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Titel
Belgien und Luxemburg.


Autor(en)
Erbe, Michael
Reihe
Die Deutschen und ihre Nachbarn
Erschienen
München 2009: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
175 S.
Preis
€ 18,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Peter M. Quadflieg, Lehr- und Forschungsgebiet Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen

Unter dem Reihentitel „Die Deutschen und ihre Nachbarn“ geben Altbundeskanzler Helmut Schmidt und Altbundespräsident Richard von Weizsäcker seit Beginn des Jahres 2009 neue Portraits der europäischen Nationen heraus. Die Bände, jeweils von Kennern des Landes, wenn auch nicht immer von Fachwissenschaftlern verfasst, beschäftigten sich nicht nur mit den unmittelbaren geografischen Nachbarn der Bundesrepublik, sondern auch mit weiteren europäischen Nationen wie Russland oder dem Vereinigten Königreich. Ziel der Reihe, so die beiden Herausgeber, ist es, die kulturellen Gemeinsamkeiten Deutschlands und seiner Nachbarn aufzuzeigen, und so das deutsche Verständnis für die jeweiligen Nachbarstaaten zu schärfen.

Michael Erbes Band zu Belgien und Luxemburg ist der bislang einzige der Reihe, der sich gleich mit zwei Staaten beschäftigt. Interessant ist, dass die Niederlande, sonst gerne mit ihren südlichen Nachbarn in Regionalstudien zu „BeNeLux“ zusammengefasst 1, einen eigenen Titel, von Geert Mak vorgelegt, erhielten.2 Entsprechend mag es im ersten Moment verwundern, dass man sich dennoch für einen gemeinsamen Band Belgien/Luxemburg entschieden hat, und es drängt sich die Frage auf, ob man auf Seiten der Herausgeber befürchtete, ein sich „lediglich“ mit Luxemburg beschäftigender Reihenbeitrag würde nicht genügend Käufer finden.

Wie dem auch sei: Michael Erbes Aufgabe bestand darin, beide Staaten möglichst umfassend zu portraitieren. Er hat sie in äußerst komprimierter Form erfüllt und sein Versuch ist, um es vorwegzunehmen, in weiten Teilen gelungen.

Der schmale, nicht mehr als 175 Seiten umfassende Band gliedert sich in Einleitung, zwölf Kapitel und einen rund zehn Seiten umfassenden Anhang. In seinen einführenden Worten weist Michael Erbe dem Leser den Weg durch seine Parallelbetrachtung zweier Monarchien und geht dann kurz auf die wichtigsten Etappen der Staatswerdung sowie die Frühgeschichte beider Staaten ein.

In den ersten acht Kapiteln des Hauptteils legt er den Fokus auf einen der beiden Staaten und stellt jeweils einen wichtigen Aspekt der Nationenbeschreibung vor. Dabei schafft es Erbe, das sehr viel kleinere Luxemburg nicht in den Schatten der Betrachtung des größeren und wegen seiner Hauptstadt mit Doppelfunktion – föderaler Regierungssitz des belgischen Königreiches und de facto Kapitale der Europäischen Union – in europäischer Perspektive bedeutenderen Belgien zu stellen.

So informieren die ersten beiden Kapitel über die politische Entwicklung Belgiens bzw. Luxemburgs. Kapitel 3 und 4 sind den politischen Systemen gewidmet. Die beiden anschließenden Abschnitte beschäftigen sich mit den Parteienlandschaften. Damit räumt Erbe, seinen eigenen wissenschaftlichen Wurzeln folgend, der politischen Geschichte einen sehr breiten Raum ein. Dies ist legitim und bereichert den Band.

Es folgen in den Kapiteln 7 und 8 je eine Skizze für Belgien und für das Großherzogtum, die sich mit dem Themenkomplex Wirtschaft und Gesellschaft beschäftigen. In den darauf folgenden Kapiteln führt Michael Erbe die Betrachtung der beiden Staaten in komparativer Analyse wieder zusammen: Das neunte Kapitel widmet sich der Wissenschaft und dem Bildungswesen, das zehnte dem kulturellen Leben der beiden Staaten. Im elften Kapitel schließlich stellt Michael Erbe dem Leser Kurzbiographien bekannter Söhne und Töchter der beiden Staaten vor, bevor er im zwölften Kapitel Bilanz zieht und einen Ausblick wagt. Der Anhang umfasst eine recht umfangreiche Zeittafel, verschiedene politische Karten und einen leider äußerst knappen Anmerkungsapparat sowie ein nur 15 Titel umfassendes Literaturverzeichnis.

Der Leser bekommt durch die Lektüre einen raschen Überblick, nicht nur über die zentralen historischen Topoi beider Nationen – in Belgien der immerwährende Konflikt zwischen den beiden großen Sprachgruppen, in Luxemburg der schwierige Prozess der Emanzipation von den umgebenden Großmächten –, sondern auch eine äußerst anschaulich geschriebene enzyklopädische Zusammenfassung zu den vorgestellten Untersuchungsfeldern.

Auf der Strecke bleibt dabei leider ein wenig die Frage nach den jeweiligen speziellen Beziehungen zu Deutschland. Hier wäre ein eigenes Kapitel wünschenswert gewesen, vor allem wenn man die oben angeführten Ziele der Reihe betrachtet. Gleichzeitig verwundert es, wenn Michael Erbe vor allem dem deutschen Standpunkt verpflichtete Bewertungen, beispielsweise zu aktuellen belgischen Diskursen, vertritt.

So behauptet er in seinem Fazit, die rund 73.000 Einwohner zählende deutschsprachige Minderheit Belgiens würde sich als „Deutsch-Belgier“ bezeichnen und im Falle eines Zerfalls Belgiens einen Anschluss an Luxemburg befürworten. Tatsächlich legt man in der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens (DG) sehr viel Wert darauf, als „deutschsprachige Belgier“ und eben gerade nicht als „Deutsch-Belgier“ tituliert zu werden.3 Der Ministerpräsident und die Regierung der DG haben immer wieder betont, dass es den Einwohnern im Fall der Fälle in einer freien und geheimen Abstimmung überlassen werden würde, über ihre staatsrechtliche Zukunft zu entscheiden.4

Der Mehrwert von Erbes Studie liegt in seinem Ansatz, politikwissenschaftliche und historische Perspektiven zu verknüpfen. Jedes Kapitel bietet neben einem Blick auf die aktuelle Situation einen angemessenen Rückblick auf die historische Entwicklung. Dies macht das Buch auch im universitären Bereich lesenswert, beispielsweise als einführende Literatur für Seminare, auch wenn sich hier der minimale wissenschaftliche Apparat leider negativ auswirkt. Die Betrachtungen selbst sind wegen ihres multiperspektivischen Ansatzes äußerst lesenswert.

So erklärt Michael Erbe beispielsweise in seinem zehnten Kapitel zum Bildungswesen und zur Wissenschaft nicht nur, warum Belgien zu den europäischen Musterländern in Bezug auf den Bildungsstand gehört – das kleine Königreich landet regelmäßig auf den vorderen Plätzen der PISA-Studie –, sondern er geht ausführlich auf die jahrhundertealten Wurzeln der belgischen Hochschullandschaft und des belgischen Schulsystems ein. Er illustriert seine Schilderungen gekonnt mit Beispielen, etwa dem Wirken des Brüsseler Naturforschers Johan Baptista van Helmont oder der Geschichte der Katholischen Universität Löwen. Dabei gerät das Ziel, eine Überblicksdarstellung zu bieten, nie aus den Augen.

In seinem Fazit hebt Michael Erbe die Verdienste beider Staaten und ihrer politischen Führer für die Integration Europas hervor – ein Motiv, das sich auch durch seine Betrachtung zur neueren politischen Geschichte beider Staaten zieht. Er bezeichnet Belgien und Luxemburg zurecht als „Schwungräder der europäischen Integration“ (S. 161). Kritisch stellt er die Frage nach der staatlichen Zukunft des im Sprachstreit zermürbten Königreichs Belgien und bietet als Ausweg die konsequente Fortführung des Föderalismus an, zu dem in der Tat diejenigen politischen Kräfte in Belgien keine Alternative sehen, die das Land als Staat erhalten möchten. Im Zusammenhang mit Erbes Beurteilung des bisherigen Föderalismusprozesses seit den 1970er-Jahren verwundert diese These jedoch ein wenig, führt er doch im Kapitel zur politischen Entwicklung des belgischen Staates aus: „Zum Zusammenhalt Belgiens trug dies [die Föderalisierung, PMQ] alles wenig bei, vielmehr wurde die innere Spaltung immer tiefer. Die Reformen verhinderten lediglich das offene Auseinanderfallen des Staatswesens […].“ (S. 43) Hier widerspricht sich der Autor also erkennbar selbst.

Insgesamt ist es Michael Erbe aber gelungen, eine lesenswerte, verständliche und darüber hinaus äußerst unterhaltsame Einführung in die Gegenwart und Vergangenheit Belgiens und Luxemburgs zu schreiben. Als Einführung durchaus geeignet, macht die Lektüre Lust auf die tiefergehende Beschäftigung mit diesen beiden kleinen, wegen ihrer abwechslungsreichen Geschichte, ihrer kulturellen und politischen Pluralität und ihrer besonderen Beziehungen zu Deutschland so spannenden europäischen Nationen.5

Anmerkungen:
1 Etwa beim ebenfalls von Michael Erbe verfassten Band: Belgien, Niederlande, Luxemburg. Geschichte des Niederländischen Raumes, Stuttgart 1993.
2 Vgl. Geert Mak, Niederlande, München 2009.
3 Vgl. die Selbstdarstellung der Deutschsprachigen Gemeinschaft unter <http://www.dglive.be> und des Parlaments der Deutschsprachigen Gemeinschaft unter <http://www.dgparlament.be> (11.03.2010).
4 Vgl. Artikel „Ostbelgier sehen die Regierungskrise noch gelassen“, Interview mit Karl-Heinz Lambertz, Ministerpräsident der DG, in: Aachener Nachrichten, 08.11.2007.
5 Hier seihen besonders empfohlen: Johannes Kroll, Belgien. Geschichte - Politik - Kultur – Wirtschaft, Münster 2007 und Gilbert Trausch (Hrsg.), Histoire du Luxembourg. Le destin européen d’un ‘petit pays’, Neuauflage Toulouse 2002.

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