die nicht zuletzt der Aufbau eines neuen Herrschaftszentrums in Konstantinopel ausbalanciert werden sollte) und nicht religiöse Überlegungen im Vordergrund standen. Mit seiner Rekonstruktion geht Van Dam in entscheidenden Details über die bisherige Forschung zum Hispellum-Reskript hinaus – die sich meist auf eine in der Regel christlich gedeutete Klausel konzentriert, in der Konstantin die Ausübung von superstitio im Tempel untersagt – und kann die Episode so als Ausgangspunkt nutzen, um ein Gesamtbild der Beziehung zwischen den Städten der westlichen Reichsteile und dem Kaiser sowie der historischen Entwicklung dieser Beziehung im Übergang zwischen Prinzipat und Spätantike zu entwerfen.

Der zweite Teil der Arbeit bietet eine komplementäre Untersuchung für das Verhältnis des Kaisers zum Osten des Reiches. Rat und Volk der phrygischen Ortschaft Orcistus hatten sich in der Zeit unmittelbar nach der Übernahme der östlichen Provinzen durch Konstantin mit einer Petition an den neuen Herrscher gewandt und um die Verleihung des Status einer civitas und damit zugleich um politische und finanzielle Unabhängigkeit von der benachbarten Stadt Nacolea gebeten.6 In der Sprachenfrage wie in der Religionsfrage waren die Petenten zu Festlegungen gezwungen, die den Erfolg des Gesuchs positiv oder negativ beeinflussen konnten, die aber zugleich in weitgehender Unkenntnis über die Erfolgsaussichten getroffen werden mussten. Die Entscheidung zur Verwendung des Lateinischen für die Kommunikation mit dem Herrscher auch im griechischen Osten ist in Van Dams Interpretation von größerer kultureller Bedeutung als die Selbstbeschreibung der Einwohner von Orcistus als „Anhänger der heiligsten Religion“ (sectatores sanctissimae religionis) – ein Verweis, den der Autor als „perhaps intentionally cryptic“ (S. 176) versteht. Wie beim Hispellum-Reskript für den Westen, so leitet Van Dam ausgehend vom Orcistus-Dossier die Axiome einer gelungenen Kommunikation zwischen Stadt und Kaiser für den Osten des konstantinischen Reiches ab und bietet damit im Verbund mit dem ersten Teil des Buches die Grundzüge eines differenzierten Bildes der politischen, kulturellen und religiösen Entwicklung des Imperium Romanum unter Konstantin.

Im dritten Teil seines Buches verfolgt Van Dam das Ziel, das Verhältnis von Innovation und Kontinuität in der Konzeption des Kaisers herauszuarbeiten und die dynamisierenden Faktoren zu identifizieren, die den Wandel des Herrscherbildes in der Phase der Christianisierung der römischen Monarchie bedingen. Dies gelingt ihm dadurch, dass er die Herrscherdiskurse in literarischen Zeugnissen christlicher Autoren nicht als bloße Widerspiegelungen von Deutungsangeboten versteht, die von der kaiserlichen Zentrale bereitgestellt werden. Vielmehr rekonstruiert Van Dam die Entwicklung als Wechselspiel, in dem sich kaiserliche Selbstdarstellung und externe Zuschreibungen gegenseitig beeinflussen. Wie Van Dam überzeugend herausarbeitet, hat sich auch durch die Christianisierung der kaiserlichen Repräsentation die grundlegende Funktionalität des Religiösen für die römische Monarchie zunächst nicht entscheidend geändert.7 Allerdings bildeten sich nun auf Seiten der christlichen Akteure umfassende (affirmative wie subversive) Herrscherdiskurse aus, die teils von der christlichen Tradition geprägt waren und somit innovative Aspekte enthielten, teils aber auch den institutionell gefestigten Erfolgsbedingungen genügen mussten, die das Streben nach Kaisernähe und kaiserlicher Patronage strukturierten. Dem Argument kommt zu Gute, dass Van Dam die Untersuchung bis in die erste Hälfte des 5. Jahrhunderts ausdehnt. Dabei zeigt sich, wie christliche Herrscherbilder in der Zeit von Konstantin bis Theodosius II. eine zunehmend wirkmächtige Eigendynamik erlangten und in steigendem Maße auf die Möglichkeiten der monarchischen Selbstbeschreibung zurückwirken konnten.8

Wo sich die Interaktion zwischen dem Zentrum und der Peripherie sowie die entsprechenden Interessen und Ziele der beteiligten Akteure so umfassend wie im Falle des Hispellum-Reskripts und des Orcistus-Dossiers herausarbeiten lassen, wird deutlich, dass das konkrete Regierungshandeln des Kaisers auch im 4. Jahrhundert noch zu einem erheblichen Teil als gestalterisches Reagieren auf Gesuche, Eingaben und Anfragen der Untertanen verstanden werden muss.9 Damit aber lässt sich der Wandel vom paganen zum christlichen Imperium nicht primär auf eine politische Programmatik zurückführen – gar auf eine „Nacht der Entscheidung“, wie sie in der Konstantinforschung noch immer so gerne beschworen wird. Da sich kaiserliche Reaktionen auf Gesuche der genannten Art meist an den Ansprüchen der Petenten orientieren, ist kaiserliches Handeln tendenziell so vielfältig, wie es die kulturellen Voraussetzungen, die Hoffnungen, Ängste und Wünsche der Untertanen sind, die die gewaltigen Räume des Imperiums mit Leben füllen und sich mit ihren Appellen an den Kaiser oder an dessen Verwaltungsbeamte wenden. Reichs- und Monarchiegeschichte rücken unter dieser Perspektive zu einem vernetzten Forschungsfeld zusammen und können sinnvoll nur in ihrer wechselseitigen Bedingtheit verstanden werden. Das wichtigste Verdienst von Van Dams Studie ist es, der Konstantin-Forschung diese Brücke geschlagen zu haben – und gerade an diesem Punkt kommt Van Dams profunde Kenntnis der Entwicklung spätantiker Provinzen zum Tragen.

Indem Van Dam die konstantinische Wende von den Provinzen des Reiches bzw. von den Untertanen und nicht vom Zentrum monarchischer Herrschaft her rekonstruiert, gelingt es ihm, das Gesamtbild eines Wandels zu skizzieren, der sich zwischen selbstläufigen Strukturentwicklungen einerseits und dem Gestaltungswillen und den Handlungsoptionen der beteiligten Akteure andererseits vollzog. Mit diesem Ansatz arbeitet Van Dam die synchrone Vielgestaltigkeit der Figur des Kaisers und zugleich auch die Kontinuitätslinien, die über die Herrschaft Konstantins hinweglaufen, deutlicher heraus, als dies in den meisten anderen Studien zu Konstantin geschieht. Diese Erträge haben allerdings einen Preis: In kaum einem anderen Konstantin-Buch bleibt die Person Konstantins so unbestimmt wie bei Van Dam – sie droht regelrecht hinter den Quellen bzw. hinter den Ereignissen zu verschwinden. Wer sich daran gewöhnt hat, anhand der so genannten „Selbstzeugnisse“ in Konstantins Seelenleben zu stöbern, wird sich damit nur schwer anfreunden können. Doch nur, wenn die verfügbaren Zeugnisse wie bei Van Dam als Ansatzpunkte genutzt werden, um die Vielfalt der kommunikativen Vorgänge zu rekonstruieren, in denen sich die Christianisierung der römischen Monarchie und die Ausbildung einer christlichen Konzeption des römischen Kaisers vollzog, kann Konstantin tatsächlich zu einem – auch dann freilich noch immer äußerst interessanten – „typical emperor“ (S. 11) werden.

Anmerkungen:
1 „In many situations Christianity was not Constantine’s primary concern. Because the practical obstacles to establishing imperial rule were overwhelming, becoming emperor, surviving as emperor, and imposing his authority were more pressing worries“ (S. 11).
2 Ronald Syme, The Roman Revolution, Oxford 1939; Paul Zanker, Augustus und die Macht der Bilder, München 1987 (bei Van Dam zitiert in der englischen Übersetzung von 1988).
3 Timothy D. Barnes (Was There a Constantinian Revolution?, in: Journal of Late Antiquity 2, 2009, S. 374–384) hat berechtigterweise darauf hingewiesen, dass die Quellenlage im Falle Konstantins eine prosopografische Analyse der Führungskreise, wie sie Syme für die octavianisch-augusteische Zeit betrieben hat, nicht zulässt. Die übrigen Berührungspunkte, auf die Van Dam verweist (S. 3–6), sind zu unspezifisch, um als Charakteristikum für das Vorgehen Symes angesehen werden zu können. Von einer „Revolution“, wie sie für den Übergang von der späten Republik zum frühen Prinzipat konstatiert werden kann, kann jedenfalls auch in Van Dams Rekonstruktion nicht gesprochen werden. Zankers Ansatz wiederum, die Bildsprache nicht als bloßes Epiphänomen römischer Herrschaft, sondern als politisch relevante Diskursarena zu verstehen, ist längst zu einem integralen Bestandteil der althistorischen Monarchiegeschichtsforschung avanciert.
4 Raymond Van Dam, Leadership and Community in Late Antique Gaul, Berkeley 1985; ders., Saints and their Miracles in Late Antique Gaul, Princeton 1993; ders., Kingdom of Snow. Roman Rule and Greek Culture in Cappadocia, Philadelphia 2002; ders., Families and Friends in Late Roman Cappadocia, Philadelphia 2003; ders., Becoming Christian. The Conversion of Roman Cappadocia, Philadelphia 2003.
5 Die politischen Entscheidungsträger in Hispellum zielten primär darauf ab, sich durch die beantragte Statuserhöhung von der politisch-ökonomischen Vorrangstellung der Nachbarstadt Volsinii zu lösen. Sie nutzten die Gunst der Stunde, als im Vorfeld der Tricennalien eine Romreise des Kaisers in Planung war, die Konstantin entlang der Via Flaminia – und damit in der Nähe der Stadt vorbei – in die Urbs führen sollte (was letztlich durch den Tod des Kaisers vereitelt wurde).
6 Wie beim Hispellum-Reskript, so kann auch im Falle von Orcistus die Initiative im Vorfeld einer geplanten (und eventuell tatsächlich durchgeführten) Reise des Kaisers nach Antiochia am Orontes verortet werden. Ob die Reise nach Antiochia tatsächlich stattfand, ist allerdings umstritten. Van Dam geht davon aus, dass sie zustande kam (vgl. dagegen etwa Pierre Bastien, Monnaie et donativa au Bas-Empire, Wetteren 1988, S. 78, Anm. 10). Die Zeit zwischen dem Aufenthalt des Kaisers in Byzantium am 8. November 324 und seinem Aufenthalt in Nicomedia am 25. Februar 325 lässt aber höchstens einen sehr kurzen Besuch zu. Eusebius (v. Const. 2,72) legt nahe, dass Konstantin den Plan für einen Besuch Antiochias kurzfristig aufgegeben hat (zum Itinerar des Kaisers im Winter 324/25 vgl. Timothy D. Barnes, The New Empire of Diocletian and Constantine, Cambridge, Mass. 1982, S. 76). Konstantin reagierte jedenfalls auf die Anfrage mit einer kurzen adnotatio an die Bevölkerung von Orcistus, die den positiven Bescheid enthielt, und mit einem Brief an den vicarius Ablabius, in dem sich die näheren Ausführungsbestimmungen befanden. Ein Reskript Konstantins aus dem Jahre 331, das ebenfalls als Teil des Dossiers überliefert ist, lässt auf eine zweite Petition der Stadt schließen, mit der Orcistus um eine Bestätigung der Privilegien bat.
7 Van Dam nennt hier die Legitimation kaiserlicher Autorität durch Identifikation mit der göttlichen Sphäre, die Entkopplung der Herrschaftsberechtigung von Senat, Volk und Armee, die Rolle der Religion für die Etablierung politischer Hierarchien sowie die Einheitsstiftung in Herrscherkollegien (S. 248).
8 An diesem Punkt der Argumentation schimmert nun in der Tat – wenn auch in modifizierter Form – das Vorbild der Zankerschen Analyse durch.
9 Dies wurde jüngst auch für die Herrschaft Valentinians I. überzeugend herausgearbeitet von Sebastian Schmidt-Hofner, Reagieren und Gestalten. Der Regierungsstil des spätrömischen Kaisers am Beispiel der Gesetzgebung Valentinians I., München 2008.

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