N. Rollings: British Business in the Formative Years

Titel
British Business in the Formative Years of European Integration, 1945-1973.


Autor(en)
Rollings, Neil
Reihe
Cambridge Studies in the Emergence of Global Enterprise
Erschienen
Anzahl Seiten
278 S.
Preis
$ 68,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Werner Bührer, Fakultät für Wirtschaftswissenschaften, Technische Universität München

Neil Rollings, Leiter des Departments für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Glasgow, geht in seinem für deutsche Gepflogenheiten bemerkenswert schmalen, nichtsdestotrotz höchst material- und ideenreichen Buch dem Fragenkomplex nach, warum insbesondere die Spitzenverbände der britischen Industrie der europäischen Integration im Großen und Ganzen positiv gegenüber standen, inwiefern sich die Ansichten bis zum Beitritt Großbritanniens im Jahr 1973 ausdifferenzierten und veränderten, und welchen Einfluss Verbände, Branchen und bedeutende Einzelunternehmen auf den Entscheidungsprozess in London hatten. Er wertete dafür, neben englischsprachiger Fachliteratur, unveröffentlichtes Material aus zahlreichen Archiven aus, darunter Akten der wichtigsten involvierten Ministerien, Parteien, Unternehmerverbände und Unternehmen. Zumindest für die letzte Phase des Untersuchungszeitraums, die Jahre 1969 bis 1973, zählt Rollings’ Studie damit zu den ersten aktengestützten Darstellungen der britischen Europapolitik.

Das Buch ist nach systematisch-chronologischen Gesichtspunkten gegliedert. Im ersten Teil werden die integrationsrelevanten wirtschaftlichen Realitäten analysiert: die britische Außenhandelsstruktur einschließlich des Problems der Commonwealth-Präferenzen bei einem Beitritt zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) sowie die ausländischen Direktinvestitionen. Hier kann Rollings unter anderem zeigen, dass die Commonwealth-Länder bereits seit den frühen 1960er-Jahren nicht mehr den Hauptexportmarkt für Großbritannien bildeten und somit eine entscheidende Hürde für eine engere Assoziation mit der EWG verschwand. Und im Fall der Direktinvestitionen weist er nach, dass sich manche Großunternehmen schon seit den späten 1950er-Jahren auf dem Kontinent engagierten. Mit anderen Worten: „British business adjusted their corporate strategies towards Europe earlier than has been commonly suggested.“ (S. 69) Trotz solcher Trends in Richtung einer europäischen Orientierung lehnt Rollings indes die These von einem ökonomischen Determinismus zugunsten des Beitritts zur EWG entschieden ab.

Die fünf Kapitel des zweiten Teils sind chronologisch angelegt und zeichnen die verschiedenen Etappen auf dem Weg zum Beitritt nach. Obwohl die britische Industrie in dem Jahrzehnt zwischen Kriegsende und der Messina-Konferenz nicht aktiv an den Überlegungen zur Integration Europas beteiligt war, hielt sich der britische Spitzenverband dank seiner Mitgliedschaft in verschiedenen transnationalen Industrieverbänden über die Entwicklungen auf dem Laufenden. Als jedoch der Gemeinsame Markt in den Jahren 1955 bis 1958 mehr und mehr Gestalt annahm, entwickelte die britische Industrie zusammen mit der Regierung den Vorschlag einer Freihandelszone – zunächst als Alternative zur EWG, nach deren Gründung zumindest als gemeinsamer Rahmen für die „Sechs“ und die übrigen interessierten westeuropäischen Länder einschließlich Großbritanniens, freilich ohne Erfolg. Das nächste Kapitel behandelt die Gründung der European Free Trade Association (EFTA), den ersten britischen Beitrittsantrag zur – wirtschaftlich wesentlich dynamischeren – EWG und dessen Scheitern am Veto Frankreichs 1963. In dieser Phase und insbesondere bei der Gründung der EFTA spielte der britische Spitzenverband FBI eine so entscheidende Rolle, dass er sich für deren Fortexistenz verantwortlich fühlte und sein Interesse an der EWG deshalb nachließ. Unter diesen Umständen waren es vor allem einzelne Unternehmen und Unternehmer, die zugunsten der EWG Druck ausübten. Ungeachtet des Schocks, den das Veto auslöste, ließ das Interesse der britischen Industrie auch in den folgenden Jahren, denen das vorletzte Kapitel des zweiten Teils gewidmet ist, nicht nach, zumal der nun unter dem Namen CBI firmierende Spitzenverband unter neuer Leitung ebenfalls für einen zweiten Beitrittsantrag votierte, ehe das neuerliche französische Veto 1967 für tiefe Resignation in Industriekreisen sorgte. Das letzte Kapitel des chronologischen Teils analysiert die Überlegungen und Entwicklungen nach de Gaulles Rücktritt im April 1969, die schließlich doch zum Beitritt Großbritanniens führten.

Der letzte, wiederum systematisch angelegte Teil thematisiert mit der Wettbewerbspolitik, Besteuerungsfragen und dem Gesellschaftsrecht drei Problemkomplexe, die neben den zu Beginn der Studie erörterten Politikfeldern für die Haltung der britischen Industrie zur europäischen Integration ausschlaggebend waren. In einer knappen Zusammenfassung rekapituliert Rollings am Ende die wichtigsten Ergebnisse der Arbeit und verbindet dies mit Vorschlägen für die künftige Forschung, die in Richtung einer stärkeren Europäisierung des Forschungsdesigns sowie einer intensiveren Verknüpfung der politischen und der wirtschaftlichen Dimension der europäischen Integration zielen.

Rollings relativiert die gängige These von den „verpassten Gelegenheiten“ der britischen Europapolitik, indem er nachweist, dass zumindest die Industrie ihre Möglichkeiten, etwa durch Direktinvestitionen im EWG-Raum, durchaus schon vor dem Beitritt wahrnahm. Überhaupt fällt auf, dass die Spitzenverbände den Integrationsprozess kontinuierlich verfolgten und die europapolitische Meinungsbildung in der britischen Industrie in sehr viel höherem Maße stimulierten und organisierten, als dies beispielsweise in der Bundesrepublik der Fall war. Und erstaunlicherweise scheint in diesem Zusammenhang die Frage der ordnungspolitischen Ausrichtung der Montanunion und der EWG bei weitem nicht jene herausragende Rolle gespielt zu haben wie hierzulande, wo sich Ludwig Erhard sowie die Mehrzahl der Verbände und Industriellen über den vermeintlichen Dirigismus der Hohen Behörde bzw. der Kommission echauffierten. Darüber hinaus birgt das Buch zahlreiche Beobachtungen, die über den britischen Fall hinaus Beachtung verdienen: Dazu zählt zum Beispiel der Hinweis, dass Perzeptionen oft wichtiger sind als ökonomische „Realitäten“ oder dass europapolitische Positionen eine Vielzahl von Ansichten und Überzeugungen widerspiegeln, die sich oft nicht nur von Branche zu Branche, sondern sogar von Unternehmen zu Unternehmer einer Branche unterscheiden. Alles in allem also eine verdienstvolle und höchst lehrreiche Arbeit.

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