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Titel
Der Mann hinter Adenauer. Hans Globkes Aufstieg vom NS-Juristen zur Grauen Eminenz der Bonner Republik


Autor(en)
Bevers, Jürgen
Erschienen
Anzahl Seiten
240 S.
Preis
€ 19,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Peter Krause, Simon-Dubnow-Institut für jüdische Geschichte und Kultur, Leipzig

„Sie können schmutziges Wasser nicht wegschütten, wenn sie noch kein frisches haben.“ Mit diesem Satz soll Bundeskanzler Konrad Adenauer einmal auf die Frage nach der Wiederverwendung ehemaliger Nazis in der Administration der jungen Bundesrepublik geantwortet haben. Die Metapher des schmutzigen Wassers für die personelle Kontinuität nach 1945 bringt das Dilemma auf den Punkt: Wie lässt sich ein funktionsfähiger demokratischer Staat aufbauen, wenn es an unbelasteten Fachleuten und Demokraten mangelt?

Das vorliegende Buch des Journalisten Jürgen Bevers widmet sich diesem wichtigen Problem exemplarisch anhand der Person und des Werdegangs von Dr. Hans Maria Globke: Vor 1945 war Globke hochrangiger Mitarbeiter im NS-Reichsinnenministerium und Kommentator der „Nürnberger Gesetze“ von 1935, nach dem Krieg Staatssekretär im Bundeskanzleramt und engster Vertrauter Adenauers vom ersten bis zum letzten Tag seiner Kanzlerschaft. Bevers greift auf wissenschaftliche Studien zurück – unter anderem Frank Böschs umfangreiches Buch über die „Adenauer-CDU“1 –, auf die zeitgenössische Presseberichterstattung sowie auf jüngst zugänglich gewordene Akten. Darüber hinaus nutzt er das Interviewmaterial über Globke, das im Rahmen einer von ihm gemeinsam mit Bernhard Pfletschinger für den WDR und ARTE produzierten Fernsehdokumentation entstanden ist (S. 7).

Globke war und ist bis heute eine Person, in der sich die Problematik und Last der Elitenkontinuität der Nachkriegszeit verdichtet. Es dürfte wenige Staatssekretäre in der Geschichte der Bundesrepublik gegeben haben, die eine vergleichbare Bekanntheit erreichten und derart umstritten waren wie die „graue Eminenz von Bonn“ (S. 13). Bevers’ möglicherweise nur dramaturgisch motivierter Eingangsbehauptung, Globke sei heute nahezu vergessen (S. 8), vermag man denn auch nicht ohne weiteres zu folgen. Verwiesen sei hier nur auf zwei neue Publikationen, die verdeutlichen, wie stark Globke zumindest in der zeitgeschichtlich interessierten Öffentlichkeit auch heute noch präsent ist: In Franz Walters Buch mit „Porträts aus 60 Jahren Bundesrepublik“ findet auch Hans Globke prominent Erwähnung – als „einer der umstrittensten Männer der bundesdeutschen Geschichte“.2 Und Bert Pampel hat die Diskussion um Globke nach 1945 mit derjenigen um Manfred Stolpe nach 1989 verglichen.3

Ziel des vorliegenden Buches ist es, sowohl die Beteiligung Globkes an der antisemitischen Politik des NS-Regimes herauszuarbeiten als auch seine Rolle bei der Etablierung und Festigung der Kanzlerschaft Konrad Adenauers und dessen „autoritärem Politikstil“ (S. 15). Das Buch soll jedoch keine „erzählende Biographie“ sein, die sich damit begnügt, Globkes Leben nachzuzeichnen. Der Autor erhebt vielmehr den Anspruch, Globkes „Handeln in seinem gesellschaftlichen Umfeld und seinen ideologischen Bezügen erklärbar zu machen“ (S. 9). Wesentlich ist dabei aus Bevers’ Sicht, dass Globke aus einem tief katholischen Milieu stammte, in welchem ein bis zum Antisemitismus gesteigerter Antijudaismus ebenso virulent gewesen sei wie ein aggressiver klerikaler Antikommunismus. Gerade in diesen Punkten erkennt der Autor Berührungspunkte, wenn nicht gar Gemeinsamkeiten mit der nationalsozialistischen Ideologie, die es Globke erleichtert hätten, auch nach 1933 im Reichsinnenministerium tätig zu sein (siehe vor allem S. 57-65, S. 210). Dass Globke nie Mitglied der NSDAP war, sondern von 1922 bis zur Selbstauflösung im Juli 1933 Mitglied des katholischen Zentrums, habe ihn nicht daran gehindert, sich in den Dienst des nationalsozialistischen Regimes zu stellen und unter anderem jenen berüchtigten Kommentar zu den antijüdischen „Nürnberger Gesetzen“ mit zu verfassen, also einen wichtigen Beitrag zur scheinbaren Verrechtlichung der nationalsozialistischen Verfolgungspraxis zu leisten.

Das von Globke und von anderer Seite nach 1945 wiederholt zu seiner Verteidigung vorgebrachte Argument, er habe seinen Posten im Reichsinnenministerium nach 1933 nur darum nicht verlassen, weil ihn die Katholische Kirche, namentlich der Berliner Bischof Konrad Graf von Preysing, darum gebeten habe, um Informationen über die Aktivitäten der Nationalsozialisten zu sammeln und weiterzugeben, vermag Bevers letztlich ebensowenig zu überzeugen wie Globkes Kontakte zu den Widerstandskämpfern des 20. Juli (S. 65ff.). Aus Sicht des Autors bleibt der ehemalige Referent des Reichsinnenministeriums und spätere Staatssekretär Adenauers eine belastete Person. Die nach dem Krieg von verschiedenen Personen ausgestellten „Persilscheine“ erscheinen Bevers wenig glaubwürdig, und Globkes „Rolle“ beim Attentat auf Hitler sei allenfalls „marginal“ gewesen (S. 82).

So begegnet uns in Bevers’ Beschreibung Globkes ein tief gläubiger Katholik und Zentrums-Mann, ein überzeugter Antikommunist und effizienter Bürokrat, der sein fundiertes juristisches Wissen dem Staat – jedem Staat! – zur Verfügung stellt. Vor den Augen des Lesers entsteht das Bild eines Schreibtischtäters, der das Funktionieren und die Effizienz zum Ideal erkoren und mit den Tugenden Loyalität und Verschwiegenheit zu einer Einheit verschmolzen hat. Und eben diese Mischung sei, so legt Bevers es nahe, nach 1945 wieder gefragt gewesen und habe Globkes Nachkriegskarriere befördert. Sein tiefer Katholizismus und sein damit eng verbundener Antikommunismus seien dabei nicht nur kein Hinderungsgrund, sondern geradezu eine Voraussetzung gewesen. Und auch die braunen Schatten der Vergangenheit seien aus Adenauers Sicht eher von Vorteil gewesen: Gerade weil Globke in der Kritik stand, konnte Adenauer auf ihn bauen, denn beide wussten, dass nur die schützende Hand des Kanzlers Globkes Fortkommen und Unantastbarkeit sicherte. So sei eine nahezu symbiotische Beziehung entstanden. Adenauer hatte einen perfekt und geräuschlos wirkenden Adlatus, der auch die heikelsten Probleme meistern konnte – von der Wiederbewaffnung (S. 146f.) über die sensiblen Kontakte zu Israel bis zur Kontrolle der Partei (S. 149-160).

Dass all dies nicht ohne Reibungen vonstatten ging, ist bekannt. Globkes Vergangenheit war wiederholt Gegenstand kritischer innenpolitischer Debatten und deutsch-deutscher Nadelstiche. Bevers legt großen Wert darauf, diese Kritik ausführlich darzustellen. Sie reichte von den wiederholten Hinweisen des SPD-Abgeordneten Adolf Arndt auf Globkes Rolle im Nationalsozialismus (S. 35, S. 49) über das 1961 veröffentlichte „Globke-Buch“ von Reinhard M. Strecker, in welchem Dokumente zu Globkes Tätigkeit als Beamter des Reichsinnenministeriums abgedruckt waren (S. 174f.), bis hin zu den infolge des Eichmann-Prozesses (1961) einsetzenden Diskussionen um die vermeintliche Rolle Globkes bei der Umsetzung der „Endlösung“ und eine mögliche Zeugenaussage in Jerusalem (S. 179-202). Auch die Anti-Globke-Kampagne der DDR, die in einem Schauprozess in Ost-Berlin gipfelte, bei dem Globke in Abwesenheit zu „lebenslangem Zuchthaus“ verurteilt wurde, bleibt nicht unberücksichtigt. Bevers bewertet das Vorgehen des SED-Regimes äußerst kritisch und als kontraproduktiv im Hinblick auf eine angemessene und notwendige Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit Globkes (S. 19ff.). Nichtsdestotrotz liegen seine Sympathien deutlich auf Seiten der Kritiker Globkes.

Etwas mühsam wird die Lektüre des Buches immer dann, wenn der Drang zum strikten Urteil durchbricht. An diesen Stellen merkt der Leser rasch und deutlich, dass Bevers nicht aus wissenschaftlicher Distanz schreibt, sondern, wie er eingangs darlegt, aus der Position eines empörten jugendlichen Zeitgenossen, für den Globke „ein immer wiederkehrendes Ärgernis der Adenauer-Ära“ darstellte (S. 7). Und auch das Versprechen des Autors, insbesondere auf der Grundlage jüngst zugänglich gewordener Akten des amerikanischen Geheimdienstes CIA bislang Unbekanntes über Globke ans Licht zu bringen, wird nicht gehalten. Die wenigen Zitate aus den besagten Akten erstrecken sich zumeist auf Gerüchte und Kolportagen von CIA-Informanten und bieten substantiell keine neuen Erkenntnisse zur Person Globkes (S. 80, S. 125ff.). Gleichwohl handelt es sich hier um ein nützliches Buch, da es verstreute Informationen zu Globke zusammenträgt und in sehr gut lesbarer Form gebündelt präsentiert.

Anmerkungen:
1 Frank Bösch, Die Adenauer-CDU. Gründung, Aufstieg und Krise einer Erfolgspartei 1945–1969, Stuttgart 2001.
2 Franz Walter, Charismatiker und Effizienzen. Porträts aus 60 Jahren Bundesrepublik, Frankfurt am Main 2009, S. 28.
3 Bert Pampel, Innerer Widerstand oder Kollaboration? Die Diskussion um Hans Globke und Manfred Stolpe im Vergleich, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 60 (2009), S. 330-345.

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