P. Mantel: Betriebswirtschaftslehre und Nationalsozialismus

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Titel
Betriebswirtschaftslehre und Nationalsozialismus. Eine institutionen- und personengeschichtliche Studie


Autor(en)
Mantel, Peter
Erschienen
Anzahl Seiten
926 S.
Preis
€ 89,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Roman Köster, Historisches Institut, Universität der Bundeswehr München

Peter Mantel hat mit seiner Berliner Dissertation eine, wie es im Untertitel heißt, personen- und institutionengeschichtliche Studie der deutschen Betriebswirtschaftslehre während des Nationalsozialismus geschrieben. Dabei geht es ihm insbesondere darum, zu untersuchen, welchen Einfluss das nationalsozialistische Regime auf die Vertreter und Institutionen der BWL hatte. Des Weiteren soll die Geschichte des Fachs während des "Dritten Reichs" in den Kontext der Institutionalisierung und Professionalisierung der BWL seit der Jahrhundertwende eingeordnet werden.

Mantel geht zunächst davon aus, dass die Betriebswirtschaftslehre, besonders im Vergleich zu ihrer ungeliebten "Schwester" Volkswirtschaftslehre, in der NS-Zeit einen gewissen Aufschwung erlebte. Zwar sanken in den ökonomischen Fächern insgesamt die Studierendenzahlen (wobei die Statistik nicht zwischen VWL- und BWL-Studenten unterscheidet), sie entsprachen damit jedoch dem generellen Trend. Dabei gibt es Hinweise darauf, dass die Betriebswirtschafslehre ihre Position gegenüber der VWL ausbauen konnte, was sich vor allem in neugeschaffenen Stellen manifestierte. Trotzdem hatte die Disziplin unter Nachwuchssorgen zu leiden.

Anschließend untersucht Mantel minutiös die einzelnen Universitäten und Handelshochschulen, an denen BWL unterrichtet wurde. Auffallend ist dabei zunächst die hohe Anzahl von Konflikten, die an den Fakultäten ausgetragen wurden, was Mantel zumindest teilweise durch die soziale Heterogenität der Betriebswirte bedingt sieht. Wissenschaftler, die sich ostentativ als Vertreter einer nationalsozialistischen Betriebswirtschaftslehre verstanden, gab es dabei offensichtlich relativ wenige: vor allem Niklisch in Berlin, Thoms in Heidelberg oder Geldmacher in Köln. Umgekehrt gab es jedoch auch sehr wenige, bei denen sich Resistenz beobachten lässt, wie etwa im Fall von Richard Passow in Göttingen, den sein nationalsozialistischer "Kollege" Weigmann von seiner Professur entfernen lassen wollte. Hier wie in anderen Fällen ist es jedoch schwierig zu klären, ob solche Konflikte politische Ursachen hatten oder in fakultätsinternen Animositäten wurzelten. Insgesamt kommt Mantel zu dem Fazit, dass sich die meisten Betriebswirte in der einen oder anderen Formen anpassten, wobei der Grad der Verstrickung allerdings stark differieren konnte.

Ein langes Kapitel widmet der Autor denjenigen Betriebswirten, die vom Nationalsozialismus verfolgt wurden oder in anderer Weise Repressionen erleiden mussten. Hier wird vor allem dem relativ prominenten Fall Eugen Schmalenbachs genauere Aufmerksamkeit geschenkt. Schmalenbach, die in institutioneller und intellektueller Hinsicht wohl bedeutsamste Figur der deutschen BWL in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, musste bald nach der "Machtergreifung" seine Kölner Professur räumen: zum einen weil er sich mit der nationalsozialistischen Ideologie nicht anfreunden mochte, zum anderen weil seine Frau Jüdin war. In der Endphase des Zweiten Weltkriegs wurden die Schmalenbachs von einem ehemaligen Schüler versteckt. Insgesamt war die Zahl der vom NS-Regime verfolgten Betriebswirte relativ gering, genauso wie die Zahl der Emigranten mit dem Schmalenbach-Schüler Julius Hirsch als wohl prominentestem Fall. Allerdings mussten einige Betriebswirte teilweise gravierende Verzögerungen ihrer akademischen Karriere in Kauf nehmen, weil sie als politisch unzuverlässig galten.

Abschließend widmet sich Mantel noch der unmittelbaren institutionellen Nachkriegsentwicklung. Die meisten belasteten Hochschullehrer wurden entlassen und versuchten anschließend, wieder in den Universitätsbetrieb zurückzukehren. Ihre Nazi-Vergangenheit beschönigten sie dabei zumeist auf die eine oder andere Weise bzw. versuchten sogar, sich zu verkappten Widerstandskämpfern zu stilisieren. Insgesamt kommt Mantel zu dem Fazit, dass die Disziplin ihre Verstrickung in das nationalsozialistische Regime verdrängte statt sie konsequent aufzuarbeiten.

Ein enormes Plus der Arbeit ist der ungeheure Arbeitsaufwand, den Mantel erbracht hat. Er hat sämtliche (!) Institutionen untersucht, in denen in Deutschland BWL gelehrt wurde – und das waren einige. Es dürfte wohl wenige Dissertationen geben, in denen der Verfasser derart viele Archive konsultiert hat. Dadurch hat Mantel gewissermaßen zwei Bücher in einem geschrieben: Neben einer institutionengeschichtlichen Darstellung ist seine Arbeit zugleich auch ein Handbuch der deutschen Betriebswirtschaftslehre und ihrer Protagonisten im "Dritten Reich". Mitunter fällt die Lektüre etwas schwer, weil die einzelnen Institutionen dann auch nacheinander beschrieben werden. Trotzdem ist die Lesbarkeit der Arbeit insgesamt recht gut, zumal die Rand- und Nebenschauplätze der zahlreichen Konflikte und Intrigen in den Fußnoten abgehandelt werden. Inhaltlich kann den meisten Ergebnissen durchaus zugestimmt werden. Zweifel schleichen sich jedoch bezüglich der Frage ein, ob die Institutionalisierung der BWL während des Nationalsozialismus wirklich erfolgreich war. Zumindest hätte man noch ein paar Worte mehr zu der Frage verlieren können, warum eine Disziplin, die offensichtlich en vogue war und in der es als relativ einfach galt, ein Ordinariat zu erlangen, solche Nachwuchssorgen hatte.

Es ist, das zum Abschluss, immer leicht, ein Buch dafür zu kritisieren, das etwas nicht in ihm steht. Angesichts der schlicht beeindruckenden Detailarbeit wäre es im Rahmen einer Dissertation wohl kaum möglich gewesen, auch noch eine Geschichte der inhaltlichen Debatten zu schreiben. Jedoch vermisst man bei der Lektüre diese Dimension mitunter schon, geht man einmal davon aus, dass fachliche und institutionelle Entwicklung im Zusammenhang standen. Mantels Arbeit zeigt zum Beispiel, dass die Professuren in der BWL keineswegs ausschließlich nach politischen Gesichtspunkten besetzt wurden und dass es gewisse Spielräume für Resistenz gab. Gerade hier wäre es aber interessant, diese Behauptung anhand der Fachdebatten genauer zu untersuchen. Für die Zukunft erscheint das jedenfalls als eine lohnende Aufgabe. Auch ließe sich auf diese Weise eine genauere Aussage darüber treffen, inwieweit die BWL wirklich einen Aufschwung erlebte, beispielsweise weil sie für die Kriegswirtschaft nützliche Erkenntnisse lieferte, oder ob sie nicht, ähnlich der Nationalökonomie, einen Ansehensverlust erlitt. Mantel hat also, was er freimütig einräumt, nur eine Seite der Geschichte geschrieben. Hinsichtlich des institutionellen Aspekts wird man an seiner Arbeit jedoch in Zukunft nicht vorbeigehen können.

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