B. Wagner: Fürstenhof und Bürgergesellschaft

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Titel
Fürstenhof und Bürgergesellschaft. Zur Entstehung, Entwicklung und Legitimation von Kulturpolitik


Autor(en)
Wagner, Bernd
Reihe
Texte zur Kulturpolitik 24
Erschienen
Anzahl Seiten
500 S.
Preis
€ 19,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Hilmar Sack, Berlin

Nach Eduard Sprangers Eintrag im „Politischen Handwörterbuch“ von 1923 hat Kulturpolitik „entweder die Hervorbringung von Kultur zum Ziele, oder sie bedient sich der Kultur als Mittel für Machtzwecke. In der kürzesten Antithese: Kulturpolitik ist entweder Kultur durch Macht oder Macht durch Kultur“. Vor diesem definitorischen Hintergrund erstaunt, dass in Deutschland – anders als etwa in Frankreich1 – Kulturpolitik bisher nur selten Gegenstand der historischen Wissenschaft war. Diesem bedauerlichen Forschungsdesiderat begegnet nun die kenntnisreiche Studie Bernd Wagners, der als wissenschaftlicher Leiter des Instituts für Kulturpolitik der Kulturpolitischen Gesellschaft selbst zu den Akteuren der bundesdeutschen Kulturpolitik zählt. Erste Ergebnisse seiner fünfjährigen Forschungen hatte Wagner bereits von 2005 an in den „Kulturpolitischen Mitteilungen“ publiziert.2 Sie ließen auf eine zeitlich breit angelegte Gesamtdarstellung hoffen. Das Geleitwort Hermann Glasers zur nun vorliegenden Untersuchung, die vom Spätmittelalter bis in das beginnende 20. Jahrhundert reicht, entführt zunächst auf bislang eher unbekanntes Terrain. Denn unter dem Stichwort „Kulturökologie“ beschreibt der Doyen bundesrepublikanischer Kulturpolitik diese als den Versuch, „die Richtung des Fließens wohltuend so zu beeinflussen, dass unter Erhalt von Mäandern und Auen blühende Landschaften entstehen.“ (S. 9-11) Hier diktiert wohl eher der Wunschgedanke das Wort, sehen doch nicht wenige heute vorrangig den Rotstift des Stadtkämmerers – oder um in Glasers Bild zu bleiben – die gärtnerische Axt im Walde am Werk, zumindest aber eine vom fiskalischen Rasenmäher bereits deutlich gestutzte Kulturlandschaft. Weniger poetisch und mit angemessener Zurückhaltung in der Bewertung definiert denn auch Bernd Wagner Kulturpolitik schlicht und umfassend als das „Handeln von politischen und gesellschaftlichen Akteuren in einem weit gefassten Praxisfeld künstlerisch-ästhetischer Produktion und Rezeption sowie kulturell-kreativer Aktivitäten“ (S. 26).

Die Untersuchung setzt zeitlich an der Schwelle zur Frühen Neuzeit ein, wo Wagner den entscheidenden Bruch für die Herausbildung von Kulturpolitik im heutigen Verständnis verortet. Er weist jedoch selbst immer wieder auf fließende Übergänge hin und verfolgt Traditionsstränge bis zu ägyptischen Priestern und mesopotamischen Fürsten zurück, wenn es um die Funktionalisierung von Kunst und Kultur geht. Aus diesem Blickwinkel – bedenkt man etwa Sprangers Hinweis zum politisch relevanten Verhältnis von Kultur und Macht mit, der auch Wagners Studie abschließt (S. 453) – erscheint der Unterschied zwischen einer sich erst in der Frühen Neuzeit entwickelnden Kulturpolitik und den vormodernen Formen obrigkeitlicher Kunstförderung weit weniger „grundsätzlich“, als dies Wagner so nachdrücklich postuliert (S. 27). Dessen entschiedenes Urteil erklärt sich aus seinem Interesse an den Trägern von Kulturpolitik, die tatsächlich das Ergebnis allgemeiner politischer und gesellschaftlicher Entwicklungen der Moderne sind. Wagner macht den Unterschied insbesondere an der Herausbildung des modernen Verwaltungsstaates fest. Zudem verweist er zurecht in einem eigenständigen Kapitel über die Grundlagen und Konstitutionsbedingungen öffentlicher Kulturpolitik (S. 25-58) unter den Stichworten „Autonomie der Kunst“ und „Emanzipation des Künstler-Handwerkers“ auf den grundlegenden Wandel im Verständnis von Kunst und das veränderte Künstlerselbstbild im Übergang vom Spätmittelalter zur Frühen Neuzeit.

Wagner beobachtet vier geschichtliche Phasen, die für die Herausbildung einer modernen Kulturpolitik bedeutsam waren und zugleich das Buch gliedern: In die Frühe Neuzeit (S. 59-124) fallen demnach idealtypisch vier zentrale Formen der Kunstfinanzierung als Ausgangspunkte der Entwicklung öffentlicher Kulturpolitik in unserem heutigen Verständnis: die patronatisch-mäzenatische Förderung, das Anstellungsverhältnis, das Auftragssystem und schließlich der freie Markt (S. 78). Dieser ist es auch, der als wirklich neu gelten kann, während die anderen Arten der Kunstfinanzierung, wie Wagner anmerkt, aus dem Mittelalter heraus transformiert wurden (S. 82). Die Herausbildung eines Marktes für Kunst und Kultur ist auch deshalb interessant, weil sich hier erste Ansätze einer Kulturpolitik als moderne Ordnungspolitik aufzeigen lassen. Dem Folgekapitel über die absolutistischen Höfe als Zentren der Kunstentwicklung und Kulturförderung im 17. und 18. Jahrhundert (S. 125-196) schließen sich in einem dritten und vierten Abschnitt Betrachtungen über die Herausbildung bürgerlicher Kultur und Kulturförderung (S. 197-256) und die Ausbildung und Begründung öffentlicher Kulturpolitik im ‚langen‘ 19. Jahrhundert (S. 257-450) an. Im Zentrum dieser Kapitel, die an Umfang und inhaltlicher Tiefe herausstechen, stehen ideengeschichtlich das geistige Umfeld des deutschen Idealismus mit Schillers „Ästhetischer Erziehung des Menschen“ und Humboldts humanistischem Bildungsideal sowie die Begründung Deutschlands als Kulturnation und Kulturstaat im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert. Konsequent behält Wagner über alle Abschnitte hinweg auch die Entwicklung der städtischen Kulturpolitik im Auge, wo sich das Wechselspiel der unterschiedlichen Akteure – öffentliche Hand, Markt und Zivilgesellschaft – besonders gut beobachten lässt.

Diesem Hauptteil ist eine Einleitung vorangestellt, die sich kulturpolitischen Herausforderungen der Gegenwart widmet. (S. 13-24) Wagner gelingt hier als profundem Kenner der Materie eine Bestandsaufnahme, die allen Beteiligten an der Neujustierung des Verhältnisses von staatlicher bzw. kommunaler Politik, gesellschaftlicher Selbstverantwortung und marktwirtschaftlicher Mechanismen als ein einführender Crashkurs anempfohlen sei. Zugleich liegt in dieser Einleitung aber auch eine Schwierigkeit des Buches. Denn die darin aufgestellte und Erwartungen weckende These, dass es für das heutige Handlungsfeld Kulturpolitik „nützlich, vielleicht auch notwendig [ist], seine Genese, Entwicklung und Konstitutionsbedingungen zu kennen“ (S. 22), und der damit implizite überaus reizvolle Anspruch, die historische Abhandlung konsequent mit aktuellen kulturpolitischen Fragestellungen rückzukoppeln, verliert sich bei der Lektüre und wird auch im knappen Schlusskapitel nicht befriedigend eingelöst. Gleichzeitig bildet die Einleitung damit einen Solitär, an dessen Stelle eine zum Hauptteil hinführende Diskussion leitender Fragestellungen wünschenswert gewesen wäre. Dabei zeigen Wagners Ausführungen etwa zum Public Private Partnership als einem der Schlagworte heutiger kulturpolitischer Debatten, das sich einer klaren Definition mindestens genauso entzieht wie sich daran übertriebene Heilserwartungen knüpfen, was aus einem solchem historischen Blickwinkel an politisch erdendem Erkenntnisgewinn möglich wäre. Denn Wagner kommt nach seiner tour d’horizon zu dem Ergebnis, dass der Trägerpluralismus von Staat, Markt und Gesellschaft schon immer und in nahezu allen Kultursparten und Kunstformen auch zu einer engen praktischen Zusammenarbeit, mithin zu dem Arrangement geführt hat, das heute neudeutsch als Public-Private-Partnership firmiert (S. 451). Denjenigen wiederum, die heute mit ‚weichen Standortfaktoren‘ auf ökonomische Argumente setzen, zeigt Wagners Studie, dass sie etwa mit dem Hinweis auf die „Umwegrentabilität“, also zusätzliche Einnahmen von Theater-, Opern- und Museumsbesuchern, bereits in guter Tradition früherer kommunaler Begründungen der eigenen Kulturausgaben stehen (S. 452).

Die Untersuchung stützt sich auf bereits gedruckte Quellen in Form von Lexika, Enzyklopädien und Handbüchern sowie Literatur und Publizistik. Das Literaturverzeichnis weist dabei nur sehr wenige Arbeiten auf, die über das 18. Jahrhundert hinausreichen; der überwiegende Teil datiert aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert. Deshalb gewinnen die Ausführungen nicht nur deutlich an Umfang, sondern auch zunehmend an Farbe, je stärker sie sich dieser Moderne nähern. Davon unbenommen versteht es Wagner aber, seine fundierten Kenntnisse des Forschungsstandes mit großer Umsicht zu einem gelungenen Gesamtpanorama künstlerischer, kultureller und kulturpolitischer Entwicklungen vom Fürstenhof des ausgehenden Mittelalters bis zur Bürgergesellschaft zu verbinden. Auch wenn der faktenstarken Studie eine thesenartige Zuspitzung in der analytischen Durchdringung des bemerkenswert dichten Materials gutgetan hätte, bietet sie, um Hermann Glasers emphatische Bewertung zu zitieren, „für jede zukünftige ‚Vermessungsarbeit‘ im Bereich von Kulturarbeit und Kulturgeschichte eine unentbehrliche Orientierung“ (S. 9).

Anmerkungen:
1 Thomas Höpel, Rezension zu: Philippe Poirrier (Hrsg.), Les politiques culturelles en France. Aubervilliers Cedex 2002, in: H-Soz-u-Kult, 01.12.2004, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2004-4-149> (11.03.2010).
2 Vgl. Kulturpolitische Mitteilungen, Nr. 110 (III/2005), S. 74-76; Nr. 115 (IV/2006), S. 72f. und Nr. 118 (III/2007), S. 72f.

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