M. Steinbach u. a. (Hrsg.): Zweimal Amerika

Titel
Zweimal Amerika. Deutsche Reisetagebücher 1926 und 1990


Herausgeber
Steinbach, Matthias; Schlotter, Sven
Erschienen
Anzahl Seiten
144 S.
Preis
€ 24,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Adelheid von Saldern, i.R., Historisches Seminar der Leibniz Universität Hannover

Amerikaberichte sind an sich keine Seltenheit, und einige von ihnen sind auch schon auszugsweise veröffentlicht und ausgewertet worden.1 Sie sind eine reichhaltige Quelle, deren Wert vor allem in den individuellen Perspektiven liegt. So geht es weniger um die Kenntnisnahme neuer Sachverhalte und schon gar nicht um wissenschaftlich anspruchsvolle Texte, sondern mehr um subjektive Wahrnehmungsweisen und Mitteilungsformen. In diesem Zusammenhang ist zu fragen, auf welche Art Eindrücke verarbeitet, mit welchen Assoziationen sie verbunden und mit welchen Kommentaren sie versehen wurden. Ferner gilt es, die Texte darauf hin zu befragen, was nicht thematisiert wurde, welches vielleicht die Gründe dafür waren und welche unterschwelligen Aussagen den Subtexten zu entnehmen sind.

Der erste Bericht stammt vom Jenaer Philosophieprofessor und Neukantianer Bruno Bauch (1877-1942), der im Jahre 1926 zu einem Fachkongress in die USA reiste. Bauch, der sich nach 1933 zum NS-Staat bekennen sollte, gehörte in der Weimarer Republik zu den Protagonisten der „deutschen Kultur“. Dementsprechend warnte er in seinem Bericht vor der „kulturzerstörerischen Gefahr des Kapitalismus“ und Amerikanismus samt dem von ihm verachteten Pragmatismus. Höchst reserviert stand er den angeblich gleichmacherischen Tendenzen der Demokratie und der Massenkultur gegenüber. Erwartungsgemäß sind auch die Äußerungen über die ‚amerikanische Frau’, die allerdings in den einleitenden und kommentierenden Ausführungen der Herausgeber unterbelichtet bleiben. Hier traten die kulturellen Voreingenommenheiten Bauchs bezeichnenderweise am sichtbarsten hervor. Sie wurden durch abfällige Hinweise auf Juden und „Neger“ begleitet. Solche allseits bekannten Wahrnehmungs- und Denkschemata können als zeittypisch für Kulturkonservative der 1920er-Jahre bezeichnet werden. Der Wert dieses Berichtes liegt deshalb vor allem in den Beobachtungen des Fachkongresses und der Beschreibung einiger Kollegen Bauchs sowie in dem verschiedentlich zum Ausdruck gebrachten Erstaunen über die Größe der materiellen Ressourcen der Universitäten und Forschungseinrichtungen. So verdient es besondere Anerkennung, dass die Herausgeber in den Fußnoten und Sven Schlotter in seinem Kommentar zum Amerika-Tagebuch Bauchs gerade diesen Aspekt der Reisebeschreibung sehr gut erschließen.

Der zweite Teil des Buches besteht aus zwei Beschreibungen einer Amerikareise aus dem Jahre 1990. Zum einen handelt es sich um ein Tagebuch, das die damals schon pensionierte Lehrerin Ursula Schäfer verfasste. Zum anderen geht es um die Erinnerungen ihres Ehemannes, Peter Schäfer, der Professor für Nordamerikastudien an der Jenaer Universität war.

Der Ehemann sieht sich beeindruckt von der „Weitläufigkeit des Landes“, vom Zustand der Universitäten, von den gut ausgestatteten Museen, von den vielen Sehenswürdigkeiten in und um Washington herum sowie von den komfortablen Wohnverhältnissen für die Mittelschichten. Negativ beeindruckt waren beide Autoren lediglich von den Bettlern und den vielen homeless people. In beiden Texten wird überdies recht positiv über den Wissenschaftsbetrieb des gastfreundlichen Deutschen Historischen Instituts samt den dort tätigen Personen berichtet.

Im Unterschied zur Reisebeschreibung Bauchs gibt es für die Texte vom Ehepaar Schäfer leider keinen Kommentar von Seiten der Herausgeber. So bleibt man beispielsweise bei der nahe liegenden Frage allein gelassen, ob geschlechterspezifische Wahrnehmungsweisen zu finden sind und bei welchen Gelegenheiten Erfahrungen, die in der DDR gemacht worden waren, in den Wahrnehmungsweisen des fremden Landes zum Vorschein traten, etwa in Frau Schäfers Erstaunen über die Prüderie. Was der Mitherausgeber Matthias Steinbach in seiner kurzen Gesamteinleitung lediglich verwundert feststellte, war der Eindruck, dass sich das über viele Jahre von der DDR propagierte Negativbild über die USA in den Reiseberichten des Ehepaars nicht niedergeschlagen habe. Nach einer Erklärung dieses Sachverhalts sucht man freilich vergebens.

Zum Schluss bleibt die Frage zu beantworten, ob es einleuchtet, dass die Reiseberichte, deren Entstehung 64 Jahre auseinander liegen, zusammen in einem Buch veröffentlicht worden sind. Es handle sich um eine diachrone Zusammenschau von einer rechten und einer linken Position aus – so ist in der Einleitung zu lesen. Auch werde die Zusammenlegung der Texte dadurch gerechtfertigt, dass diese eine generelle Kritik an der Moderne enthielten. Darüber hinaus repräsentierten die Texte deutsches Nationalbewusstsein. Ganz überzeugt haben mich diese Argumente freilich nicht, zumal weder der Kulturkonservativismus der Weimarer Republik, noch das offiziöse Amerika-Bild der DDR, noch das „deutsche Nationalbewusstsein“ und das, was unter Moderne verstanden werden soll, näher beschrieben und analysiert werden. So verwundert es auch nicht, dass das Literaturverzeichnis als recht ergänzungsbedürftig anzusehen ist. Die Quellentexte sind, und darin liegt der Wert des Buches, gut für Seminare einsetzbar, und zwar nicht nur beim Thema USA-Reiseberichte, sondern auch in Lehrveranstaltungen über die transnationale Kommunikation von Wissenschaftlern. Hinzu kommt, dass die Lektüre der drei Quellentexte recht kurzweilig ist.

Anmerkung:
1 Siehe vor allem Schmidt-Gernig, Alexander (Hrsg.), Amerika erfahren – Europa entdecken. Zum Vergleich der Gesellschaften in europäischen Reiseberichten des 20. Jahrhunderts, Berlin 1999.

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