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Titel
Sammeln als Strategie. Die Kunstsammlungen des Prince de Conti im Paris des ausgehenden Ancien Régime


Autor(en)
Bußmann, Frédéric
Erschienen
Anzahl Seiten
488 S.
Preis
€ 89,00
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Corina Meyer, Frankfurt am Main

Als Anfang der 1990er-Jahre Thomas W. Gaehtgens in Berlin ein Tutorium zur Berliner Museumsgeschichte initiierte, entstanden daraus wegweisende Arbeiten.1 In den letzten Jahren ist eine Fülle von Publikationen zur Geschichte einzelner Sammlungen erschienen,2 die nun durch diese hier vorliegende, ebenfalls von Gaehtgens angeregte und betreute „ungewöhnlich intensive Studie“3 einer bislang unbekannten, obgleich einer der umfangreichsten und wichtigsten Sammlungen in Frankreich im 18. Jahrhundert, bereichert wird.

Der durch den geschmackvollen Einband und das schiere Gewicht wertige Band von Frédéric Bußmann erweist sich als detailreiche Studie einer hocharistokratischen Kunstsammlung, die innerhalb von zehn Jahren (ca. 1766–1776) von einer Person gesammelt und im Anschluss durch zwei Versteigerungen in alle Winde zerstreut wurde.

Louis-François de Bourbon, der Prince de Conti, ein Cousin von König Ludwig XV, war durch seine großen Ambitionen eine Ausnahmeerscheinung unter den „Prinzen von Geblüt“. Zeitweise durch seine Schlüsselstellung in der königlichen Außenpolitik (1746–56) einer der wichtigsten europäischen Politiker, scheiterte Conti bald am Hof und begab sich in die lebenslange Opposition zur absolutistischen Monarchie. Er wurde Großprior des Malteserordens im Enclos du Temple, zog von Versailles in das Palais du Temple und hatte damit die politische und finanzielle Voraussetzung für ein Leben als aristokratischer Rebell und Kunstsammler.

Der Prinz widmete in Folge dessen seine Aufmerksamkeit der Jagd, mondänen und luxuriösen Festen, Theater- und Musikaufführungen und seiner Kunstsammlung. 1766 begann er zu sammeln und intensivierte dies in den letzten vier Jahren vor seinem Tod 1776. Neben einer Kunstsammlung, die zum Zeitpunkt ihrer Versteigerung 1448 Gemälde, 434 Graphiken, 92 Plastiken (S. 213f.), 556 Antiken wie Basreliefs, Gemmen, geschnittene Steine (S. 195, 201ff.) umfasste, hatte Conti chronologische und astronomische Instrumente, Exotika und Naturalia angekauft (S. 193ff.).

In seiner Einleitung (S. 11–16) wirft der Autor die Fragestellungen der Untersuchung auf und stellt die Struktur des Bandes vor. „Nur im Spannungsfeld zwischen Sammlerpersönlichkeit und gesellschaftlich-kulturellem Rahmen lassen sich die Fragen nach der Funktion einer Kunstsammlung klären“ (S. 13). Über ihre Rekonstruktion hinaus möchte Bußmann die Kunstsammlung vor ihrem historischen, sozialen, kulturellen und künstlerischen Hintergrund diskutieren und Fragen nach dem Einfluss auf Contis Geschmack und seine Ankäufe beantworten. Dafür strukturiert er die Arbeit in drei Einheiten: Das Leben Contis, der Hof des Prinzen im Enclos du Temple und – Fokus des Buches – seine Kunstsammlung. Frédéric Bußmann zeichnet das politische und gesellschaftliche Panorama des Paris im 18. Jahrhundert, vor dem er den Prince de Conti (1717–1776) mit seiner Sammelleidenschaft reflektiert.

Das erste Kapitel „Der Prince de Conti, vom Höfling zum Rebellen“ (S. 17–40) verortet Conti in der politischen Struktur, zeichnet sein Leben als Höfling, Parlamentarier und Rebell nach. Bußmann kann hier auf die Ergebnisse der Arbeiten von Dale van Kley, John Woodbridge, Julian Swann, Christophe Giquelay zurückgreifen. Dieser Teil bildet die Hintergrundfolie des eigentlichen Untersuchungsteils (Kap. 3) und ist inhaltlich sehr verknappt geschrieben.

Das zweite Kapitel „Der Enclos du Temple und der Hof des Prince de Conti“ (S. 41–107) umreißt die Situation des Temple: Es stellt den historischen Hintergrund, die Architektur des Temple, das gesellschaftliche Leben und den Hof des Prinzen dar, schildert das kulturelle Leben wie Oper, Theater, Musik und skizziert den fürstlichen Haushalt, die Finanzen für Konsum und Luxus. In diesem Teil wird deutlich, dass Bußmann die vorhandene und von ihm zitierte Sekundärliteratur durch eigene Ergebnisse bereits gut ergänzen kann: Die Forschungsergebnisse, die ihm die Archivalien liefern, kann er benutzen, um bisherige Annahmen zu korrigieren oder durch Details zu ergänzen (beispielsweise S. 64, Fußnote 102).

Das dritte Kapitel, und damit seine zentrale und eigene Untersuchung, „Die Sammlungen: Geschmack und Anspruch eines Prinzen von Geblüt“ (S. 109–333) leitet über Kunstgeschmack und Kennerschaft im 18. Jahrhundert und Contis Händler-Berater zur Kunstsammlung über, die er in ihrer Genese, der Zusammensetzung, der Präsentation und Rezeption analysiert und ihre spätere Auflösung nachzeichnet. Hier wird deutlich, wie umfangreich Bußmanns Untersuchung ist: Bußmann eröffnet dank seiner intensiven Quellenarbeit nicht nur einen direkten Zugang zu einer großen Kunstsammlung durch Details wie Provenienz der Kunstwerke, Preise und seine Beurteilung des Bestandes, sondern weist auch den Einfluss der Kunsthändler auf Contis Sammlung und dessen Geschmack nach und kann dies insbesondere durch den sensationellen Fund eines Dokumentes ergänzen, Le Bruns Projet d’arrangement von 1776 (S. 157ff.), der sich als 27-jähriger Händler seinem Kunden Conti mit diesem Papier als garde de tableaux anempfehlen wollte.

Bußmann analysiert die Gemäldesammlung nach Epochen, Schulen und Gattungen (S. 221ff.), leider – wie oft in kunsthistorischen Arbeiten – ohne anzugeben, nach welchen Kriterien die Zuordnung erfolgte. Wie diffizil Aussagen mit Zahlen im Fließtext sind, kann an einem Beispiel verdeutlicht werden: Bußmann gibt den Anteil des 17. und 18. Jahrhunderts an den graphischen Werken an (37 % für das 17. und 18 % für das 18. Jahrhundert); offen bleibt, welche(s) Jahrhundert(e) die übrigen 45 % ausmachen – die Aussage des Satzes ist so nicht mehr einzuordnen. Hier hätten Diagramme, die die Daten vollständig widerspiegeln, den Leser zu einer eigenen Schlussfolgerung befähigen und Aussagen von Bußmann nachvollziehbar machen können. Bußmanns Gegenüberstellung unterschiedlicher Aspekte ist ein wichtiger Beitrag für die Forschung: Er errechnet den finanziellen Wert unterschiedlicher Sammlungsteile durch den späteren Verkauf und stellt zum Beispiel den Wert des italienischen Sammlungsbestandes dem des holländischen gegenüber (Tabelle 10 und 11, S. 320f.). Diese und andere Aussagen werden vor dem allgemeinen Kenntnisstand anderer Sammlungen diskutiert und machen die Studie besonders lesenswert.

Der Band schließt mit einer Zusammenfassung und einer darüber hinausgehenden Bewertung, in der Bußmann die Antworten auf die in der Einleitung gestellten Fragen der Arbeit liefert. Der Anhang umfasst unter anderem transkribierte Quellen und einen Katalog der identifizierten Kunstwerke der Sammlung Conti. Zudem hat der Autor die Rekonstruktion der Sammlung – höchst erfreulich! – in einer Datenbank zugänglich gemacht, sie ist im Internet unter http://conti-collection.de/ einsehbar.

Die Publikation hätte es der Leserin und dem Leser an mancher Stelle durch ein paar Hilfestellungen einfacher machen können: Es fehlen generell Verweise auf Abbildungen – besonders bemerklich zu Beginn der Einleitung, in der Bezug auf Abbildung I im von der Rezensentin später erst entdeckten Tafelteil genommen wird. Der Verlag schien das Gewicht auf die Ästhetik zu legen, weniger auf die Lesbarkeit: Denn diese wird durch den dichten und im Fußnotenbereich unruhigen Satzspiegel und die vor allem dort allzu kleine Schriftgröße nicht befördert. Ein professionelles Lektorat seitens des Verlags wäre außerdem notwendig gewesen.

Die an Forschungsdetails reichhaltige Untersuchung lässt aber über diese Formalia hinwegsehen: Nicht nur Bußmanns Darstellung, sondern auch die Diskussion der Ergebnisse im weiteren Kontext machen dieses Buch zu einer wertvollen Bereicherung der sammlungshistorischen Forschung.

Anmerkungen:
1 Christoph Martin Vogtherr, Das Königliche Museum zu Berlin, Planungen und Konzeption des ersten Berliner Kunstmuseums, Jahrbuch der Berliner Museen, Beiheft, Bd. 39, Berlin 1997; Alxis Joachimides, Die Museumsreformbewegung in Deutschland und die Entstehung des Modernen Museums 1880—1940, Dresden 2001; ders., u.a. (Hrsg.), Museumsinszenierungen, Zur Geschichte der Institution des Kunstmuseums, Die Berliner Museumslandschaft 1830–1990, Dresden/Basel 1995.
2 Bénédicte Savoy (Hrsg.), Tempel der Kunst, Die Entstehung des öffentlichen Museums in Deutschland 1701–1815, Mainz 2006; Nina Simone Schepkowski, Johann Ernst Gotzkowsky, Kunstagent und Gemäldesammler im friderizianischen Berlin, Berlin 2009; Robert Skwirblies, „Ein Nationalgut, auf das jeder Einwohner stolz sein dürfte.“ Die Sammlung Solly als Grundlage der Berliner Gemäldegalerie, in: Jahrbuch der Berliner Museen 51 (2010), S. 71–99.
3 Vgl. Gaehtgens’ Vorwort zum vorliegenden Band, hier S. 7.

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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/