M. Sprotte u.a. (Hrsg.): Der Russisch-Japanische Krieg

Titel
Der Russisch-Japanische Krieg 1904/05. Anbruch einer neuen Zeit?


Herausgeber
Sprotte, Maik Hendrik; Seifert, Wolfgang; Löwe, Heinz-Dietrich
Erschienen
Wiesbaden 2008: Harrassowitz Verlag
Anzahl Seiten
302 S.
Preis
€ 39,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Marco Gerbig-Fabel, DFG Graduiertenkolleg "Transnationale Medienereignisse von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart", Justus-Liebig-Universität Gießen

„Welt- und Globalgeschichte [...] ist in.“ 1 Für die Gültigkeit dieser Einschätzung könnte der hier vorliegende Sammelband „Der Russisch-Japanische Krieg 1904/05 - Anbruch einer neuen Zeit?“ ein weiteres Indiz liefern. Auf knapp 300 Seiten versammeln die drei Herausgeber – Maik Hendrik Sprotte, Wolfgang Seifert und Heinz-Dietrich Löwe – zwölf Beiträge, die aus unterschiedlichen national- und regionalgeschichtlichen Blickrichtungen und mit verschiedenen methodischen Zugriffen der weltgeschichtlichen Bedeutung des Russisch-Japanischen Kriegs nachspüren. Das erklärte Ziel der Herausgeber besteht darin, den „bisher verbreiteten historischen Interpretationen“ dieses Kriegs „eine welthistorische Perspektive hinzuzufügen“ (S. VII). Dieses Vorhaben wird in erster Linie mit dem Verweis auf eine „gelegentlich zu beobachtende[n] Marginalisierung historischer Prozesse in Ostasien im allgemeinen und dieses konkrete[n] historische[n] Ereignisses im besonderen“(S. VII) begründet.

Die für ein solches Vorhaben relevanten Forschungsdiskussionen werden dem Leser allerdings vorenthalten. So ist im Vorwort von einer Dominanz nationalgeschichtlich geprägter Analysen die Rede, deren „beschränkte wissenschaftliche Interpretationsdiskurse“ (S. VII) es zu überwinden gelte, ohne dass dem Leser ein aussagekräftiges Sample weiterführender Literaturverweise dargeboten würde. Dabei verdichten Sprotte, Seifert und Löwe ihre einleitenden Bemerkungen mit eben jenen Denkfiguren, die in den vergangenen Jahren im Zentrum welt- und globalgeschichtlicher Debatten standen. So ist schon auf der ersten Seite des Vorworts beispielsweise von der welthistorischen Perspektivierung, dem transnationalen Raum sowie von Interaktionen und Verflechtungen zu lesen (S. VII). Doch leider verzichten die Herausgeber auch an dieser konzeptionell zentralen Stelle ihres Bandes auf Fußnoten. Die Deutung oder Bedeutung dieser für die Lektüre des Bandes – zumindest nach Aussage seiner Herausgeber – so zentralen welt- und globalgeschichtlichen „Kürzel“2 bleibt damit weitestgehend im Unklaren.

Für zusätzliche Konfusion sorgt darüber hinaus die unmittelbar anschließende Aussage, wonach der vorliegende Band „intendiere [...], partikulare Faktoren in der historischen Entwicklung der Region durch quellennahes Arbeiten mit einer Debatte über die weltweite Wirkungsgeschichte dieses Krieges zu kombinieren“ (S. VII). Spätestens an dieser Stelle hätte eine zumindest kurze Diskussion, Gegenüberstellung oder zumindest Abwägung der bis hierher eingeführten Denkfiguren, wie welthistorisch, weltweit, Raum, transnational, Interaktion, Verflechtung, partikular und regional, beginnen müssen. Ein entsprechender Diskussionsteil – oder auch nur Anmerkungsapparat über Fußnoten – findet sich jedoch weder im Vorwort noch in einer abschließenden Zusammenfassung, auf die leider ganz verzichtet wurde.

Dieses Vorgehen erstaunt um so mehr, als der Russisch-Japanische Krieg bereits seit mehreren Jahren – und damit quasi parallel zu den von den Herausgebern adressierten welt- und globalgeschichtlichen Debatten – im Fokus einer zum Teil innovativen geschichts- und kulturwissenschaftlichen Forschung steht.3 Und auch die These der Herausgeber, wonach das Ereignis des Russisch-Japanischen Krieges, sowie die Region Ostasien, durch die welt- oder globalhistorische Forschung vernachlässigt worden sei (S. VII), scheint eher bestimmte Lesegewohnheiten innerhalb der historischen bzw. ostasienwissenschaftlichen Zunft und weniger die Qualität, Quantität und Innovationskraft der einschlägigen geschichts- und kulturwissenschaftlichen Forschung wiederzugeben.

Ebenso wie die Einleitung selbst verzichten leider auch die dem Vorwort folgenden Texte in ihren Thesen, Analysen und Ergebnissen nahezu vollständig auf jeden Rückbezug auf – wie auch jedwede empirische Reflexion über – die einleitend so betonte welthistorische Perspektivierung. An ihre Stelle tritt eine in der Tat „partikulare“ (S. VII) Sammlung durchweg gut lesbarer, gut informierter und gut informierender sozial-, wirtschafts-, diplomatie- und politikhistorischer Einzelbeiträge. Auch die einleitend so hervorgehobenen welt- und globalgeschichtlichen Kürzel werden nicht wieder aufgenommen, sondern auf die implizite Annahme reduziert, dass der Russisch-Japanische Krieg über die direkt beteiligten Kontrahenten Russland und Japan sowie über seine unmittelbare Konfliktzone hinaus zahlreiche soziale, ökonomische und politische Nach- Wirkungen zeitigte. Mit Blick auf die einschlägige, gerade auch die globalgeschichtliche, Forschungsdiskussion, auf die mit diesem Band Bezug genommen werden soll, dürfte dies jedoch keine neue Erkenntnis darstellen.

So stellt etwa Edda Binder-Iijima die These auf, dass der Einschätzung, wonach „der Russisch-Japanische Krieg den Anfang vom Ende der drei großen multi-ethnischen Kaiserreiche bildete eine gewisse Berechtigung nicht versagt werden kann“ (S. 22). Maik Hendrik Sprotte zeichnet jene Entwicklungen nach, die seit Mitte des 19. Jahrhunderts dazu führten, dass Japan sich 1904 „reich und militärisch stark genug [glaubte], um die eigenen Interessen im ostasiatische Raum durch einen Waffengang langfristig sichern zu können“ (S. 39). Heinz-Dietrich Löwe vertritt die Auffassung, dass der „geborgte Imperialismus“ (S. 52) des „zarische[n] Systems“ (S. 42) letztlich in entscheidender Weise dazu beigetragen habe, dass Japan und Russland „eine Lösung der bilateralen Probleme in einem Waffengang suchten“ (S. 53). Und Wolfgang Seifert kommt zu der abschließenden Einschätzung, dass „trotz der Unterschiede, die in Theorie und Praxis zwischen den Kolonialismen der westlichen Mächte und Japans bestanden haben [...], beide Seiten im Hinblick auf Korea die Grundanschauungen“ (S. 81) zu teilen schienen.

In einem zweiten Beitrag blickt Maik Hendrik Sprotte auf die Bedeutung ultranationalistischer Gruppierungen sowie der Frühsozialisten und charakterisiert den Russisch-Japanischen Krieg als eine innen- und außenpolitische „Zäsur“ (S. 108), welche die Entwicklung Japans „im 20. Jahrhundert [...] und [...] bis in die Gegenwart“ (S. 108) entscheidend geprägt habe. Raphael Utz widmet sich den Ausformungen eines „spezifisch russischen Nationalismus“ (S. 144) und kommt dabei zu der Einschätzung, dass „der russische Imperialismus in seiner konkreten politischen, militärischen und ökonomischen Form der ‚historischen Mission‘, die der Nationalismus für Rußland formuliert hatte, nicht gewachsen“ (S. 144) gewesen sei. Heinz Dietrich Löwe porträtiert in seinem zweiten Beitrag die Wirkungen des Russisch-Japanischen Kriegs auf das zarische Herrschaftssystem und vertritt dabei die These, dass „moderne Kriege den supreme test für das bestehende politische System darstellen, indem sie die Fähigkeit, alle Ressourcen zu konzentrieren und die Gesellschaft zu mobilisieren, einer unerbittlichen Probe unterwerfen“ (S. 147). Frank Grüner gelangt zu der Einschätzung, dass die Ereignisse der Jahre 1904 und 1905 „eine zunehmende ökonomische wie politische Emanzipation der Presse vom autokratischen Regime“ (S. 200) herbeiführten. Gotelind Müller betrachtet den Russisch-Japanischen Krieg aus chinesischer Perspektive als ein „weltpolitisches Ereignis“ (S. 203), dessen (Nach-)Wirkungen die Geschichte Chinas im 20. Jahrhundert, innen- wie außenpolitisch, in entscheidender Weise beeinflusst hätten.

Ausgehend von den politischen und ökonomischen Interessen der USA zu Beginn des 20. Jahrhunderts beschreibt Manfred Berg das Verhältnis zwischen den USA und Japan als eine auf „konkurrierenden Machtansprüchen und konfliktträchtigen kulturellen Wahrnehmungsmustern beruhende Konstellation,“ die letztlich Roosevelts „romantische Vision einer dauerhaften Zusammenarbeit“ (S. 258) habe scheitern lassen. Gita Dharampal-Frick spürt den Wirkungen des Russisch-Japanischen Krieges auf den „aufkeimenden nationalistischen Diskurs“ (S. 268) in Indien nach. Abschließend resümiert Philipp Gassert, dass man „trotz der medialen überhöhten Aufregung auf das Schlachten im Fernen Osten von einer Tendenz der Normalisierung und Eingemeindung Japans in die westliche Gemeinschaft sprechen” könne, „womit dann der Russisch-Japanische Krieg Katalysator einer neuen Zeit gewesen wäre“ (S. 293).

In seiner Gesamtschau liefert der hier vorliegende Band damit in erster Linie eine Beurteilung des Russisch-Japanischen Kriegs aus je unterschiedlichen regional- und nationalgeschichtlichen Perspektiven. Dabei sind es am ehesten die Arbeiten von Binder-Iijima, Seifert, Dharampal-Frick und Gassert, in deren Ansätzen, Methoden und Deutungen die welt- und globalgeschichtlichen Debatten der vergangenen Jahre tatsächlich aufscheinen, ohne dass jedoch die hinter diesen Debatten stehenden Denkfiguren, Konzepte und Theorien explizit reflektiert würden.

Bei dem von Sprotte, Seifert und Löwe vorgelegten Band handelt es sich daher – im Widerspruch zu den von den Herausgebern erhobenen Ansprüchen – weniger um einen Beitrag zur welt- oder globalhistorischen Bedeutung des Russisch-Japanischen Krieges bzw. seiner (Nach-)Wirkungen als vielmehr um eine Sammlung qualitativ hochwertiger Arbeiten, über deren Lektüre ein erster Blick auf die diversifizierte regional- und nationalgeschichtliche Wirkungsgeschichte dieses Kriegs möglich wird – nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Anmerkungen:
1 Sebastian Conrad / Andreas Eckert, Globalgeschichte, Globalisierung, multiple Modernen: Zur Geschichtsschreibung der modernen Welt, in: Sebastian Conrad / Andreas Eckert / Ulrike Freitag (Hrsg.), Globalgeschichte: Theorien, Ansätze, Themen, Frankfurt 2007, S. 7.
2 Ebd.
3 Vgl. beispielsweise Cemil Aydin, A Global Anti-Western Moment? The Russo-Japanese War, Decolonization, and Asian Modernity, in: Sebastian Conrad / Dominic Sachsenmaier (Hrsg.), Competing Visions of World Order: Global Moments and Movements, 1880s-1930s, New York 2007, S. 213-236; Rotem Kowner (Hrsg.), Rethinking the Russo-Japanese War 1904-05. 2 Bde. Folkestone 2007; ders. (Hrsg.), The Impact of the Russo-Japanese War, New York 2007.

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