H. Heftner: Der oligarchische Umsturz

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Titel
Der oligarchische Umsturz des Jahres 411 v. Chr. und die Herrschaft der Vierhundert in Athen. Quellenkritische und historische Untersuchungen


Autor(en)
Heftner, Herbert
Erschienen
Frankfurt am Main 2001: Peter Lang/Frankfurt am Main
Anzahl Seiten
VIII, 395 S.
Preis
€ 60,30
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Loretana de Libero, Seminar für Geschichtswissenschaft, Universität der Bundeswehr Hamburg

Das gegen Sparta kriegführende Athen befand sich im Jahre 413 v.Chr. in einer verzweifelten Lage. Eine militärische Expedition nach Sizilien war unter großen Verlusten gescheitert, Bündner rebellierten, Sparta kontrollierte bereits das athenische Umland und die Vermögenden stöhnten unter der Last der Kriegskosten, die ihnen im Rahmen der Trierarchie aufgebürdet wurden. Vom verbündeten Samos aus, wo die athenische Flotte stationiert war, betrieben oligarchisch gesinnte Führer der athenischen Oberschicht den Umsturz. Antidemokratische Kreise wurden für Aktionen gewonnen, die Volksversammlung durch geschicktes Taktieren mit dem Gedanken einer temporären Verfassungsänderung für die Dauer des Krieges vertraut gemacht. In einer Atmosphäre, in der anfänglich Einschüchterungen und schließlich Terror die Oberhand gewannen, wurde im Juni 411 v.Chr. in einer Volksversammlung die Demokratie abgeschafft, indem ein Rat der Vierhundert neu konstituiert wurde, der den demokratischen Rat der Fünfhundert auflöste. Annäherungen der neuen Machthaber an Sparta mit dem Ziel eines Verständigungsfriedens scheiterten, der militärische Erfolg blieb aus. Reiner Wille zum Machterhalt bestimmte fortan die Handlungen der regierenden Oligarchen. Nach nur vier Monaten, im Herbst 411 v.Chr., wurde der Rat der Vierhundert gestürzt. Zu Beginn des neuen Amtsjahres, Anfang Juni 410 v.Chr., war die alte demokratische Ordnung in Athen endgültig wieder hergestellt.

Reichhaltig ist die Literatur zum oligarchischen Umsturz des Jahres 411 v.Chr. und dem Regime der Vierhundert, so dass ein weiterer Versuch, sich den Vorkommnissen zu nähern, zunächst überrascht.1 Der Verfasser, ein ausgewiesener Kenner der Materie,2 ist sich dieser Sachlage durchaus bewusst, doch rechtfertigt er in seinem Vorwort seine Arbeit mit dem Hinweis, dass eine umfassende Gesamtbetrachtung der Ereigniszusammenhänge noch kaum vorgelegt worden sei.3 Allerdings wäre ein einführendes Kapitel über den derzeitigen Forschungsstand wünschenswert gewesen.4

Heftners Monographie gliedert sich in vier Hauptteile mit einer Vielzahl nicht nummerierter Kapitel unterschiedlichen Umfangs. Auf eine Vorstellung sowie allgemeine Analyse der antiken Zeugnisse verzichtet Heftner mit Verweis auf seine nachfolgenden quellenkritischen Ausführungen bewußt. Er steigt mit dem ersten Teil über die "Vorgeschichte des Umsturzes" unmittelbar in die Darstellung der Ereignisse der Jahre 413/12 v.Chr. ein. Bevor er sich eingehend mit dem zweiten Teil "Verfassungsumsturz und die Machtergreifung der Vierhundert" beschäftigt (S. 109-164), wird in einem kurzen Exkurs instruktiv die chronologische Abfolge des Verfassungsumsturzes anhand der Quellen herausgearbeitet (S. 93-108). Es folgt ein weiterer Exkurs über die Behandlung der aristotelischen Verfassungsentwürfe in der Athenaion Politeia 30f. (S. 177-210). Hierauf folgt der dritte Teilbereich der Arbeit, in dem sich der Verfasser insbesondere dem Charakter der Herrschaft der Vierhundert und den Umständen ihres Sturzes widmet (S. 211-278). Abschließend erörtert der Verfasser die innenpolitische Lage Athens nach dem Ende des oligarchischen Regimes (S. 279-322). Ein Abriss der Ereignisgeschichte sowie eine Schlussbetrachtung runden neben sorgfältig erstellten Indices und Registern das Werk ab (S. 323-395).

Eine neue Bearbeitung des komplexen Themas ist zu begrüßen, aber die problematische Quellenlage und die bereits zahlreich existierenden Forschungsthesen bedingen, dass auch Heftners Bemühungen letztlich darauf beschränkt bleiben müssen, Wahrscheinlichkeiten abzuwägen, die variationsreichen Interpretationsansätze zu gewichten und gegebenenfalls neue Nuancen ins Spiel zu bringen. Heftner informiert umfassend, kenntnis- und detailreich, sucht den alten Quellen neue Feinheiten abzugewinnen, so etwa in der abwägenden Bewertung des Phrynichos wie im Hinblick auf die Einschätzung der Atmosphäre in Athen vor dem Umsturz. Mit Recht hebt der Verfasser in seiner Schlussbetrachtung hervor: "Die Geschichte der Herrschaft der Vierhundert stellt sich im Bereich der Außenpolitik als eine Kette fehlgeschlagener Friedensinitiativen dar, im Inneren ... scheint sich das Bild ihrer Regierung weniger als ein zielbewußter Umbau der überkommenen Strukturen des athenischen Staatswesens nach oligarchischen Prinzipien denn als ein vom Diktat der Umstände bestimmter Kampf der Regierenden um den Machterhalt und bald nur noch um das physische Überleben dargeboten zu haben." (S. 343).

Anmerkungen:
1 Außer auf die älteren Standardwerke zur griechischen Geschichte und zahlreiche Beiträge zu Einzelaspekten des sog. Staatsstreichs sei im besonderen verwiesen auf die Darstellung der Geschehnisse bei K.-W. Welwei, Das klassische Athen. Demokratie und Machtpolitik im 5. und 4. Jahrhundert, Darmstadt 1999, 216-230, und D. Kagan, The Fall of the Empire, Ithaca / London 1987, 106-210.
2 Siehe neben Untersuchungen zum Ostrakismos etwa: Die Rede für Polystratos ([Lys.] XX) als Zeugnis für den oligarchischen Umsturz des Jahres 411 v. Chr. in Athen, in: Klio 81 (1999), S. 68-94; Die Rede für Polystratos ([Lys.] 20) und die Katalogisierung der Fünftausend während des athenischen Verfassungsumsturzes von 411 v. Chr., in: P. Scherrer / H. Taeuber / Hilke Thür (Hgg.), Steine und Wege. Festschrift für Dieter Knibbe zum 65. Geburtstag, Wien 1999, S. 221-226; Die tria kaka des Theramenes. Überlegungen zu Polyzelos fr. 3 und Aristophanes fr. 563 Kassel-Austin, in: ZPE 128 (1999), S. 33-43.
3 Zu verweisen ist hier beispielsweise auf R. F. Gallucci, Myth of the Hoplite Oligarchy. Athens 411/410 B.C. Diss. University of California 1986, mit der sich aber auch Heftner - zumeist zustimmend - auseinandersetzt.
4 Einen Überblick über die althistorische Forschung zum Thema lässt im übrigen aber auch W. Schuller, Griechische Geschichte, 5. Aufl., München 2002, 142, vermissen.

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