U. Puschner u.a. (Hrsg.): Völkisch und national

Titel
Völkisch und national. Zur Aktualität alter Denkmuster im 21. Jahrhundert


Herausgeber
Puschner, Uwe; Großmann, G. Ulrich
Reihe
Wissenschaftliche Beibände zum Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums 5
Erschienen
Anzahl Seiten
429 S.
Preis
€ 79,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
René Gründer, Institut für Soziologie der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau

Der „Aktualität alter Denkmuster im 21. Jahrhundert“ widmen sich die 23 Beiträge des Readers zu der im November 2005 unter dem Titel „Völkisch und National“ im Germanischen Nationalmuseum zu Nürnberg abgehaltenen interdisziplinären Tagung.1 Anders als in vergleichbaren Aufsatzsammlungen zum Problemkreis völkischer Ideologie, stehen dabei weniger historisch-rekonstruktive Zugriffe auf kollektive Sinngebungsprozesse durch völkische Religionsentwürfe2 oder den völkischen Antisemitismus der Zwischenkriegszeit3 im Vordergrund – die Aufmerksamkeit gilt vielmehr der Rezeption völkischer Ideologeme in jüngster Vergangenheit. Der durch G. Ulrich Großmann 2003 aufgedeckte und als Aufhänger der Tagung fungierende Wissenschaftsskandal um die Tradierung der ariosophisch geprägten „Runenhaustheorie“ in aktuellen bauhistorischen Publikationen sowie in der Laienforschung, gibt diese Grundperspektive vor. Die Beiträge lassen sich, in Bezug auf die jeweils untersuchten Zeitschichten, in drei Gruppen zusammenfassen – ohne dass eine solche Gliederung allerdings im Band selbst angelegt wäre.

Einerseits handelt es sich um primär historisch-rekonstruktive Untersuchungen zu völkisch-ideologischen Wissensformen in der Zeit von circa 1880 bis 1945, wie etwa Ulrich Hungers aufschlussreicher Text zur „Runenkunde im Nationalsozialismus“ (S. 312ff.), die Untersuchungen von Konrad Köstlin zu „völkischen Ortsbesetzungen in Österreich“ (S. 110ff.), Anja Grebes Analysen zu Instrumentalisierung der Kunst Dürers im völkischen Kontext oder Ulrich Kleins differenzierte Darstellung der antagonistischen Interessen innerhalb der universitären Archäologie angesichts deren Indienstnahme durch den nationalsozialistischen Staat am Beispiel der Zeitschrift „Germanen-Erbe“ (S. 65ff.). Auch Helmut Zanders für eine differenzierende Hermeneutik des Themas plädierender Beitrag zu „Rudolf Steiners Rassenlehre“ (S. 145ff.) und Johannes Zechners Rekonstruktion der „ideologischen Karriere des ‚deutschen Waldes‘“ (S. 179) sind hier zuzuordnen. Die Beiträge Uwe Puschners zum Verhältnis der „Deutschen“ (Fraktur-)Schrift zur völkischen Weltanschauung und Luitgard Löws informativer Aufsatz zur „Sinnbildforschung“ Herman Wirths weisen bereits in differenzierten Analysen auf das Problemfeld eines adäquaten Umgangs mit völkisch konnotierten Kulturgütern (Schriftformen und Museumsexponaten) in der Gegenwart hin.

In einer zweiten Gruppe finden sich solche Beiträge, die sich primär aktuellen kulturellen Erscheinungen widmen, um jene kritisch auf ihre (intendierten wie unreflektierten) Bezüge auf „völkische Denkmuster“ hin zu befragen. In diesem Bereich sind, neben dem Initialbeitrag G. Ulrich Großmanns zum Verlauf des erwähnten bauhistorischen Wissenschaftsskandals von 2003, beispielsweise die ideologiekritische Auseinandersetzung Ulrich Linses mit der Naturphilosophie und dem Heimatkonzept des bayerischen Historikers und ehemaligen Grünen-Mitglieds Reinhard Falter (S. 156ff.), Bernd Sösemanns Kritik der populären Medienprodukte Rüdiger Sünners zur Thematik der so genannten „Schwarzen Sonne“, Felix Wiedemanns streitbare Thesen zur Tradierung eines völkisch konnotierten Hexenbildes im „Neuheidentum“ (S. 266), die Ausführungen Uta Halles zu völkisch-esoterischen Kontinuitäten des „Externsteine-Mythos nach 1945“ (S. 195ff.), der Text Bernd Wedemeyer-Kolwes zur Tradierung völkischer „Runengymnastik“ im esoterischen und neuheidnischen Spektrum (S. 329ff.), die lesenswerte Kritik des Mediävisten Caspar Ehlers an populärkulturellen Mittelalterbildern sowie Gregor Hufenreuthers differenzierte Analyse völkischer Ästhetik in der postmodernen Neofolk-Szene zu verorten.

In einem dritten Segment finden sich stärker theoretisch ausgerichtete Texte, die sich neben der Rekonstruktion von Überlieferungslinien völkischer Denkmuster zugleich um einen analytischen Zugriff auf die Fragen nach deren Form, Funktion und inhaltlicher Anschlussfähigkeit in der Gegenwartskultur bemühen. In diese Gruppe ist neben Wolfgang Brückners hervorragender systematisierender Einführung in die Strukturelemente völkischen Denkens (Volksmythos, Urzeitwahn, Kulturideologie) auch Gottfried Korffs überaus anregende Auseinandersetzung mit den Praktiken des Zeigens und Verbergens von Hakenkreuzen im musealen Kontext zu zählen. Korff (S. 90) spricht sich für eine pädagogisch wie juristisch „gepflegte“ (das heißt kontrollierte) Präsentation des Symbols im musealen Kontext aus.

Horst Junginger untersucht am Beispiel des Tübinger Grabert-Verlages die Funktion von Paganismus und Indo-Germanentumsideologie für die „Neue Rechte“ nach 1945. Kritisch setzt er sich mit einer wissenschaftlichen Wahrnehmung „neuheidnischer“ Religionskonzepte auseinander, die bis heute durch die apologetische Perspektive des Kirchenkampfes der 1930er-Jahre geprägt sei und somit einer objektiven, werturteilsarmen Untersuchung völkischer Religion eher entgegen stünde (S. 281). Mit dieser Wahrnehmung zu konfrontieren wäre die von Caspar Ehlers vorgetragene Gegenthese, dass gegenwärtig eine „nicht nur außerwissenschaftliche“ Tendenz zur Abwertung des christlichen Mittelalters zu Gunsten einer vermeintlich heileren „germanischen Frühgeschichte“ erfolge, in deren Hintergrund Ehlers eine (möglicherweise durch „lebendiges antichristliches und völkisches Gedankengut“ angestoßene) „Welle der Dechristianisierung“ (S. 415) vermutet.

Der Historiker Ingo Wiwjorra erkennt im Fazit seiner Untersuchung zur Germanen-Rezeption im gegenwärtigen Neopaganismus einen fehlenden gesellschaftlichen Konsens darüber, „wie viel ‚Tradition‘ oder ‚Traditionalistisches‘ unsere Gesellschaft sich leisten darf oder sollte und wie viel ‚Moderne‘ und ‚Wandel‘ sie verträgt, ohne daran zu zerbrechen.“ (S. 305). Als Erklärungsansatz für die Formen neuheidnischen „Urzeitwahns“ (vgl. Brückner) greift Wiwjorra im Sinne von Schnurbein/Ulbricht3 auf die These einer modernistischen „Krisenwahrnehmung“ zurück, die letztlich durch Konzepte wie „Naturverbundenheit, Heimatverbundenheit und Ahnenverbundenheit“ zu überwinden geglaubt werde. Alternative, bzw. weiterführende Erklärungsansätze, etwa im Sinne von competing modernities bzw. der Fokussierung antimodernistischer Bewegungen als Komplement rezenter Kulturformationen in der Moderne, werden dabei jedoch nicht diskutiert.

Der Sammelband bietet insgesamt einen überaus lesenswerten und zur Formulierung weiterführender Forschungsfragen inspirierenden Überblick zu Feldern und Tradierungslinien völkischen Denkens in der Spätmoderne. Der Anspruch auf eine systematische Analyse und historische Einordnung aktuell verbreiteter völkischer Ideologeme außerhalb explizit rechtsextremer Kontexte (vgl. S. 13) wurde jedoch nicht völlig durchgehalten. Zu stark überstrahlt die ideologische bzw. werturteilshaltige Aufladung des „Völkischen“ offenkundig dessen Eignung als Leitbegriff zur Analyse aktueller Kulturphänomene. Besonders der Umstand, dass die genuin „völkischen“ Ideologien bereits in ihrem historischen Entstehungszusammenhang kaum mehr denn eine eklektizistische Kontextualisierung heterogenster Wissensbestände unter einer nationalchauvinistische, rassistische und antisemitische „Weltanschauung“ darstellten, schränkt die analytische Verwendung des Konzeptes für die Gegenwart ein: Jedweder Bezug auf dereinst (auch) von ‚völkischen‘ Akteuren instrumentalisierte und heute dadurch kompromittierte Wissensformen fällt zwangsläufig dem Verdikt politisch-ideologischer Kontinuitätsannahmen zum Opfer.

Dies wird etwa bei Stefanie von Schnurbein deutlich, die sich zeitgenössischen Fantasy-Romanen als „Mediatoren völkisch-religiöser Denkmuster“ (S. 245ff.) zuwendet. Einerseits zeigt die Skandinavistin klar, dass die von Ihr untersuchten Fantasy-AutorInnen in der Mehrzahl aus einem pluralistischen und liberalen Umfeld neopaganer Alternativreligionen stammen, in dem Rassismus, Homophobie und Ethnozentrismus völlig irrelevant sind (S. 253) – andererseits meint Schnurbein im Fazit ihres Betrags, in der als „Fantasy“ deklarierten fiktionalen Literatur dennoch einen Transmitter „völkischer Religionsentwürfe“ (S. 262) zu erkennen. Welche Funktion und „Wirksamkeit“ käme aber solchen Entwürfen in einem letztlich nicht-rassistischen Rezeptionskontext zu? Offen bleibt auch die Frage, bis zu welchem Grad an inhaltlicher Modifikation der literarischen Sujets berechtigterweise noch von „völkischen“ Ideologemen zu sprechen ist.

Strukturähnlich argumentiert Debora Dusse, wenn sie zum Abschluss ihrer kenntnisreichen Analyse zur Edda-Rezeption im Kontext völkischer Weltanschauung des 20. Jahrhunderts von strukturähnlichen Verwendungen esoterischer Runen-Zeichen auf entsprechende ideologische Kontinuitätsmuster im alternativreligiösen Bereich (S. 239ff.) zurück schließt. Dusse blendet hierbei aus, dass sowohl ariosophisch-völkische Autoren des frühen 20. Jahrhunderts als auch heutige „Neopagane“ durchaus (un-)abhängig voneinander auf Symbole und Denkformen der westlichen Esoterik4 zurückgreifen, die bereits vor der Etablierung der völkischen Religionsbewegung generiert wurden.

Auch Wedemeyer-Kolwes Text zur Tradierung des „Runen-Yoga“ (einer in den 1920er-Jahren im völkisch-ariosophischen Kontext erfundenen Körperpraktik) im heutigen neureligiösen Spektrum weist auf die Grenzen einer rein kontinuitätsorientierten Deutung für das Verstehen neureligiöser Phänomene hin. Die Praxisform der „Runen-Stellungen“ findet sich gegenwärtig weniger in Gruppen, die durch „Elitedenken“ sowie eine „mentale Abhängigkeit von entsprechenden ‚Meistern‘“ (S. 339) geprägt sind, sondern vielmehr in kleinen, egalitär und individualistisch orientierten Ritualgemeinschaften, deren Mitglieder den „Runen-Stellungen“ längst alternative (nicht-völkische) Begründungsstrukturen unterschoben.5

Wie aber kann die gesellschaftspolitisch überaus brisante Unterscheidung zwischen „spielerischen, folkloristischen oder spaßgesellschaftlichen Amusement“ (S. 13) und den ideologisch brisanteren, weil expliziten, Rückgriffen auf „Völkisches“ hinreichend präzise vollzogen werden? Und: erschiene eine konsequente Historisierung des Konzeptes „völkisch“ (als Bezeichner einer spezifisch deutschen Verarbeitungsform der Modernisierungskrisen am Beginn des 20. Jahrhunderts) nicht sachgerechter, als dessen fortwährend undifferenzierte Anwendung auf zum Teil internationalisierte Kulturphänomene der Gegenwart, die wiederum angemessener mit präziseren Kategorien (wie etwa: archaisierend, neomythisch, nativistisch und so weiter) zu beschreiben wären? Einige Texte des Sammelbandes legen solche Überlegungen durchaus nahe.

Anmerkungen:
1 Ingo Wiwjorra, Tagungsbericht „Völkisch und national“. Denktraditionen und Mythenbildungen im 21. Jahrhundert. 10.11.2005-12.11.2005, Nürnberg, in: H-Soz-u-Kult, 02.01.2006, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=973>.
2 Hubert Cancik / Uwe Puschner (Hrsg.), Antisemitismus, Paganismus, Völkische Religion = Anti-Semitism, Paganism, Voelkish Religion, München 2004.
3 Stefanie v. Schnurbein / Justus v. Ulbricht (Hrsg.), Völkische Religion und Krisen der Moderne. Entwürfe „arteigener“ Glaubenssysteme seit der Jahrhundertwende, Würzburg 2001.
4 vgl. Wouter J. Hanegraaff, Esotericism, in: Ders. (Hrsg.), Dictionary of Gnosis & Western Esotericism, Leiden 2006, S.336-340, hier S. 340. Das Deutungsproblem zeigt sich besonders bei der von Dusse als Belege völkischer Kontinuität angeführten esoterisch-mystischen Edda-Exegese (S. 239), der esoterischen Korrespondenzenlehre (S. 240), initiatischen Edda-Lektüreformen (ebd.), sowie bei der Deutung der Hammer-Symbolik (S. 241) – die eben nicht nur ein „Symbol der völkischen Bewegung“, sondern auch rituelles Artefakt in der Freimaurerei sowie ein dem Kreuz korrespondierendes Amulett im Besitz nichtchristlicher Personen aus dem frühmittelalterlichen Skandinavien darstellt. Unter der analytischen Prämisse völkischer Kontinuitätsmuster können aktuelle Anschlüsse an solche älteren, symbolisch vermittelten Wissensformen offenkundig nicht hinreichend differenziert erfasst werden.
5 René Gründer, Runengeheimnisse. Zur Rezeption esoterischen Runen-Wissens im germanischen Neuheidentum Deutschlands, in: Aries 9 (2009), S. 137-174.

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