Cover
Titel
Die Bundesrepublik als Idee. Zur Legitimationsbedürftigkeit politischer Ordnung


Autor(en)
Hacke, Jens
Erschienen
Anzahl Seiten
129 S.
Preis
€ 12,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Axel Schildt, Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg

Einen Fischhändler würde man nicht nach Lammfleisch fragen, einen Metzger nicht nach Angeldorsch. Deshalb vorweg: Das Bändchen im Reclam-Format ist von einem jüngeren, aber gleichwohl in der Materie einschlägig ausgewiesenen Politikwissenschaftler1 verfasst, den vor allem interessiert, ob die selektiv präsentierten Ideen „auch in der Gegenwart wichtige Orientierungshilfen“ (S. 12) bieten würden. Von „politiktheoretischer Warte“ (ebd.) seien die Grundfragen eines Gemeinwesens nie erledigt, würden vielmehr immer wieder neu aufgenommen und seien im vorliegenden Fall „oft Variationen dessen, was schon in den 60 Jahren Ihrer Geschichte die Gemüter bewegte“ (S. 13).

Auch Historiker konstruieren ihren Gegenstand und sind an dessen gegenwärtiger Relevanz nicht uninteressiert, aber betrachten ihn doch mit etwas anderen Augen, fragen abgesehen von Traditionssträngen jeweiliger Ideengebäude nach Verflechtungen der Akteure, möglichen gesellschaftlichen Gründen, Rezeptionschancen auf dem Meinungsmarkt, darauf basierenden Konjunkturen, Hegemonien, außenseiterischen Positionen und nach zahlreichen anderen Aspekten. Danach sollte man hier nicht suchen und das Manko nicht kritisieren, sondern den Autor begleiten auf der Suche nach jenem „Reservoir an Idealen“, das „als geistige und politische Substanz“ wiederum „Ressourcen für eine dauerhafte Identifikation der Bürger“ (S. 14) bereit halten würde, auch wenn dessen Mythisierung sich bisweilen an der Geschichte reibe.

Die politische Positionen einiger wichtiger Intellektueller werden von Jens Hacke knapp und konzise skizziert, die linke Kritik am „restaurativen Charakter der Epoche“ (S. 19), das Angebot seitens desillusionierter vormaliger Konservativer Revolutionäre, die „Sachzwänge der Industriegesellschaft“ zum „beherrschenden Paradigma“ (S. 22) zu erheben, und schließlich der liberale, einem emphatischen Gründungsakt entgegengesetzte Gedanke der „lebendigen Verfassung“ (S. 27), den Dolf Sternberger später in der Formel des „Verfassungspatriotismus“ ausprägte. Auf dem so beschrittenen Weg gegen nationalistische Traditionen, den Soziologen wie Helmuth Plessner und besonders Ralf Dahrendorf historisch zu grundieren suchten, habe die Sozialdemokratie „Möglichkeiten für eine politische Identifikation und für reformerische Alternativen [geboten], fast alle jungen Intellektuellen fanden hier – zumindest vorübergehend – ihre politische Heimat“ (S. 33); genannt werden Hermann Lübbe, Thomas Nipperdey, Ernst-Wolfgang Böckenförde, Wilhelm Hennis, Kurt Sontheimer, Karl Dietrich Bracher und einige Schriftsteller aus der Gruppe 47.

Diese Stilisierung einer politisch-intellektuellen Generation – sie ist auch in Teilen der zeitgeschichtlichen Intellectual History en vogue2 – liefert den Hintergrund für das mittlerweile geläufige Narrativ von „1968“ als Begegnung zweier politischer Generationen, jener der nüchternen „Forty-Fivers“, sie fungieren hier als positive Helden der Ideengeschichte, und der „Studentenbewegung“ von 1968 mit ihrem „flexiblen Theoriebaukasten“, deren „wahrer Verblendungszusammenhang heute noch staunen macht“ (S. 35). Solcherart ideologiekritisches Vokabular – unter Ausblendung möglicher Gründe – wird von Jens Hacke exklusiv auf die „Revolutionsromantik“ (S. 37) der 68er bezogen, die letztlich nur das Verdienst gehabt hätten, die Legitimationsbedürftigkeit der Bundesrepublik als Problem offen zu legen und die „staatstragenden politischen und geistigen Eliten unter Verteidigungs- und Begründungszwang“ (ebd.) zu setzen. Dabei, so unterstreicht der Autor, verweise „aus der Sicht eines bundesrepublikanischen Liberalkonservatismus“ (S. 40) – über den Begriff „Liberalkonservatismus“ wäre gesondert zu diskutieren – bereits das Aufwerfen von Legitimationsproblemen auf ein „strategisches Interesse“ (ebd.). Die „Selbstverständigungsdebatten“ (S. 43) der 1980er-Jahre um nationale Identität und NS-Vergangenheit seien vor diesem Hintergrund zu betrachten, während sich die „Ratlosigkeit der intellektuellen Eliten“ (S. 49) angesichts der „Revolution“ von 1989 gezeigt habe, die nicht ihrer epochalen und normativen Bindung von Revolutionen an die bürgerliche Aufklärung entsprochen habe.

Nach diesem Parforce-Ritt durch die Ideengeschichte kehrt der Autor in der Mitte des Bandes zu den Anfängen zurück und stellt das „ordoliberale Modell“ als „politisch-moralische Rahmung der Marktwirtschaft“ (S. 53) dar, wobei die Kritik des Liberalismus der Zwischenkriegszeit als Movens von Alexander Rüstow, Wilhelm Röpke und anderen gilt, während deren eifernder Antikollektivismus und eine weitgehende Gemeinsamkeit mit der rechtskonservativen Freiheits-Propaganda im Kalten Krieg unerwähnt bleibt. Erneut aufgenommen wird anschließend die Darstellung der Sachzwang-Technokraten unter den Soziologen der „Leipziger Schule“ mit ihrer „um normative Gehalte halbierten Moderne“ (S. 61). Diese „Antiphilosophie der Politik“ (S. 67) habe noch die Debatten zwischen Niklas Luhmann und Jürgen Habermas um die Frage „Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie?“ in den 1970er-Jahren geprägt. Entgegen grundsätzlicher Skepsis gegenüber dem Staat sieht Hacke auch „liberale Staatsfreundschaften“ (S. 75), benannt werden erneut Böckenförde und Hennis, wobei sich der Autor offenbar selbst nicht ganz sicher hinsichtlich der Verortung ist, wenn an anderer Stelle von „liberalen und liberalkonservativen politischen Denkern“ (S. 79) gesprochen wird. Diese jedenfalls seien besorgt gewesen um über die Vernunft hinausreichende Identifikationen mit dem Staat – hier wird ein Motiv der immer wieder aufzüngelnden Leitkultur-Debatten benannt.

Im letzten Kapitel über „Bürgerlichkeit und Zivilgesellschaft“ (S. 84) geht es einerseits um die „Vertreter einer liberalen Bürgerlichkeit“ (S. 88), die Schule Joachim Ritters mit ihrer Emphase für den handlungsfähigen Staat – bei der man erneut über das Label „liberal“ diskutieren könnte –, sowie andererseits um Postulate und „neue Wege für Partizipation“ (S. 93), wobei Dahrendorf als Vertreter einer „integrativen Mittlerposition“ (S. 100) genannt wird. Der Band endet mit einer leicht pathetischen Eloge: „Deshalb kann eine jüngere ‚Generation Reform‘ (Paul Nolte) nur willkommen sein, die an das reiche Erbe einer bundesrepublikanischen Ideengeschichte anknüpft, um die grundlegenden Debatten über das Gemeinwohl und die normativen Potentiale der Politik wieder zu beleben.“ (S. 120) So endet die stark selektive, aber gehaltvolle Skizze wichtiger politischer Ideen in der Geschichte der Bundesrepublik als Programmschrift einer noch vage bestimmten intellektuellen Strömung, die sich selbst in vertrauter Weise als Generation zu stilisieren versucht, um Meinungsführerschaft zu reklamieren.

Anmerkungen:
1 Vgl. Jens Hacke, Philosophie der Bürgerlichkeit. Die liberalkonservative Begründung der Bundesrepublik, Göttingen 2006; vgl. Ulrich Bielefeld: Rezension zu: Hacke, Jens A.: Philosophie der Bürgerlichkeit. Die liberalkonservative Begründung der Bundesrepublik. Göttingen 2006, in: H-Soz-u-Kult, 07.06.2007, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2007-2-143>.
2 Vgl. etwa A. Dirk Moses, German Intellectuals and the Nazi Past, Cambridge u.a. 2007; vgl. dazu Jens Hacke: Rezension zu: Moses, A. Dirk: German Intellectuals and the Nazi Past. Cambridge 2007, in: H-Soz-u-Kult, 02.09.2008, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2008-3-124>.

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