K. Christ: Der andere Stauffenberg

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Titel
Der andere Stauffenberg. Der Historiker und Dichter Alexander von Stauffenberg


Autor(en)
Christ, Karl
Erschienen
München 2008: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
201 S.
Preis
€ 22,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Kay Ehling, Staatliche Münzsammlung München

„Vor fünfzig Jahren übernahm Karl Christ eine Assistentenstelle bei dem angesehenen Althistoriker der Marburger Philipps-Universität Fritz Taeger. Damit begann eine neue Epoche im Institut für Alte Geschichte […]. Während die Professoren für Studenten unnahbar waren, hatte Christ ein Ohr für uns. In seinen Vorlesungen waren Fragen und Einwände zugelassen, in seinen Seminaren durfte man ihm sogar widersprechen. Wo gab es das damals?“, schreibt Alexander Demandt in seinem Nachruf (FAZ vom 3. April 2008, S. 35) auf den großen, am 28. März 2008 verstorbenen Karl Christ. Es gibt wohl keinen Kollegen in der Alten Geschichte, der nicht eines seiner vielen Bücher gelesen hätte. Mein erstes Christ-Buch war die im Jahr 1967 erschienene „Einführung in die Antike Numismatik“, die ich Mitte der 1980er-Jahre als angehender Student sicher fünf, sechs Mal, bestimmte Kapitel noch öfter las. In ihrer Art der Darstellung, ihrer Dichte und Prägnanz ist sie unübertroffen.

„Der andere Stauffenberg“ ist Christs letztes Buch; wieder eines, das für diesen Gelehrten typisch ist. Schon die Themenwahl: Wer sonst als Christ hätte sich an eine Biographie des Außenseiters Alexander von Stauffenberg gewagt? Typisch auch der Respekt, mit dem er dem Lebensweg eines anderen Historikers und dessen wissenschaftlichen Arbeiten begegnet. So gelingt es ihm, einerseits Stauffenbergs akademische Karriere in München und deren universitäres Umfeld anschaulich darzustellen (S. 62–83) und andererseits dessen Forschung in einer hoch präzisen, alles Wesentliche zusammenfassenden Weise zu erläutern (S. 84–136). Dass der Ruf auf den Münchner Lehrstuhl für Alte Geschichte im Jahr 1948 an Stauffenberg erging, hatte politische Gründe. Sein Vorgänger Helmut Berve war wegen seiner nationalsozialistischen Verwicklungen letztlich nicht mehr tragbar (obwohl die Verantwortlichen Berve halten wollten), und der Kandidat, an den der Dekan im Namen der Fakultät als erstes herantrat, der 1939 von den Nazis vertriebene Victor Ehrenberg, hatte es abgelehnt, nach Deutschland zurückzukehren. Ehrenbergs Absagebrief vom 20. Februar 1947 wird von Christ sehr schön als ein wahres „document humain“ bezeichnet (S. 64); Ehrenberg besprach später Stauffenbergs letztes Buch „Trinakria“ (HZ 200, 1965, S. 370–372). Unter diesen Bedingungen ist es kaum verwunderlich, dass das Verhältnis zwischen Stauffenberg und Berve gespannt blieb (S. 72 u. 153), im Übrigen auch wissenschaftlich: Während Stauffenberg in seiner 1933 erschienenen Monographie über Hieron II. dessen Herrschaft als eine konstitutionelle Monarchie aufgefasst hatte, betonte Berve in seiner 1959 publizierten Münchner Akademieschrift deren rein hellenistischen Charakter.1

Basierend auf den Beiträgen in der von Jakob Seibert herausgegebenen Centenarschrift zur Alten Geschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München 2 zeichnet Christ seine gewohnt souveränen Porträts von Stauffenbergs Kollegen Fritz Rudolf Wüst, Hermann Bengtson und Siegfried Lauffer (S. 66–75). Wie schwierig die ersten Münchner Jahre für Stauffenberg waren, beschreibt Christ mit folgenden Worten: „Die persönlichen Voraussetzungen für Graf Stauffenbergs Münchner Lehrtätigkeit waren denkbar schlecht: Jahre waren vergangen, seit er anspruchsvollere Vorlesungen gehalten hatte. Sein Kontakt zur internationalen Spezialforschung war abgerissen; er konnte deshalb auch seinen eigenen hohen wissenschaftlichen Ansprüchen nicht gerecht werden. Dieses Bewusstsein belastete zunächst die neuen Anfänge.“ (S. 75) Dennoch gelang es Stauffenberg, im Laufe der nächsten Jahre ein sehr eigenes Profil in Forschung und Lehre zu entwickeln. Im Mittelpunkt seiner Lehrtätigkeit standen Vorlesungen zu eher ungewöhnlichen Themen wie „Der Alte Orient und der Eintritt der Indogermanen in die Weltgeschichte“ (Wintersemester 1948/49), „Die Welt des 2. Jahrtausends“ (Sommersemester 1949) oder „Frühgriechische Geschichte im Rahmen der Mittelmeergeschichte“ (Wintersemester 1949/50) (S. 75). „Schon früh lassen sich zudem Stauffenbergs genuine Interessen an Sizilien und Pindar erkennen und ebenso die Dominanz von Dichtung und Denkmälern.“ (S. 76) Auch wenn er daneben durchaus konventionelle Seminarthemen anbot (und beispielsweise in den beiden Sommersemestern 1953 und 1954 gemeinsam mit Konrad Kraft, dem damaligen Konservator für antike Münzen an der Staatlichen Münzsammlung München, eine Übung veranstaltete: S. 76), blieb Stauffenberg auch im Lehrbetrieb ein Außenseiter: „Zu diesem persönlichen Profil, das dem Großteil der Auszubildenden häufig zu speziell erschien, kamen die Eigenart von Graf Stauffenbergs Sprache und Stil. Er lebte nun einmal in den spezifischen Formen des Georgekreises, die einer rationalen, nüchternen Gegenwart fremd waren. Doch Stauffenberg war darin zu keinen Kompromissen bereit und blieb bei seinen oft genug geradezu provozierenden Formulierungen.“ (S. 76)

Das ist sehr treffend beobachtet, aber Faszination und Wirkung, die George nicht nur auf Alexander und seine Brüder Berthold und Claus von Stauffenberg, sondern auf eine ganze Generation junger Menschen ausgeübt hat, werden bei Christ nicht recht deutlich. So wird nur kurz erwähnt, dass Alexander von Stauffenberg wie seine Brüder im Mai 1923 in Marburg bei George eingeführt wurde (S. 29), aber unter welchen näheren Umständen sie mit dem Meister in Berührung kamen und welche Beziehungen Alexander zu Mitgliedern des Georgekreises unterhielt, bleibt im Dunkeln. Die Freundschaft mit Robert Boehringer etwa hielt bis zu Stauffenbergs Tod. Letzterer widmete Boehringer sein Sizilienbuch Trinakria, und umgekehrt half jener mit einer großzügigen Spende bei der Drucklegung des von Siegfried Lauffer zusammengestellten Bandes: Alexander Schenk Graf von Stauffenberg, Macht und Geist. Vorträge und Abhandlungen zur Alten Geschichte, München 1972. Ostern 1924 befanden sich die Tübinger Professoren und Dozenten Wilhelm Weber, Joseph Vogt, Fritz Taeger und mit ihnen Alexander von Stauffenberg auf Exkursion in Palermo (S. 43). Gleichzeitig weilte die halbe George-Jüngerschaft ebenfalls im Süden: Albrecht von Blumenthal, Erich Boehringer, Maria Fehling, Ernst Kantorowicz, Berthold von Stauffenberg, Berthold und Diana Vallentin sowie Erika Wolters. Bei dieser Gelegenheit wurde jener berühmt gewordene Kranz am Porphyrsarkophag des Stauferkaisers Friedrich II. im Dom von Palermo niedergelegt, auf dessen Schleife der Satz SEINEN KAISERN UND HELDEN / DAS GEHEIME DEUTSCHLAND stand. Christ erwähnt auch nicht, dass Alexander gemeinsam mit seinen Brüdern und anderen (Walter Anton, von Blumenthal, den beiden Boehringers, Kantorowicz, Thormaehlen) am 5. Dezember 1933 im schweizerischen Minusio Totenwache am Sarge Georges hielt. Seine Eindrücke verarbeitete er in dem Gedicht „Totenwache“ (S. 37f.).3 Nur am Rande sei noch darauf hingewiesen, dass sich eine sehr lebendige Schilderung Stauffenbergs in dem Buch von Fey von Hassell findet.4 Sie lernten sich in Reinerz in Schlesien kennen, wo die Angehörigen der Familien Goerdeler, von Hofacker, von Hassell, Gisevius und Kuhn nach dem 20. Juli in Sippenhaft genommen wurden. Als guter Lateiner las Stauffenberg Dantes italienisch verfasste „Göttliche Komödie“ im Original. Bis Kriegsende hatten diese Frauen und Männer dann aber als heimliche Gefangene Heinrich Himmlers eine Odyssee durch verschiedene Konzentrationslager durchzustehen.

Es gibt wohl kaum einen Althistoriker seiner Generation (S. 144), den das Verhältnis von Dichtung und Staat, von Literatur und Macht, Dichtern und Herrschern so wie Stauffenberg beschäftigt hat.5 Die Auseinandersetzung mit diesem Themenkreis ist ohne Zweifel ein Erbe seiner George-Jüngerschaft und Stauffenberg darin wenigstens ebenso klassischer Philologe wie Historiker. Ihn trug die Überzeugung, dass Dichtung kein „begleitender Schmuck des Daseins“, sondern, wie Martin Heidegger es ausdrückt, „der tragende Grund der Geschichte“ sei, ja Dichtung überhaupt erst das Sein stifte.6 Dass Stauffenberg sich selbst als Dichter verstand, betont seine Tochter Gudula Knerr-Stauffenberg in dem am 31. Oktober 2007 geführten und S. 151–169 abgedruckten, hochinteressanten Gespräch mit Beck-Cheflektor Stefan von der Lahr ausdrücklich (besonders S. 159).

„Was bleibt von Alexander von Stauffenberg“, fragt Christ am Schluss seines Buches (Epilog: S. 137–150): zum einen der Aristokrat und Gentleman, der als Persönlichkeit durch Herkunft und Charakter weit aus dem Kreis der althistorischen Kollegen herausragte; zum anderen der Sizilienforscher und Pindarübersetzer. Pindar wurde Mitte der 1950er-Jahre zu einem „Generalthema“ (S. 145). Seine Übersetzung der ersten drei Olympischen Oden publizierte er bezeichnenderweise in der 1957 erschienenen Festschrift für Robert Boehringer. Verschiedene Übertragungen wurden in den von Uvo Hölscher herausgegebenen Band „Pindar. Siegeslieder“ (Frankfurt am Main u.a. 1962) aufgenommen. In seinem Ringen und Bemühen um diesen griechischen Dichter stand Stauffenberg in einer Tradition, die bis auf seinen Landsmann Hölderlin hinabführte. Diese ‚Genealogie‘ war für ihn zeitlebens bedeutsamer als die Anerkennung durch die Historikerzunft.

Anmerkungen:
1 Vgl. dazu die Erwiderung in: Schenk von Stauffenberg, Alexander, Trinakria. Sizilien und Großgriechenland in archaischer und frühklassischer Zeit, München u.a. 1963, S. 333ff., Anm. 28.
2 Seibert, Jakob (Hrsg.), 100 Jahre Alte Geschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München (1901–2001), Berlin 2002.
3 Über das Verhältnis der Stauffenbergs zu George bzw. dem Georgekreis unterrichten: Hoffmann, Peter, Claus Schenk Graf von Stauffenberg und seine Brüder, 2. Aufl., Stuttgart 1992; Riedel, Manfred, Geheimes Deutschland. Stefan George und die Brüder Stauffenberg, Köln 2006; Karlauf, Thomas, Stefan George. Die Entdeckung des Charisma, 4. Aufl., München 2007.
4 Hassell, Fey von, La Storia incredibile, Brescia 1990 (deutsch unter dem Titel: Niemals sich beugen. Erinnerungen einer Sondergefangenen der SS, München 2001).
5 Vgl. seine Aufsätze: Tragödie und Staat im werdenden Athen, Pindar und Sizilien, Vergil und der Augusteische Staat und dazu Christ, S. 107ff. u. 132ff.
6 Vgl. Heidegger, Martin, Erläuterungen zu Hölderlins Dichtung, in: ders., Gesamtausgabe, 1. Abteilung, Bd. 4, Frankfurt am Main 1981, S. 42f.

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