K. Arnold u.a. (Hrsg.): Kommunikationsgeschichte

Cover
Titel
Kommunikationsgeschichte. Positionen und Werkzeuge. Ein diskursives Hand- und Lehrbuch


Herausgeber
Arnold, Klaus; Behmer, Markus; Semrad, Bernd
Reihe
Kommunikationsgeschichte Bd. 26
Erschienen
Münster 2008: LIT Verlag
Anzahl Seiten
458 S.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Stefan Zahlmann, Fachbereich Geschichte, Universität Konstanz

Der von Klaus Arnold, Markus Behmer und Bernd Semrad herausgegebene Reader versammelt Beiträge, die aus einer 2006 in Wien abgehaltenen Tagung der Fachgruppe Kommunikationsgeschichte der Deutschen Gesellschaft für Publizistik und Kommunikationswissenschaft (DGPuK) hervorgegangen sind. Obwohl explizit als Hand- und Lehrbuch konzipiert, können viele Beiträge auch als Kommentar auf die unerfreuliche Entwicklung verstanden werden, dass der Kommunikationsgeschichte trotz eines wachsenden Angebots und Interesses an medien- und kommunikationsgeschichtlichen Veröffentlichungen, Lehrveranstaltungen und Tagungen zumindest im deutschsprachigen Raum durch Stellenstreichungen eine institutionelle Marginalisierung droht – während im angloamerikanischen Sprachraum zeitgleich eine gegenläufige Entwicklung beobachtet werden kann. Dass die Kommunikationsgeschichte angesichts ihrer prinzipiellen interdisziplinären Orientierung und ihrer inhaltlichen Ausrichtung auf sozial, kulturell, juristisch und nicht zuletzt auch technologisch relevante Themenfelder eine stärkere wissenschaftspolitische Beachtung rechtfertigt, kann als Fazit dieses erfreulich innovativen Bandes den weiteren Ausführungen zu seinen Inhalten und seiner Struktur vorangestellt werden.

Der Reader ist als diskursives Fachbuch angelegt. In einem ersten Teil werden theoretische Positionen vorgestellt, die mit der Entwicklung und den Forschungsfeldern der Kommunikationsgeschichte verbunden werden können. Die fachlichen Wurzeln in der Publizistik und der Soziologie werden hierbei ebenso erkennbar wie die Anschlussmöglichkeiten und theoretischen Anregungen durch kulturwissenschaftlich orientierte Theorien und Disziplinen. Das auf diesen Seiten abgesteckte Terrain ist weit und lässt die wissenschaftlichen Erfolge der Vergangenheit der Kommunikationsgeschichte bruchlos neben die aktuellen und für die Zukunft anvisierten Arbeitsfelder treten. Beginnend mit einer disziplinären Selbstverortung des Fachs (Horst Pöttker) werden unter anderem Aspekte wie Generation (Rainer Gries), Geschlecht (Susanne Kinnebrock), Zeit (Rudolf Stöber) oder Biographik (Wolfgang R. Langenbucher) in ihrer Relevanz für die kommunikationsgeschichtliche Forschungspraxis vorgestellt. Der zuweilen auch sprachlich explizit verwendete Begriff des „Plädoyers“ verweist in einigen Beiträgen dieses Teils auf die Notwendigkeit einer theoretischen und inhaltlichen Neudefinition der traditionellen geistes-, kultur- und sozialwissenschaftlichen Gegenstandsbereiche und ihrer Epistemik. Wertvolle Anregungen bietet in diesem Zusammenhang der Text von Stefanie Averbeck zur Methodologie fach- und theorienhistorischer Forschung. Die Ausführungen von Wolfram Peiser über Wolfgang Riepls 1913 formuliertes „Gesetz“ einer Komplementarität alter und neuer Medien verdeutlichen, dass der kritische Rückgriff auf die Disziplinengeschichte gerade in Zeiten des beschleunigten Medienwechsels von Inhalten und neuen Medien die Perspektiven der Kommunikationsgeschichte zu schärfen hilft.

Der zweite Teil bietet einen Einblick in Methoden und Werkzeuge kommunikationsgeschichtlicher Praxis. In Zeiten universitärer Sparprogramme und gekürzter Mittel für Hilfswissenschaften ist der praktische Nutzen der hier versammelten Beiträge für das Selbststudium von Studierenden kaum abzuschätzen. Die Definition von Gegenstandsbereichen und Grundbegriffen der kommunikationsgeschichtlichen Forschung (etwa der „Quelle“ (Edgar Lersch/Rudolf Stöber), der „Kategorie“ (Maria Löblich) oder der (Zeitungs)„Statistik“ (Hans Bohrmann)) wird hier mit mittlerweile bewährten Methoden der Sammlung und Interpretation von Informationen verbunden. In jedem Beitrag wird darüber hinaus eine gegenstandskritische Perspektive erkennbar, die den Nutzen, aber auch die Grenzen der vorgestellten Aspekte erkennbar lässt. Die Beiträge von Jürgen Wilke, Christoph Classen, Michael Meyen, Josef Seethaler und Markus Behmer bieten zudem Literaturhinweise in einer außerordentlichen inhaltlichen Bandbreite an, die eine eigenständige Auseinandersetzung mit den diskutierten Themen erleichtert. Aber es ist ohnehin ein Merkmal der insgesamt achtzehn Beiträge des Readers (zehn Positionsbestimmungen und acht Texte zu den Methoden), dass neben einer knappen Zusammenfassung am Ende jedes Textes auch eine hilfreiche Liste mit weiterführender Literatur die eigenständige Auseinandersetzung mit den vorgestellten Themen erleichtert.

Die Veröffentlichung wird den Erwartungen gerecht, die an ein Hand- und Lehrbuch zur Kommunikationsgeschichte gestellt werden. Dennoch sind zwei Aspekte zu kritisieren: So wird das Internet in einigen Artikeln im Rahmen kursorischer Ausführungen zu neuen Medien durchaus als Kommunikationsmedium angesprochen, in seinen Konsequenzen für die Kommunikationsgeschichte bleibt es jedoch unbeachtet. Dabei ist der Computer (der als Endgerät der Internetnutzung erst in jüngster Zeit durch das Mobiltelefon eine Ergänzung gefunden hat) nicht nur seit beinahe drei Jahrzehnten in den Redaktionen von Zeitungen, in der Regie der Sendeanstalten und auch in normalen Haushalten verbreitet und kann damit als technik- und kommunikationsgeschichtliches Phänomen schon auf eine kurze, jedoch bewegte Vergangenheit zurückblicken. Zugleich bedeutet das Internet auch hinsichtlich der archivarischen Speicherung von Kommunikation, der Veränderung von Kommunikationsmöglichkeiten und der demokratischen Partizipationsmöglichkeiten seiner Nutzung eine wissenschaftliche Herausforderung, die nicht erst in der Zukunft die Themen und Methoden der Kommunikationsgeschichte beeinflussen dürfte. Die prinzipielle Offenheit des Medienbegriffs, die in diesem Band glücklicherweise vertreten wird, hätte eine diesbezügliche theoretische und methodische Öffnung der Perspektive ohne weiteres gerechtfertigt. Gerade angesichts der bereits angesprochenen Konzentration auf journalistische Medien wäre in diesem Zusammenhang eine Auseinandersetzung mit den Thesen von Derrick de Kerckhove denkbar gewesen, der bereits 1995 die Konsequenzen des Medienwechsels hin zum Computer (unter besonderer Berücksichtigung des Nachrichtenwesens) skizziert hat 1. Eine weitere Irritation ist das in einigen Beiträgen vertretene Bild einer monolithischen und theoriefernen Geschichtswissenschaft. Bisweilen verfängt sich der Band hier in Widersprüchen, indem ein anachronistisch anmutender Antagonismus neben überzeugenden Beispielen der prinzipiellen wechselseitigen Anschlussfähigkeit beider Disziplinen aneinander tritt.

Der größte Vorzug des Bandes ist jedoch zweifellos darin zu sehen, dass die Heterogenität der Beiträge und das breite Forschungsspektrum sowie die praktischen Erfahrungen der beitragenden Wissenschaftler nicht nur theoretische Grundlagen und konkrete Umsetzungsmöglichkeiten für Studierende vorstellen, sondern auch einen Einblick in die Geschichte der Kommunikationsgeschichte selbst bieten. Studierende und Freunde dieser traditionsreichen Disziplin werden die Bandbreite unterschiedlicher Positionen und Zugangsweisen zweifellos in den kommenden Jahren als Anregung für eigene Arbeiten nutzen können. Auf eine solche Art und Weise einen geistigen Dialog mit neuen wissenschaftlichen Autoren anzuregen und zu gestalten, der die Zukunft des Fachs sichern dürfte, muss als Leistung der Herausgeber und aller Beiträgerinnen und Beiträger gewürdigt werden.

Anmerkung:
1 Derrick de Kerckhove, Schlussfolgerung: Vom Alphabet zum Computer, in: Ders., Schriftgeburten. Vom Alphabet zum Computer, München 1995, S. 187-197.

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