A. D. Ebert: Jüdische Hochschullehrer an preußischen Universitäten

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Titel
Jüdische Hochschullehrer an preußischen Universitäten (1870-1924). Eine quantitative Untersuchung mit biografischen Skizzen


Autor(en)
Ebert, Andreas D.
Erschienen
Frankfurt am Main 2008: Mabuse-Verlag
Anzahl Seiten
673 S.
Preis
€ 68,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Kerstin von der Krone, Seminar für Religionswissenschaft, Universität Erfurt

Das Verhältnis von Wissenschaft und Judentum kann aus zweierlei Perspektiven betrachtet werden: Zum einen hinsichtlich der Frage, welchen Stellenwert wissenschaftlichen Zugangsweisen im Judentum zugemessen wurde und welche Auswirkungen diese auf Juden und Judentum hatten. Dies führt unmittelbar zur jüdischen, religiös gebundenen Gelehrtentradition, welche jenseits der umfangreichen rabbinischen Kommentarliteratur in Antike und Mittelalter zahlreiche philosophische, mathematische, astrologische und medizinische Werke hervorbrachte. In der Moderne fand diese traditionelle Gelehrsamkeit ihre Fortsetzung und Umformung in der Wissenschaft des Judentums, welche jüdische Geschichte, Literatur und Philosophie mit Hilfe der historischen Kritik und der modernen Philologie historisierte und systematisierte. Hier prägte „Wissenschaft“ wesentlich jüdische Selbstwahrnehmung und Selbstverortung.

Eine andere Perspektive rückt die Frage nach den Entfaltungsmöglichkeiten von Juden als religiöse und ethnische Minderheit in der Wissenschaft und deren Institutionen in den Mittelpunkt. Universitäten, seit dem Mittelalter die maßgeblichen Orte der Forschung und höheren Lehre, blieben Juden lange verschlossen. Erste Zulassungen erfolgten an medizinischen Fakultäten. Ein umfassenderer Zugang zu deutschen Universitäten wurde jüdischen Studenten erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts gewährt. Fragt man nach der Situation von Juden im deutschen Wissenschaftsbetrieb, stehen vor allem strukturelle Fragen im Mittelpunkt, wie die Partizipations- und Aufstiegschancen jüdischer Wissenschaftler und deren etwaige Beschränkungen.

Andreas D. Ebert beschäftigt sich in seiner Dissertation aus dem Jahr 1996, die in einer überarbeiteten und erweiterten Fassung 2008 im Marbuse-Verlag erschien, mit den jüdischen Hochschullehrern preußischer Universitäten zwischen 1870 und 1924. Der Autor, heute Leiter der Klinik für Gynäkologie und Geburtsmedizin im Vivantes Humboldt-Klinikum in Berlin, stützt sich hier auf Archivbestände des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz, des Bundesarchivs Potsdam und diversere Universitätsarchive. Darunter befinden sich Akten des preußischen Ministeriums für geistliche, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten und deren Nachfolgeinstitutionen, die bis 1989 im Zentralen Staatsarchiv der DDR in Merseburg aufbewahrt wurden. In seiner Analyse dieser Daten konzentriert sich Ebert für den Zeitraum zwischen 1870 und 1896/97 auf die medizinischen und philosophischen Fakultäten aller preußischen Universitäten, für die Jahre 1919 und 1924 bezieht er darüber hinaus die juristischen Fakultäten ein. Die Breite der Studie verspricht somit nicht nur einen Vergleich der Situation jüdischer Hochschullehrer mit nicht-jüdischen – Ebert zieht die Situation katholischer Wissenschaftler als Vergleichsebene heran –, sondern hat zudem das Potential, Unterschiede zwischen natur- und geisteswissenschaftlichen Fächern und einzelnen Universitäten herauszuarbeiten. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass im genannten Zeitraum zahlreiche naturwissenschaftliche Fächer noch in den philosophischen Fakultäten angesiedelt waren. Die bisherige Forschung konzentrierte sich mehrheitlich auf naturwissenschaftliche Fächer 1, die spezifische Situation an einzelnen Universitäten 2 oder einzelnen Fächergruppen bzw. Fachbereichen.3

Ebert unterteilt seine Arbeit in vier Kapitel. Das einleitende Kapitel befasst sich mit der Situation jüdischer Hochschullehrer vor 1870 und beschreibt die Widerstände gegen die Aufnahme von Juden in die Universitäten. Man verstand Juden nicht nur als potentielle Konkurrenz, sondern zweifelte gleichermaßen an ihrer moralischen Eignung. Das dezidiert protestantische Selbstverständnis preußischer Universitäten blieb auch über 1870 hinaus für Juden wie Katholiken ein mittelbares oder unmittelbares Karrierehindernis. Das zweite Kapitel beschreibt die Religionszugehörigkeit der Hochschullehrer preußischer Universitäten zwischen 1870 und 1896/97, jeweils für die medizinischen und die philosophischen Fakultäten, geordnet nach den Erhebungszeitpunkten der Ministerialdaten und ergänzt durch biographische Informationen zu den Dozenten jüdischer Herkunft. Das dritte Kapitel, das Daten für die Jahre 1919 und 1924 vorstellt, weicht von dieser Ordnung insofern ab, als dass für beide Erhebungszeitpunkte jede Universität mit ihrer medizinischen, philosophischen und nun auch juristischen Fakultät beschrieben wird. Kapitel 2 und 3 bilden den Kern der Arbeit und umfassen zirka zwei Drittel des Buches. Die Materialfülle und die Anordnung dessen verstellen leider oft den Blick für das Wesentliche und führen zu unnötigen Wiederholungen. Insbesondere Grundsatzfragen wie mittel- und langfristige Entwicklungen der Fächer- und Standortwahl werden, auch wenn durchaus darauf verwiesen wird, nur unzureichend herausgearbeitet. Dies gilt ebenso für die formellen wie informellen Faktoren für die Berufung oder Nichtberufung jüdischer Hochschullehrer.

Neben den beiden Kapiteln, die sich den statistischen Daten und den biographischen Informationen widmen, präsentiert Ebert ein weiteres Kapitel, dass die wesentlichen Diskussionsansätze der letzten Jahre zusammenfasst. Wie bereits für die vorangegangen Kapitel wäre auch hier eine stringentere Strukturierung hilfreich gewesen, auch wenn nun erfreulicher Weise einigen der bisher nur unzureichend thematisierten Grundsatzfragen nachgegangen wird. Dazu zählt etwa der Umstand, dass jüdische Schüler und Studenten in höheren Lehrinstitutionen überproportional vertreten waren, was grundsätzlich zu beachten ist, will man die Berufswege jüdischer Akademiker bewerten. Darüber hinaus diskutiert Ebert die Rolle der Taufe als Karrieremotor oder die Bedeutung des Ordinariats als Kriterium akademischen Erfolges. Eberts quantitative Studie ist angesichts ihres repräsentativen Charakters ein wichtiges Pendant insbesondere zu den Arbeiten der israelischen Historikerin Shulamit Volkov. Ihre Erkenntnisse, basierend auf einer kleinen Fallstudie zu jüdischen Spitzenforschern, bildet für Ebert, ungeachtet einiger im Übrigen nicht immer nachvollziehbaren Kritikpunkte, eine wichtige Referenz. In der Bewertung der vorgestellten Diskussionsansätze neigt Ebert jedoch dazu, die Erkenntnisse für den medizinischen Bereich, der insbesondere im Vergleich zu den geisteswissenschaftlichen Fächern mehr Spielräume für jüdische Hochschullehrer bot, überzubewerten.

So bleibt festzuhalten, dass Andreas D. Ebert hier ungeachtet der recht detailverliebten Darstellung und der in Teilen uneinheitlichen Strukturierung, aufschlussreiche quantitative Daten zur Lage jüdischer Hochschullehrer an preußischen Universitäten vorgelegt hat. Wiederum verleiht die detailreiche Vorstellung der einzelnen jüdischen Dozenten dem Werk beinahe den Charakter eines biographischen Handbuches. Erfreulich ist zudem, dass jüdische Hochschullehrer nicht allein als Objekte der preußischen Hochschulpolitik vorgestellt werden, sondern vielmehr als Akteure und aktive Gestalter der universitären Wissenschaften.

Anmerkungen:
1 Thorstein Veblen, The Intellectual Pre-Eminence of Jews in Modern Europe, in: Political Science Quarterly 34,1 (1919), S. 33-42. In Bezug darauf: Shulamit Volkov, Soziale Ursachen des jüdischen Erfolges in der Wissenschaft, in: Historische Zeitschrift 245 (1987), S. 315-342, dies., Juden als wissenschaftliche „Mandarine“, in: Archiv für Sozialgeschichte 37 (1997), S. 1-18, sowie: Ulrich Charpa / Ute Deichmann (Hrsg.), Jews and Sciences in German Contexts. Case Studies from the 19th and 20th Centuries, Tübingen 2007.
2 Aleksandra Pawliczek, Kontinuität des informellen Konsens. Die Berufungspolitik der Universität Berlin und ihre jüdischen Dozenten im Kaiserreich und in der Weimarer Republik, in: Rüdiger vom Bruch / Uta Gerhardt / Aleksandra Pawliczek (Hrsg.), Kontinuitäten und Diskontinuitäten in der Wissenschaftsgeschichte des 20. Jahrhunderts, Stuttgart 2006, S. 69-92, sowie Stephan Wendehorst (Hrsg.), Bausteine einer jüdischen Geschichte der Universität Leipzig, Leipzig 2006.
3 Neben den bereits genannten u.a. Mitchel Ash, Innovation, Ethnicity, Identity. German-Speaking Jewish Psychologists and Social Scientists in the Interwar Period, in: Jahrbuch des Simon Dubow Instituts 3 (2004), S. 241-268, und: Ulrich Sieg, Der Preis des Bildungsstrebens. Jüdische Geisteswissenschaftler im Kaiserreich, in: Andreas Gotzmann / Rainer Liedtke / Till van Rahden (Hrsg.), Juden, Bürger, Deutsche. Zur Geschichte von Vielfalt und Differenz 1800-1933, Tübingen 2001, S. 67-95.

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