Cover
Titel
Die SED. Geschichte einer deutschen Partei


Autor(en)
Malycha, Andreas; Winters, Peter Jochen
Reihe
Beck'sche Reihe 1944
Erschienen
München 2009: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
480 S.
Preis
€ 16,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jens Gieseke, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

Es gehört zu den Merkwürdigkeiten der DDR-Forschung seit 1990, dass sie zwar zu einer nicht enden wollenden Fülle von Detailthemen Untersuchungen vorgelegt hat, die Geschichte der Staatspartei SED aber weitgehend ausgespart hat. Kaum jemand in der öffentlichen Debatte versäumt es darauf hinzuweisen, dass die Staatssicherheit nur ausführendes Instrument der eigentlich verantwortlichen Partei gewesen sei, ein kämpferischer Forschungsverbund führt den SED-Staat im Namen, aber die systematische Forschung steckt noch ganz in den Anfängen, sieht man von der Frühphase der Parteigeschichte ab.

Umso beachtenswerter ist es, dass nun der C.H. Beck Verlag zum Jubiläumsjahr 2009 eine Gesamtdarstellung zur SED-Geschichte herausgebracht hat, die – wohl aufgrund der rhetorischen Forderungen nach einer stärkeren Beachtung der kommunistischen Partei – sogleich auflagenstark von der Bundeszentrale für politische Bildung in den Vertrieb aufgenommen wurde. Die Autoren sind als Fachleute über jeden Zweifel erhaben: Andreas Malycha, einstmals Historiker im Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, hat sich mit wichtigen Studien zur Stalinisierung der SED bis 1953 glaubwürdig von seiner früheren Aufgabe als Legitimationswissenschaftler emanzipiert. Er behandelt in dem hier zu besprechenden Band die Phase bis 1971. Sein Partner ist der ehemalige DDR-Korrespondent der FAZ, Peter Jochen Winters. Er schreibt über die 1970er- und 1980er-Jahre, für die er über ein konkurrenzloses Reservoir von Einblicken in den Lebensalltag der DDR-Bürger und eine Fülle von hochkarätigen Begegnungen verfügt.

Was die beiden vorgelegt haben, ist dennoch enttäuschend. Die Autoren können einen Forschungsstand nicht herbeizaubern, den es nicht gibt. Sie konzentrieren sich deshalb auf eine Geschichte der SED-Führung und ihrer politischen Kurswechsel. Diese Darstellung ist kundig und gibt eine gute und kompakte Orientierung. Gründlich schreiten sie die Ereignisse ab: 17. Juni, Entstalinisierung, Reformdebatten der 1960er-Jahre, Machtwechsel von Ulbricht zu Honecker, der voluntaristische Wohlfahrtssozialismus der 1970er-Jahre, der Niedergang des Systems und die Transformation zur PDS. Allerdings geht das Gebotene selbst bei großzügiger Betrachtung allenfalls auf einer Handvoll Seiten über das hinaus, was seit Mitte der 1990er-Jahre in den klassischen, nach der Archivrevolution ergänzten Gesamtdarstellungen zur DDR-Geschichte von Dietrich Staritz und Hermann Weber zur SED zu lesen ist. Da stellt sich schon die Frage, warum dieses Wissen hier noch einmal reproduziert wird, zumal auch interpretatorisch kein Neuland beschritten wird.

Wäre es nicht besser, auf den Schultern dieser Klassiker den Blick etwas zu weiten? Es gäbe viel zu entdecken in dieser Partei, die ja nicht nur eine Führung hatte, die gelegentlich den Kurs wechselte oder sich in internen Machtkämpfen erging, sondern mit mehreren Hunderttausend Nomenklaturkadern und Funktionären sowie über zwei Millionen Mitgliedern das eigentliche Rückgrat des kommunistischen Regimes in der ostdeutschen Gesellschaft war. Abgesehen von einem Anhang von acht Seiten zu den Mitgliederzahlen und einigen kursorischen Bemerkungen anlässlich von Krisensituationen bleiben das Innenleben und die Funktionsweise der Staatspartei jedoch ausgespart.

So schlecht der Forschungsstand zur Partei im engeren Sinne ist, so ärgerlich ist es, dass auch die unmittelbar angrenzenden Forschungsdebatten zu Wirkungsfeldern der Parteiherrschaft von den Autoren nicht aufgegriffen werden: die Bedeutung von Generationenkonstellationen, die breite Elitenforschung, die Kontroversen um den Ausbau der Sicherheitsarchitektur nach dem Mauerbau, die intensive Forschung zu Legitimationsansprüchen und Grenzen des diktatorischen Durchgriffs in der Ära Honecker. Heike Solgas fundamentale Studie zur Rolle der Parteizugehörigkeit als entscheidendem Faktor für die Entstehung und Reproduktion einer neuen Klassengesellschaft wird nicht erwähnt, ebenso wenig die französische Schule der „socio-histoire“ mit den Arbeiten Sandrine Kotts zur Partei im Betriebsalltag und Jay Rowells zur Rolle der SED-„Bezirksfürsten“.

Damit lässt der Band viele interessante Fragen links liegen, zum Beispiel warum so viele DDR-Bürger damals Mitglied der SED wurden, 1989/90 fluchtartig austraten und heute wieder das Traditions- (und Wahl-)reservoir der DDR-Nostalgie bilden. Er lässt auch offen, wie eine Kreis- oder Bezirksleitung versuchte, die Lage in ihrem Territorium im Griff zu behalten (Landolf Scherzers „Der Erste“, die bedeutendste Quelle zu diesem Komplex, wird nicht mal erwähnt) und nach welchen Maximen die Parteiherrschaft in ihrer tagtäglichen Reproduktion funktionierte. Schon aus ihrer eigenen Anschauung als Zeitgenossen (in höchst unterschiedlichen Positionen) hätten die beiden Autoren dazu vieles beitragen können, und zumindest Malycha hätte auf sein breites Reservoir an eigenen Archivstudien zurückgreifen können. Man ahnt, welche Potentiale eine solche Analyse geboten hätte, wenn man die Bemerkungen über die Situation in der Partei nach der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968/69 liest: Die SED-Spitze habe die Intervention des Warschauer Paktes ihren Mitgliedern „nicht glaubhaft vermitteln“ können, diese hätten jedoch „aus Angst vor Repressionen“ geschwiegen. Danach hätten sich „Desillusionierung“ und eine „wachsende Entpolitisierung“ breit gemacht, „die dann in der Honecker-Ära zur Normalität des innerparteilichen Lebens gehörte“ (S. 188). Im Weiteren hätten allerdings „herrschaftsstabilisierende Integration und nicht permanente autoritäre Indoktrination das innerparteiliche Klima“ bestimmt (S. 189). Die SED-Mitglieder als Objekt der Repression, der Entpolitisierung, der Integration? Mit diesen Stichworten wäre das Tor aufgestoßen gewesen zu einer Diskussion der gesellschaftlichen Funktion und Rolle der SED als Massenpartei, doch leider ist dies fast die einzige Bemerkung zu deren innerer Verfassung und knapp vor der Hälfte des behandelten Zeitraums auch die letzte.

Es ist zu begrüßen, dass die Geschichte der kommunistischen Staatspartei SED mit dieser ordentlichen, aber arg begrenzten Darlegung wieder die Aufmerksamkeit findet, die ihr für das Verständnis der Systeme sowjetischen Typs zukommt. Sie lässt sich weder für eine Herrschafts- noch für eine Alltagsgeschichte der DDR aussparen, und schon gar nicht für eine Synthese beider Dimensionen.

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