P. Bew: Ireland: The Politics of Enmity 1789-2006

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Titel
Ireland. The Politics of Enmity 1789-2006


Autor(en)
Bew, Paul
Reihe
Oxford History of Modern Europe
Erschienen
Anzahl Seiten
632 S.
Preis
£ 35.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Florian Keisinger

Paul Bew, Historiker und Lehrstuhlinhaber für Irish Politics an der Queen's University Belfast, lässt sein Überblickswerk zur irischen Geschichte mit der Französischen Revolution beginnen. Wer mit den Sensibilitäten irischer Geschichtsschreibung vertraut ist, weiß, dass dies nicht selbstverständlich ist.

Während der 1790er-Jahre hofften die Iren, die britische Besatzung mit schlagkräftiger Unterstützung des revolutionären Frankreichs abzuschütteln. Als Gerüchte die Runde machten, eine 15.000 Mann starke französische Flotte habe Kurs auf die irische See genommen, wagten die United Irishmen 1798 den Aufstand. Widrige Wetterbedingungen erzwangen jedoch die Umkehr der französischen Schiffe und die Erhebung war zum Scheitern verurteilt. Dennoch gelangten in der Folge zahlreiche Londoner Politiker zu der Überzeugung, dass ein westlicher Unruheherd die Sicherheit Großbritanniens nachhaltig gefährde. Im Jahr 1800 wurde Irland dem Königreich einverleibt, ein Zustand, an dem sich bis zur Ausrufung des Irish Free State 1922 nichts ändern sollte. Noch heute sehen viele Iren darin eine entscheidende historische Zäsur, die den Einritt Irlands ins 19. Jahrhundert markierte. Diesen spezifisch irischen 'Sehepunkt' relativiert Bew, indem er seine irische Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts mit der Französischen Revolution eröffnet und damit in einem europäischen Kontext verortet.

Auch an anderer Stelle ist Bew bemüht, den Mythos vieler Iren als the Most Oppressed People on Earth (MOPE) zu korrigieren. So kann er unter anderem überzeugend darlegen, dass von britischer Seite sehr wohl Versuche unternommen worden sind, die Auswirkungen der Famine (1845-49) auf die irische Landbevölkerung zu mindern. Dergleichen Bemühungen scheiterten jedoch nicht zuletzt an der Gegenwehr irischer Nationalisten, die ihrerseits versuchten, das Leiden der Bevölkerung zu instrumentalisieren, um so ihren politischen Zielen Nachdruck zu verleihen.

Aufschlussreich sind auch die Passagen zu den bislang kaum erforschten Verflechtungen irischer Nationalisten mit den Machthabern des Dritten Reiches. Die I.R.A. orientierte sich am Organisationsmuster der SS, versorgte die deutsche Luftwaffe mit detaillierten Karten von Belfast (auf denen wohlweislich die katholischen Stadtteile markiert waren) und schmiedete darüber hinaus Pläne - getreu dem Motto: Der Feind meines Feindes ist mein Freund - für eine gemeinsame irisch-deutsche Invasion Ulsters. Zeitgleich kursierte in Westminster die Überlegung - von Chamberlain entwickelt und von Churchill weiterverfolgt -, den Iren als Preis für eine militärische Unterstützung die nationale Einheit zuzugestehen. Aus beiden Plänen wurde bekanntlich nichts. Irland wahrte während des gesamten Zweiten Weltkrieges seine Neutralität, wenngleich eine beeindruckende Zahl irischer Freiwilliger auf beiden Seiten im Einsatz und Irland das letzte neutrale Land war, das Beziehungen mit dem nationalsozialistischen Deutschland unterhielt.

Trotz dieser bisweilen deutlichen Kritik an der Politik irischer Nationalisten gerät Bew nicht in den Verdacht, eine einseitig unionistische Lesart der irischen Geschichte vorzulegen. Im Gegenteil, seine Urteile sind stets differenziert und berücksichtigen sowohl die Zeitumstände wie auch die Lage der Akteure. Deutlich wird dies unter anderem dort, wo Bew heftig mit einer englischen Politik ins Gericht geht, die, entgegen dem Zuraten von klugen Zeitgenossen wie Edmund Burke, über Jahrzehnte hinweg die Emanzipationsbestrebungen irischer Katholiken systematisch unterdrückte. Burkes Forderungen nach einer rechtlichen Gleichstellung der Katholiken, aus Gründen der Gerechtigkeit, aber auch zur Stabilisierung der politischen Verhältnisse, ziehen sich wie ein roter Faden durch Bews Darstellung der irischen Geschichte.

Besonders lesenswert ist jedoch das letzte Kapitel, das unter der Überschrift The Era of the Troubles die Jahre zwischen 1968 und 2005 abhandelt, vom Ausbruch der gewaltsamen Unruhen in Belfast und anderenorts bis zur offiziellen Ankündigung der Waffenniederlegung durch die I.R.A. am 28. Juli 2005. Zumal Bew hier nicht nur als Historiker, sondern auch als bestens informierter Zeitgenossen in Erscheinung tritt. Als ehemaliger informeller Berater David Trimbles, dem früheren nordirischen Premierminister und Vorsitzenden der Ulster Unionist Party (UUP), sowie als gefragter Kommentator für zahlreiche britische und us-amerikanische Medien, verfügt er über Einsichten in den Verlauf der Friedensverhandlungen, die den herangezogenen Quellenbestand einrucksvoll ergänzen. Gleichwohl ist seine Methodik zu geschult, als dass er in Gefahr geriete, die Perspektive des Wissenschaftlers mit der des Zeitgenossen und Augenzeugen zu vertauschen.

Gut zwölf Jahre hat sich die Arbeit an The Politics of Enmity hingezogen. Der Aufwand hat sich gelohnt. Paul Bew ist ein Buch gelungen, das zu Recht Aufnahme in die renommierte Oxford History of Modern Europe-Reihe gefunden hat und zudem über das Potential verfügt, in den kommenden Jahren zu einem Standardwerk der irischen Geschichtsschreibung zu avancieren.

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