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Titel
M. DuMont Schauberg. Der Kampf um die Unabhängigkeit des Zeitungsverlags unter der NS-Diktatur


Autor(en)
Pohl, Manfred
Erschienen
Frankfurt am Main 2009: Campus Verlag
Anzahl Seiten
543 S.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Florian Triebel, VB-4, BMW Group Classic

Im Februar 2006 veröffentlichte das Nachrichtenmagazin Der SPIEGEL die Rechercheergebnisse Ingo Niebels zu Grundstückskäufen, die der Kölner Verlag M. DuMont Schauberg im Jahr 1938 getätigt hatte. In dem Beitrag warf der Autor dem Verlag und der Eigentümer-Familie Neven DuMont vor, bei diesen Geschäften von der "Arisierungs"-Politik des NS-Regimes profitiert zu haben. Für Verlag und Familie waren diese Vorwürfe ungeheuerlich, hatte man sich doch jahrzehntelang darauf berufen, dass die Familie und das Unternehmen den nationalsozialistischen Machthabern im Mindesten kritisch-distanziert gegenüber gestanden habe. Noch im Oktober 2006 verurteilte das von der Familie angerufene Landgericht Köln den SPIEGEL und seinen Autor Niebel dazu, die aufgestellten Behauptungen zu widerrufen. Niebel musste im Verlauf des Prozesses einräumen, die von ihm aufgefundenen Dokumente nicht sorgfältig genug ausgewertet zu haben. Damit war für den Verlag M. DuMont Schauberg und die Familie Neven DuMont zwar Einiges gewonnen – doch nicht zuletzt die mediale Wirkung der von Niebel aufgestellten Behauptungen veranlasste die Neven DuMonts, die Geschichte des Verlages und der Familie während des Dritten Reiches durch einen ausgewiesenen Historiker aufklären zu lassen und dadurch allfälligen weiteren Vorwürfen vorzubauen. Hierbei vertraute die Familie auf die Expertise Manfred Pohls, dessen Ergebnisse nun vorliegen.

Pohls Fragestellung hält sich nahe an den von Niebel aufgestellten Vorwürfen. Einleitend schreibt er, sein Buch solle die Umstände der Grundstückskäufe aufklären, aber auch die grundsätzliche Einstellung der handelnden Personen, allen voran des Protagonisten Kurt Neven DuMont, zum nationalsozialistischen Regime aufhellen; in diesem Zusammenhang sei auch die Unternehmenspolitik des Hauses M. DuMont Schauberg und die grundsätzliche Ausrichtung seiner Publikationen zu analysieren. Somit befasst sich Pohl ausweislich seiner Einleitung "erstmalig mit der Geschichte eines deutschen Verlagshauses und seinen Produkten, den Zeitungen im Dritten Reich in seiner Gesamtheit" (S. 8); das Buch sei eine "Pioniertat", assistiert der Verlag im Klappentext.

Die Arbeit ist chronologisch gegliedert. Beginnend mit einer kurzen Skizze der Vorgeschichte des Verlages und seiner zentralen Publikation, der Kölnischen Zeitung, vom 19. Jahrhundert bis zum Ersten Weltkrieg, setzt das Kapitel zur Weimarer Republik einen ersten Schwerpunkt. Anschließend widmet sich Pohl der Politik des Hauses in den kritischen Monaten ab 1930, als sich die erste deutsche Republik in ihrer Agonie wand. Die folgenden Kapitel beschäftigen sich mit der Historie des Verlages nach der nationalsozialistischen "Machtergreifung". In dieser Phase musste sich M. DuMont Schauberg gegen heftige Angriffe der NS-Presse auf seine Publikationen wehren, schaffte es aber "[b]is zum bitteren Ende" – so Pohls Titel für das Kapitel über den Zweiten Weltkrieg – die Geschäftstätigkeit aufrecht zu erhalten. Abschließend widmet sich Pohl kurz der Geschichte des Verlages nach dem Zusammenbruch 1945, der Entnazifizierung Kurt Neven DuMonts und seinen Bemühungen um die Wiedererlangung der Lizenz.

Methodisch nähert sich Pohl seinem Untersuchungsgegenstand mittels einer Collage. Ausführliche, nicht selten über eine Druckseite reichende, Quellenzitate werden aneinandermontiert, teilweise mit vorangestellten zusammenfassenden Regesten des Zitats, teilweise auch mit Einordnungen in den Gesamtzusammenhang, die mitunter sehr breit angelegt sind. So werden den Abschriften kompletter Artikel der Kölnischen Zeitung und ihrer Konkurrenzblätter Vossische Zeitung und Frankfurter Zeitung zu den Vorgängen der Jahre 1930 bis 1932 ausführliche Detaillierungen der politischen Zusammenhänge beigegeben, ohne jedoch die Standpunkte der jeweiligen Blätter vergleichend zu analysieren. Immerhin kann sich der aufmerksame Leser anhand der ausgebreiteten Quellen selbst ein aufschlussreiches und spannendes Bild der medialen Begleitung dieser für die deutsche Geschichte entscheidenden Monate durch drei maßgebliche überregionale Zeitungen machen; das fachkundige Geleit durch den Autor wäre hierbei aber wünschenswert und hilfreich gewesen.

Die gewählte Methode zwingt zu Sprüngen in Zeit und Raum und fordert dem Leser ein hohes Maß an Aufmerksamkeit und kognitiver Flexibilität ab. Dies auch, da beim Arrangieren der Collage inhaltliche Bezüge teilweise verloren zu gehen drohen, einzelne Passagen und auch ganze Kapitel ohne Anschluss zum Vorherigen und/oder Nachfolgenden montiert sind und der Arrangeur selbst bei seiner Arbeit zuweilen den Überblick verloren zu haben scheint. So erschließt sich dem Rezensenten nicht unmittelbar, aus welchem Grund das Unterkapitel "Die Kölner Medien am Vorabend der Machtergreifung" in das übergeordnete Kapitel "Der Kampf der Kölnischen Zeitung nach der Machtergreifung" eingehängt ist und nicht in das vorhergehende mit dem Titel "Am Vorabend des Dritten Reiches". Ferner werden diverse Beispiele für das "Schreiben zwischen den Zeilen" im Feuilleton der Kölnischen Zeitung unter der nationalsozialistischen Zensur auf den Seiten 334 bis 342 im Kapitel "Hilfe für die Mitarbeiter" dokumentiert und nicht innerhalb des weiter vorne stehenden Abschnitts "Das Feuilleton – die Kunst, zwischen gesagten Sätzen das Ungesagte zu schreiben" (S. 267 bis 300), wo man solche Beispiele deutlich vermisst. Zudem werden an diversen Stellen der Darstellung Quellen in ihrem Wortlaut doppelt wiedergegeben statt auf die erste Zitation zu verweisen, ohne dass sich hieraus ein inhaltlicher Mehrwert erschließt (so zum Beispiel S. 95 und 212; S. 191 und 218; S. 219, S. 221 und FN 112 auf S. 452). Zuweilen werden auch komplette inhaltliche Zusammenhänge an unterschiedlichen Stellen der Untersuchung doppelt ausgebreitet, so dass der Eindruck entsteht, es handele sich methodisch um die im Surrealismus entwickelte Sonderform der Collage, der "cadavre exquis". Ein Sachregister, das die Nachteile der gewählten Vorgehensweise zumindest partiell hätte ausgleichen können, ist der Studie bedauerlicherweise nicht beigegeben worden.

Die volle Bedeutung eines Kunstwerks erschließt sich dem Betrachtenden meist erst nach dem Zurücktreten, bei dem er sich von der Einzelbetrachtung löst, um das Gesamtbild würdigen zu können. Bei vorliegendem Werk fallen die Ergebnisse eines solchen Urteils dürftig aus. Zwar erscheint anhand der ausgebreiteten Dokumente plausibel, dass die Familie Neven DuMont und ein Großteil der bei der Kölnischen Zeitung Beschäftigten dem Nationalsozialismus kritisch gegenüberstanden, doch verweigert sich der Autor einer abschließenden Bewertung mit dem Satz "Jeder, der über ihn [i.e. Kurt Neven DuMont, F.T.] urteilt, wird Pro und Kontra abwägen müssen, um sich sein eigenes Urteil zu bilden" (S. 386). Und es bleibt eine Reihe von Fragen offen. So würde man gern wissen, wieso die Familie trotz der Repressalien der Partei gegen den Verlag und seine Zeitungen nicht einen Weg fand, das Eigentum zu behalten und sich gleichzeitig aus der unternehmerischen und redaktionellen Verantwortung zu nehmen. Ferner vermisst man eine Bewertung des Autors zu den eingangs erwähnten Grundstücksverkäufen; in der Dokumentation der Aktenlage fällt schließlich nur die Bemerkung, dass "diese Frage nicht eindeutig geklärt werden" konnte (S. 342). Dies muss insbesondere für die Auftraggeber ein unbefriedigendes Ergebnis darstellen.

Schließlich ist noch dem von Autor und Verlag behaupteten Anspruch einer "Pioniertat" energisch zu widersprechen. Zwar existiert bislang keine "umfassende" Darstellung eines unabhängigen deutschen Zeitungsverlages 1933 bis 1945, doch hätte ein Blick in größere Bibliothekskataloge darüber belehrt, dass inzwischen einige Darstellungen zu deutschen Verlagsunternehmen im Dritten Reich vorliegen. Die Untersuchungen zu Bertelsmann, C.H. Beck, Eugen Diederichs und anderen (Buch-)Verlagen hätten gezeigt, welchen politischen Zwängen und Restriktionen als auch betriebswirtschaftlichen Zusammenhängen und Herausforderungen privatwirtschaftliche Unternehmen eines eng verwandten Geschäftsfeldes im Untersuchungszeitraum ausgesetzt waren. Zudem existieren inzwischen eine Reihe von Untersuchungen zu einzelnen "unabhängigen" sowie parteieigenen Zeitungen und deren Verlagen, die ebenfalls ausweislich des schmalen Literaturverzeichnisses nur partiell zur Kenntnis genommen worden sind.

Dass die Ergebnisse all dieser Studien nicht berücksichtigt und somit die eigenen Resultate von Pohl nicht in den Forschungskontext eingeordnet werden, macht die vorliegende Monografie nicht nur inhaltlich ärmer, sondern führt auch dazu, dass wichtige Fragen nicht gestellt werden. So erwartet man von einer Unternehmensgeschichte "eines deutschen Verlagshauses […] in seiner Gesamtheit" deutlich mehr als nur beiläufig eingestreute knappe Zitate und Bemerkungen zur betriebswirtschaftlichen Lage des Hauses. An diversen Stellen erwähnt Pohl Lohndruckaufträge der verlagseigenen Druckerei; auch hier wäre interessant gewesen, in welchem unternehmerischen Verhältnis das Kerngeschäft Zeitungsdruck zum Auftragsdruck stand. Ferner stellten die Reglementierungen der Kriegswirtschaft die deutschen Verlage spätestens ab 1941 vor schwerwiegende Probleme. Nicht nur die von Pohl erwähnte Zensur und die "Auskämmung" des Personals für den Kriegseinsatz erschwerten die tägliche Arbeit; viel schwerwiegender war die stetig kritischer werdende Versorgung mit der für Verlage lebensnotwendigen Ressource Papier. Zu den sich hieran anschließenden Fragen nimmt Pohl ebenso wenig Stellung wie zum Nachschub von Ersatzteilen für die verschlissenen Druckmaschinen und zu den Auswirkungen des von ihm breit dokumentierten Bombenkriegs auf Köln; ebenfalls keine Erwähnung findet die Versorgung mit Metall für den Satz – eine schwierige Aufgabe für ein Druckunternehmen mitten im Krieg, die sich durch den "Führerbefehl" zum Verbot der "Schwabacher Judenlettern" 1941 noch deutlich erschwert haben dürfte. Antworten auf diese und viele weitere Fragen zu finden, wäre lohnenswert gewesen, ist jedoch bedauerlicherweise unterblieben. Man legt folglich das Buch nach der Lektüre unbefriedigt zur Seite und wünscht sich, dass neue, ertragreichere Arbeiten zur Geschichte deutscher Medienunternehmen und des Hauses M. DuMont Schauberg vorgelegt werden.

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