Horn, Sabine; Sauer, Michael (Hrsg.): Geschichte und Öffentlichkeit. Orte - Medien - Institutionen. Göttingen 2009 : Vandenhoeck & Ruprecht, ISBN 978-3-8252-3181-1 240 S. € 14,90

Bösch, Frank; Goschler, Constantin (Hrsg.): Public History. Öffentliche Darstellungen des Nationalsozialismus jenseits der Geschichtswissenschaft. Frankfurt am Main 2009 : Campus Verlag, ISBN 978-3-593-38863-2 290 S. € 29,90

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Simone Rauthe, Historisches Seminar II, Universität zu Köln

Der in den USA viel diskutierte Begriff „Public History“ ist in der deutschen Geschichtswissenschaft angekommen: Frank Bösch und Constantin Goschler thematisieren in der Einleitung „Der Nationalsozialismus und die deutsche Public History“ zu ihrem jüngst erschienenen Sammelband „öffentliche Darstellungen des Nationalsozialismus jenseits der Geschichtswissenschaft“.

Die Herausgeber verwenden den Ausdruck „Public History“ nicht nur als Markenzeichen innovativer Geschichtswissenschaft. Vielmehr beabsichtigen sie, der deutschen Public History eine erweiterte Untersuchungsperspektive zu geben. Sie verstehen Public History weder als popularisierte Form wissenschaftlicher Geschichtsschreibung noch als zeittypische Ausdrucksform der Erinnerungskultur (vgl. S. 8). Ihr Ziel ist es, Wissensgeschichte zu schreiben, nicht Wissenschaftsgeschichte (vgl. S. 14). Die Vorgabe an die Autorinnen und Autoren lautete, die öffentliche Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit in nicht-akademischen Geschichtsdarstellungen zu rekonstruieren. Die Herausgeber verbinden diesen Perspektivwechsel mit einer alternativen Definition von Public History: „Unter Public History verstehen wir somit zunächst jede Form von öffentlicher Geschichtsdarstellung, die außerhalb von wissenschaftlichen Institutionen, Versammlungen oder Publikationen aufgebracht wird.“ (S. 10) Bösch und Goschler interessieren sich demnach für „history by the public“.1 Unklar bleibt, von welcher deutschen oder amerikanischen Definition des Begriffs sie sich abgrenzen.2 Später stellen sie fest, dass die Definition von Cathy Stanton in der amerikanischen Zeitschrift „The Public Historian“ aus dem Jahr 2007 mehr umfasse als einen Untersuchungsgegenstand. Stanton versteht Public History als „a movement, methodology, and approach that promotes the collaborative study and practice of history; its practitioners embrace a mission to make their special insights accessible and useful to the public“ (zit. auf S. 15).

Von Jörn Rüsens Konzept der „Geschichtskultur“ ist in der Einleitung nicht die Rede. Die Herausgeber hätten erläutern müssen, warum dieser Begriff, dessen ebenso großer Bezugsrahmen mit demjenigen der Public History in weiten Teilen kongruent ist, nicht in Frage kommt. Dabei wären sie sicher explizit auf die geschichtstheoretische Verortung der Geschichtskultur und den pragmatischen Beginn der Public History zu sprechen gekommen, der den Herausgebern sehr wohl bewusst ist (vgl. S. 15). In den 1970er-Jahren bezeichnete die amerikanische Public History zunächst die Erforschung der Mikro-Historie (im Sinne von Alltags- und Lokalgeschichte) durch Laien.

Doch Böschs und Goschlers Perspektive richtet sich eben nicht auf die „Barfußhistoriker“. Sie fragen, „inwieweit jenseits der Geschichtswissenschaft Themen, Quellen und Zugänge entstanden sind, die entweder eigenständig oder in Interaktion mit Universitätshistorikern entwickelt wurden und mitunter sogar Impulse für die Wissenschaft offerierten“ (S. 9). Sie nehmen die Geschichtsdarstellungen von Journalisten, Staatsanwälten und Gedenkstättenmitarbeitern sowie „deren originären Beitrag zur Rekonstruktion der Vergangenheit“ in den Blick (S. 8).

Die Autorinnen und Autoren des Bandes bieten in ihren Fallstudien ein interessantes Panorama jener Akteure, die Geschichte mach(t)en: So weist Jan Erik Schulte nach, wie Journalisten in der frühen Bundesrepublik die Richtung der Auseinandersetzung mit NS-Tätern mitbestimmten. Frank Bösch betont die eigenständigen Impulse des westdeutschen Fernsehens zur Darstellung der NS-Vergangenheit in Dokumentarfilmen. Deutlich vor dem Eichmann-Prozess habe das Fernsehen eine Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen gefördert und die mangelhafte Bestrafung der Täter kritisiert (S. 75). Am Beispiel des Journalisten Axel Eggebrecht, der über den Bergen-Belsen-Prozess (1945) und den Auschwitz-Prozess (1963–1965) im Radio berichtete, zeigt Inge Marszolek, wie einzelne Journalisten mit ihrer Berichterstattung eine Gegenposition zum vorherrschenden Konsensjournalismus einnahmen (S. 104).

Oliver von Wrochem untersucht den Entstehungskontext, die Inhalte und die Wirkungsgeschichte von Selbstzeugnissen der ehemaligen Militärelite. Er verdeutlicht, dass die in Memoiren, Illustrierten, soldatischen Verbandsorganen und der Militärgeschichtsschreibung gebotenen Deutungsmuster die frühe Bundesrepublik stabilisierten und überwiegend auf die soziale und politische Wiedereingliederung zielten (vgl. S. 128). Die „komplexe Symbiose“ (S. 154) zwischen NS-Opfern und akademischer Zeitgeschichte analysiert Constantin Goschler. Annette Weinke fragt nach dem Beitrag der Strafjustiz als Träger und Vermittler von Geschichtswissen. Sie hebt den erzieherischen Impetus alliierter und westdeutscher Gerichtsverfahren hervor, die sie als Geschichtslektionen an die Staatsbürger versteht (vgl. S. 187).

Das Verhältnis von Gedenkstätten und zeithistorischer Forschung charakterisiert Habbo Knoch für die Zeit bis in die 1980er-Jahre als weitgehend unverbundenes Nebeneinander zweier „Nischenbereiche“; später habe der Bedarf nach einer Differenzierung des Wissens über die Vorgänge an den Verbrechensorten eine engere Kooperation bewirkt (S. 217f.). Olaf Blaschke befasst sich mit den Mittlern zwischen Historikern und Öffentlichkeit auf dem Buchmarkt, den Verlegern und Lektoren. Er fragt nach dem verlegerischen Handeln und seinen Wirkungen in der Zeitgeschichtsschreibung (vgl. S. 251). Eine germanistische Perspektive eröffnet Erhard Schütz, der unter dem Titel „Zwischen Heimsuchung und Heimkehr“ das Wechselverhältnis von Gegenwartsromanen und Zeitgeschichte des Nationalsozialismus analysiert. Er plädiert für eine „stimulierende Zeitgenossenschaft“ von Zeitgeschichtsschreibung und „Literatur, die auf ästhetischen Eigensinn und künstlerische Riskanz setzt“ (S. 280).

Die Beiträge verdeutlichen, dass der Untersuchungsgegenstand „Öffentliche Darstellungen des Nationalsozialismus jenseits der Geschichtswissenschaft“ gut gewählt und lohnend ist. Unter dem Label „Public History“ hätte jedoch die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit durch „echte“ Laien wie Teilnehmende der Geschichtswerkstätten3 und des Geschichtswettbewerbs des Bundespräsidenten4 ebenfalls berücksichtigt werden müssen.

Auch die universitäre Geschichtsdidaktik beschäftigt sich seit Mitte der 1970er-Jahre mit der Systematisierung des (damals zum Teil erst entstehenden) Felds öffentlicher Geschichtsvermittlung. Die Tagung der Konferenz für Geschichtsdidaktik zum Thema „Geschichte in der Öffentlichkeit“ im Jahr 1977 verhalf einem neuen Selbstverständnis der Disziplin zum Durchbruch.5 Ihr doppelter Bezugsrahmen lag fortan im Geschichtsunterricht und zugleich in der außerschulischen Vermittlung von Geschichte. Die Geschichte in der Öffentlichkeit erschien wegen ihrer Breitenwirkung als attraktives Arbeitsgebiet. Es war aber zunächst diffus – weder begrifflich noch in seinen Fragestellungen, Untersuchungsfeldern und Zielen erschlossen. Die Vertreter der Geschichtsdidaktik hatten unterschiedliche Vorstellungen von der Öffentlichkeit. Ihr Adressatenbild war unkonkret und undifferenziert. Aufgrund der Erkenntnis, dass die Formel „Geschichte in der Öffentlichkeit“ unzureichend ist, etablierte sich Anfang der 1980er-Jahre der auf Joachim Rohlfes zurückgehende Begriff „außerschulische Öffentlichkeit“ für den Operationsraum jenseits von Universität und Schule. Die Bezeichnung „außerschulische Geschichtsdidaktik“6 ist aber ein Verlegenheitsbegriff geblieben.

Die insbesondere im Hinblick auf die Ausbildung von Historikerinnen und Historikern relevante Feldforschung wird seitdem für Handbücher und Sammelbände überwiegend durch Tätigkeitsberichte von außeruniversitär tätigen Historikern und Journalisten ersetzt. Daran hat sich bis heute nichts geändert: Die neue, von Sabine Horn und Michael Sauer konzipierte Einführung „Geschichte und Öffentlichkeit. Orte – Medien – Institutionen“, die von den Herausgebern lediglich mit einem kurzen Vorwort versehen wurde, lässt viele Praktiker zu Wort kommen. Leider ebenso knapp gehaltene „Innenperspektiven“ (S. 11) werden etwa beigetragen von der selbstständigen Berliner Historikerin Beate Schreiber („Facts & Files“), dem NDR-Fernsehredakteur Thomas Balzer, der Chefredakteurin des Geschichtsmagazins „Damals“ Marlene Hiller, dem langjährigen „ZEIT“-Redakteur Volker Ullrich, dem Geschichtslektor Walter H. Pehle vom S. Fischer Verlag und (mittels Interview durch die Mitherausgeberin Sabine Horn) dem Filmregisseur Wolfgang Becker. Dazwischen finden sich etliche „Außenperspektiven“. So analysiert Hilde Hoffmann das Verhältnis von „Geschichte und Film – Film und Geschichte“, Judith Keilbach „Geschichte im Fernsehen“, Martina Thiele „Geschichtsvermittlung in Zeitungen“, Daniel Fulda „Literarische Thematisierungen von Geschichte“, Simon Scherzberg und Michael Sauer „Kinder- und Jugendsachbücher“ und Dieter Köhler das Thema „Historischer Realismus in Computerspielen“.

Sabine Horns und Michael Sauers Initiative ist höchst verdienstvoll: eine Einführung in die „öffentliche Geschichte“ für die Hand der Studierenden, die für die adäquate Vorbereitung angehender Historikerinnen und Historiker auf außerschulische Vermittlungstätigkeiten dringend benötigt wird. Die Struktur des Buches, eine Gliederung in „Anlässe und Formen der Erinnerung“, „Orte und Institutionen“ sowie „Medien“, führt allerdings zu einer Verwischung der jeweiligen Intentionen öffentlicher Geschichte: Den Studierenden hätte der Unterschied zwischen der wissenschaftlichen Analyse aktueller oder vergangener Geschichtskultur, der pädagogischen Arbeit oder historisch-politischen Bildung in Museen, Archiven, Gedenkstätten und an historischen Orten, der journalistischen Bearbeitung historischer Themen in Zeitungen und Dokumentarfilmen sowie der Funktion von Geschichte als Stoff für kommerzielle Bücher, Filme und Computerspiele viel expliziter dargeboten werden müssen.

Junge Historikerinnen und Historiker benötigen Leitlinien hinsichtlich der Darstellungs- und Vermittlungsmethoden für diverse außerschulische Vermittlungssituationen. Die universitäre Lehre sollte Gelegenheit bieten, diese zu erproben. Mit einem Beitrag von Berit Pleitner, die die in Deutschland bislang wenig beachtete „Living History“ thematisiert, geben die Herausgeber auch in dieser Hinsicht Impulse.

Beide Sammelbände verweisen auf künftige Aufgaben der Geschichtswissenschaft und speziell der Geschichtsdidaktik: die notwendige begriffliche Präzisierung der Public History bzw. der öffentlichen Geschichte auch in Abgrenzung zur Theorie der Geschichtskultur, die weitere Systematisierung des Felds der Geschichte in der Öffentlichkeit und die Erarbeitung einer Methodenlehre, die den Studierenden – basierend auf der historischen Methode – den sachgerechten Umgang mit Zeitzeugen sowie verbalen, ikonografischen und haptischen Quellen als Medien öffentlicher Vermittlung ermöglicht.

Anmerkungen:
1 Vgl. die Bemerkung von Charles Cole, der die neueren Definitionen als eine Mischung aus „history for the public, about the public, and by the public“ charakterisiert. Charles C. Cole Jr., Public History: What difference has it made?, in: The Public Historian 16,4 (1994), S. 9-35, hier S. 11.
2 Es fehlt z.B. eine Auseinandersetzung mit Paul Nolte, Öffentliche Geschichte. Die neue Nähe von Fachwissenschaft, Massenmedien und Publikum: Ursachen, Chancen und Grenzen, in: Michele Barricelli / Julia Hornig (Hrsg.), Aufklärung, Bildung, „Histotainment“? Zeitgeschichte in Unterricht und Gesellschaft heute, Frankfurt am Main 2008, S. 131-146.
3 Zur Geschichte der Geschichtswerkstätten vgl. den Beitrag von Maren Büttner („Wer das Gestern versteht – kann das Morgen verändern!“) in dem nachfolgend besprochenen Band von Horn / Sauer, S. 112-120.
4 Vgl. etwa den Katalog preisgekrönter Arbeiten des Wettbewerbs 1980/81: Brigitte Galinski-Koch, Alltag im Nationalsozialismus. Vom Ende der Weimarer Republik bis zum Zweiten Weltkrieg, Hamburg 1983.
5 Dokumentiert in: Wilhelm van Kampen / Hans Georg Kirchhoff (Hrsg.), Geschichte in der Öffentlichkeit, Stuttgart 1979.
6 Joachim Rohlfes sprach zuerst 1978 von „außerwissenschaftlicher und außerschulischer Vermittlung von geschichtlichem Wissen“: ders., Geschichte in der Öffentlichkeit, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 29 (1978), S. 307-311, hier S. 308.

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