Cover
Titel
The Empire of Cnut the Great. Conquest and the Consolidation of Power in Northern Europe in the Early Eleventh Century


Autor(en)
Bolton, Timothy
Reihe
The Northern World 40
Erschienen
Anzahl Seiten
XVI, 351 S.
Preis
€ 119,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Dominik Waßenhoven, Universität Bayreuth

Die Herrschaft Knuts des Großen über England, Dänemark und Norwegen ist bislang nur selten Gegenstand einer ausführlichen Studie gewesen.1 Als Grund lässt sich anführen, dass die Anforderungen an eine solche Untersuchung des gelegentlich als »Nordseeimperium« bezeichneten Herrschaftsbereichs sehr anspruchsvoll sind: Die Quellen liegen nicht nur in lateinischer, sondern zu großen Teilen auch in angelsächsischer und altnordischer Sprache vor. Zudem sind Quellen für den englischen Bereich – verglichen mit Kontinentaleuropa – nur spärlich vorhanden, für Skandinavien sogar kaum existent. Auch ein Großteil der Forschungsliteratur für die Königreiche von Dänemark und Norwegen liegt in den jeweiligen Landessprachen vor und ist damit für die meisten Forscher unzugänglich.

Deshalb ist es sehr zu begrüßen, dass Timothy Bolton sich eines Teils dieser Aufgabe angenommen und seine 2005 am Corpus Christi College (Cambridge) abgeschlossene Dissertation in erweiterter Form veröffentlicht hat. Freilich will Bolton mit seinem Werk nicht die gesamte Herrschaft des Königs in all ihren Facetten in den Blick nehmen. Sein Hauptaugenmerk gilt der Frage, wie Knut seine Herrschaft durchzusetzen und zu konsolidieren vermochte. Dazu zieht er Quellen unterschiedlichster Art heran. Für den englischen Bereich sind dies vor allem Urkunden, daneben aber auch erzählende Quellen, von denen wenige im 11., die meisten jedoch im 12. Jahrhundert entstanden sind. Zu den skandinavischen Herrschaften Knuts gibt es fast keine zeitgenössische schriftliche Überlieferung. Bolton greift deshalb auf archäologische Quellen, Runensteine und Münzfunde zurück sowie auf Skaldendichtung, die in den volkssprachlichen Texten des späten 12., 13. und 14. Jahrhunderts überliefert wurde, aufgrund ihrer Struktur von der Forschung aber grundsätzlich als wesentlich älter eingestuft wird.2

Die Arbeit gliedert sich in zwei Teile, deren erster sich dem angelsächsischen Königreich zuwendet (S. 7–150), während sich der zweite Teil mit den skandinavischen Herrschaften befasst (S. 151–316). Bolton geht dabei jeweils vornehmlich regional vor, indem er zunächst die Herrschaftszentren untersucht, um danach der Herrschaftsdurchdringung in den weniger zentralen und schließlich den peripheren Gebieten nachzuspüren. Für den englischen Bereich kommt dabei noch eine sozial determinierte Komponente hinzu, wendet sich Bolton doch zunächst den weltlichen Großen zu. Er beleuchtet die reichsweiten Herrschaftsstrukturen (»national government«), die am Königshof ihren Ausgang nahmen, und geht anschließend in einer kleinteiligen Analyse auf die Organisation der lokalen Verwaltung Englands südlich des Flusses Humber – Wessex, das östliche Danelaw, Mercia und Kent – ein. Er konstatiert, dass Knuts Vorgehensweise der Herrschaftskonsolidierung keinen großen Plan offenbart, sondern vielmehr auf einzelne, lokal begründete Anforderungen und Krisen antwortet (S. 76).

Im folgenden Kapitel untersucht Bolton Knuts Verhältnis zur englischen Kirche und will dabei das Verhalten des Königs, von dem mehr Interaktionen mit der Kirche überliefert sind als von jedem anderen angelsächsischen Herrscher, gegenüber der Kirche herausarbeiten. Knut habe zunächst versucht, die Unterstützung beider Erzbischöfe zu erhalten, um seiner Herrschaft eine Legitimationsbasis zu verleihen und weitreichende Widerstände vonseiten der Kirche im Keim zu ersticken. Seine Politik gegenüber der Kirche sei ansonsten regional unterschiedlich ausgefallen, wobei nach 1030 insgesamt eine aktivere Rolle des Königs auszumachen sei. Interessant ist Boltons These, dass Knut die Einsetzung von Hofgeistlichen als Bischöfe von der ottonisch-salischen Praxis übernommen haben könnte (S. 101–103). Es muss allerdings fraglich bleiben, ob ein Zusammenhang mit Knuts Reise zur Königskrönung Konrads II. nach Rom im Jahr 1027 bestand, wie Bolton vermutet. Außerdem sind für die Verifizierung dieser These weitere Untersuchungen nötig, um feststellen zu können, ob Knut diese Praxis tatsächlich verstärkt angewendet hat. Ob dies aufgrund der spärlichen Quellenlage gelingen kann, bleibt jedoch fraglich.

Im letzten Kapitel des ersten Teils analysiert Bolton Knuts »Politik« im geographisch wie institutionell entferntesten Teil seines angelsächsischen Reiches, also Northumbria, sowie gegenüber Wales, Schottland und Irland. Der Verfasser macht plausibel, dass Knut zunächst wenig Interesse an den genannten Regionen hatte. Das änderte sich erst nach 1030, als die schwindende Popularität von Knuts Herrschaft in Norwegen dafür sorgte, dass andere Thronprätendenten aus den Regionen, in denen norwegische Siedler lebten (Irland, Schottland, Northumbria), auf den Plan treten konnten. Um dies zu verhindern, hat Knut vor allem in Northumbria und Schottland verstärkt einzugreifen versucht. Hier zeigt sich die Stärke von Boltons Ansatz, den gesamten Herrschaftsbereich Knuts in den Blick zu nehmen, da die Vorgehensweise des Königs im angelsächsischen Machtbereich erst durch seine Handlungen in Skandinavien und seine Interaktionen mit dortigen Magnaten schlüssig erklärt werden können.

Auch im zweiten Teil, der sich mit den skandinavischen Herrschaften befasst, geht der Autor geographisch vor. Er untersucht zunächst Knuts Herrschaftsdurchdringung im westlichen (Jütland, Fünen) und zentralen Dänemark (Seeland), geht dann auf das heute zu Schweden gehörende Schonen und das Baltikum ein, bevor er sich Knuts Herrschaft in Norwegen und seinen Beziehungen zu Schweden, das zu dieser Zeit noch kein einheitliches Königreich war, zuwendet. Er schöpft hierbei aus verschiedenartigen Quellen mit genauer Kenntnis der skandinavischen Bedingungen und legt detaillierte Analysen vor. Seine Kernthese klingt dabei mehrmals an: Knut habe einerseits aus England genügend wirtschaftliche Mittel und geeignetes Personal mitbringen können, um seine Herrschaft zu konsolidieren. Daneben habe er im angelsächsischen Bereich die Idee, wie man eine Gesellschaft zentral organisieren und verwalten kann, kennengelernt und vor allem in den verschiedenen Regionen des dänischen Reichs anwenden können. Die Eliten des östlichen Dänemark leisteten allerdings heftigen Widerstand, allen voran Thorkell der Hohe, der zunächst von Knut als Earl von East Anglia eingesetzt, im November 1021 aber aus England verbannt worden war, bevor es 1023 kurz vor Thorkells Tod zur erneuten Versöhnung kam. Wie Bolton plausibel herausarbeitet, war das Ergebnis der Übereinkunft zwischen Knut und Thorkell eher eine Pattsituation zwischen einer mächtigen Adelsfamilie Ostdänemarks und dem König (S. 232).

Ein weiterer wichtiger Punkt wird anhand der Eroberung Norwegens deutlich, das Knut ab 1028 für sich gewinnen konnte und zunächst durch Håkon Eiriksson, den letzten der mächtigen Jarle von Lade (Hlaðir, bei Trondheim), regieren ließ. Nach dessen frühem Tod hatte Knut ein Problem: »Any pretence of a legitimate succession through a dynastic connection to the jarls of Hlaðir died with Hákon, leaving Cnut with only the right of a conqueror« (S. 269). Knut setzte seinen Sohn Sven ein, der allerdings erst fünfzehn oder sechzehn Jahre alt war und unter die Vormundschaft seiner Mutter, Ælfgifu von Northampton, gestellt wurde. Diese Regentschaft scheint mehr mit den norwegischen Großen zusammengearbeitet zu haben, auch mit den Anhängern des 1030 gefallenen und bald als Märtyrer verehrten norwegischen Königs Olav Haraldsson ›des Heiligen‹ (1015–1028/30). Dies zeigt ein weiteres Charakteristikum von Knuts Herrschaft auf: »Like much of the government of England and Denmark, the extension of Cnut’s authority over Norway was only possible through the use of native collaborators« (S. 287).

Im letzten Kapitel untersucht Bolton die Entwicklung imperialer Bestrebungen, die sich in Knuts Selbstdarstellung in skaldischen Preisgedichten ebenso manifestieren wie in einer Illustration im Liber Vitae von Winchester und der Ikonographie einiger dänischer Münzen. Auch hier führt Bolton den kontinentalen Einfluss, der sich in diesen Quellen zeigt, auf Knuts Romreise zurück (S. 300), kann die direkten Verbindungen, die er anführt, aber nicht immer überzeugend darlegen. Sein anschließender Vergleich von Knuts »Imperium« mit dem römischen Kaisertum Konrads II. leidet darunter, dass Bolton die deutsche Forschung offensichtlich nur aus englischen Texten rezipiert.3

In seiner Schlussbetrachtung (S. 317–320) konstatiert Bolton, dass Knut in vielerlei Hinsicht ein skandinavischer Herrscher geblieben sei. Er habe nicht dieselben Ansprüche auf die an das englische Reich angrenzenden Regionen gehabt wie seine angelsächsischen Vorgänger. Außerdem habe er viel Geld und auch Menschen aus England eingesetzt, um seine Herrschaft in Dänemark und schließlich auch in Norwegen zu konsolidieren und auszubauen.

Insgesamt bietet Boltons Buch eine fundierte und quellennahe Analyse der Herrschaftsstrukturen, die Knut der Große in seinen verschiedenen Königreichen vorfand und zu beeinflussen versuchte. Seine ausgewogene Darstellung vermeidet es, aus der heutigen, oftmals national geprägten Sicht entweder die skandinavische Herkunft des Königs oder die überlegene Administration des angelsächsischen Reichs in den Vordergrund zu stellen. Gerade dadurch, dass Bolton Quellen aus allen Herrschaftsbereichen des Königs in seine Studie einbezieht – was es in dieser Form bisher nicht gab –, kommt er zu neuen Erkenntnissen, zu denen die Betrachtung einer jeweiligen Teilmenge nicht geführt hätte. Nicht nur deshalb ist dem Buch ein großer Leserkreis auch über den nordeuropäischen Raum hinaus zu wünschen.

Anmerkungen:
1 Neben der fast einhundert Jahre alten Arbeit von Laurence M. Larson, Canute the Great 995–1035, and the Rise of Danish Imperialism During the Viking Age, New York 1912, gibt es noch eine ungedruckte Dissertation von Frithjof Sielaff, Untersuchungen zur Geschichte Knuts des Grossen, Diss. phil. Greifswald 1947. Neueren Datums ist der Sammelband von Alexander R. Rumble (Hrsg.), The Reign of Cnut. King of England, Denmark and Norway, London 1994. Er berücksichtigt zwar alle Teilherrschaften des Königs, aber eine moderne übergreifende Untersuchung, die über eine bloße Gegenüberstellung hinausgeht, fehlt bislang.
2 Zum Quellenwert der Skaldendichtung siehe Russell Poole, Art. »Skaldische Dichtung«, in: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde 28 (2005), S. 562–568; Bjarne Fidjestøl, Art. »Skaldic Verse«, in: Philipp Pulsiano (Hrsg.), Medieval Scandinavia. An Encyclopedia, New York 1993 und Roberta Frank, Skaldic Poetry, in: Carol J. Clover / John Lindow (Hrsg.), Old Norse-Icelandic Literature. A Critical Guide, Ithaca 1985, S. 157–196.
3 In einigen der zitierten deutschsprachigen Titel finden sich Fehler, am markantesten beim Kurztitel von Liebermanns Edition angelsächsischer Gesetzestexte, die mehrmals mit »De Gesetze« angegeben wird (S. 282, 294 und öfter). Ansonsten ist der Band gut lektoriert und weist wenige Fehler auf.

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