Cover
Titel
The Final Solution. A Genocide


Autor(en)
Bloxham, Donald
Reihe
Oxford Histories
Erschienen
Anzahl Seiten
410 S.
Preis
€ 20,07
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jonas Kreienbaum, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität Berlin

Donald Bloxham stellt sich in „The Final Solution. A Genocide“ die Aufgabe, eine Brücke zu schlagen zwischen der „empirically grounded work“ der Holocaust-Studien und der „theoretically oriented scholarship“ der vergleichenden Genozidforschung, die bisher zu wenig im Austausch miteinander gestanden hätten (S. 13). “The Final Solution“ orientiert sich dabei methodisch stärker an der Genozidliteratur: So arbeitet Bloxham komparativ und verzichtet weitgehend auf die Nutzung von Primärquellen zu Gunsten der Sekundärliteratur. Auch konzentriert er sich – den Fachkonventionen folgend – bei seiner Analyse auf die Täterseite und lässt die Opferperspektive, soweit sie nicht die Dynamik der Verfolgung und Ermordung beeinflusst hat, außen vor (S. 14).1 Ein Umstand, der als Rückschritt hinter Saul Friedländers Konzept der integrated history verstanden werden kann, das Opfer- und Täterperspektiven vereinigt, und wofür Bloxham auch umgehend heftig kritisiert wurde.2

Seine Studie gliedert Bloxham in vier Abschnitte. Im ersten Teil geht es ihm um die Analyse der zunehmend gewalttätigen Antworten auf ethno-nationale Probleme in Europa zwischen 1875 und 1949. Dabei konzentriert er sich vor allem auf die „shatterzones“ im Osten und Südosten Europas, die mit dem Zerfall des Osmanischen, des Habsburger und des Romanov-Reiches entstanden waren und die zu Hochburgen der Massengewalt wurden. Diese „European History of Violence“ (S. 33) bildet den Kontext für die Massenmorde der Nationalsozialisten, die im zweiten Teil des Buches behandelt werden. Dabei geht Bloxham von einer Wechselwirkung zwischen den Gewalttraditionen des Kontinents und der Gewalttätigkeit Nazi-Deutschlands aus. „The Third Reich was a product of the continent as well as the most destructive shaper of it.” (S. 130) Im kurzen dritten Teil geht es dann um die Frage, warum sich so viele Menschen an den nationalsozialistischen Morden beteiligten. Dabei werden vergleichend auch die Täter anderer Genozide – von Armenien bis Ruanda – mit in den Blick genommen. Im abschließenden vierten Abschnitt reicht Bloxham einen Literaturüberblick zur Holocaust-Forschung nach, um gleichzeitig seinen methodischen Ansatz noch einmal zu explizieren.

Der Schwerpunkt und die große Stärke des Buches liegen im zweiten Teil, in der Analyse der nationalsozialistischen „Endlösung der Judenfrage“. Hier entwickelt Bloxham ein sehr komplexes, aber umso überzeugenderes Modell zur Erklärung der Judenvernichtung. Er nimmt dabei explizit Abstand von der Idee „that there is any one ‚essence’ to a complex series of events like the one we now call the Holocaust” (S. 330f). Dies gibt ihm Raum, zahlreiche verschiedene Faktoren in seine Überlegungen mit einzubeziehen. So umgeht er beispielsweise den alten Streit zwischen Intentionalisten und Funktionalisten und erkennt die Wichtigkeit der antisemitischen Ideologie an, ohne sie aber als Erklärung des Holocaust für ausreichend zu halten. Der Kriegsverlauf, das Verhalten besetzter und verbündeter Staaten, Kompetenzstreitigkeiten zwischen den verschiedenen Partei- und/oder Staatsorganen, etc. beeinflussten die Judenvernichtung, ebenso wie die Ermordung anderer Gruppen. Letzteres wird besonders mit Blick auf das Euthanasieprogramm deutlich, in dessen Rahmen 1940/1941 über 70000 geistig und körperlich ‚Behinderte’ teils durch Gas ermordet wurden. Vergasungstechnik und Personal wurden ab Ende 1941 in die neu errichteten Vernichtungslager im Osten transferiert (S. 219). Und auch die Einsatzgruppen, die nach den Invasionen in Polen und später in der UdSSR mit der ‚Pazifizierung’ des Landes betraut waren, erschossen neben polnischen und russischen Eliten massenweise jüdische Zivilisten (S. 190 und 200ff.). Ohnehin weist Bloxham immer wieder auf die Verbindungen und Wechselwirkungen bei der Verfolgung der verschiedenen Gruppen hin.

Entscheidend ist aber vor allem, dass Bloxham die „Endlösung“ als Prozess begreift, der ständig neu ausgehandelt wurde, sich stets veränderte. Analog gab es auch keinen endgültigen Moment der Entscheidung, in dessen Augenblick der Holocaust als Gesamtprogramm festgestanden hätte. Dies wird besonders in Bloxhams Interpretation der Wannsee-Konferenz vom 20. Januar 1942 deutlich. Die Beschlüsse der Konferenz sind häufig als Beweis für die Existenz eines Planes zur Ermordung aller Juden in ganz Europa gelesen worden.3 Bloxham hingegen wertet sie nicht als fixen Fahrplan der Judenvernichtung, sondern als Versuch des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) und seines Chefs Reinhard Heydrich, sich im Kompetenzgerangel der NS-Organisationen um die Federführung in der Judenpolitik weiteren Einfluss zu sichern. Die in den Protokollen aufgeführten Deportationen von 11 Millionen Juden aus ganz Europa lagen, bevor Deutschland den Krieg gewonnen hätte, gar nicht im Bereich des Möglichen, geschweige denn im Kompetenzbereich des RSHA. Es ging aus Sicht des RSHA darum, für den Fall, dass sich die Situation entsprechend änderte und die Juden beispielsweise aus England, Irland oder Spanien in Deutschlands Machtbereich kämen, den eigenen Führungsanspruch formuliert zu haben (S. 224-230). Das ändert aber nichts daran, dass auch Bloxham anerkennt, dass es kein Deuteln an Hitlers Extremismus gibt und dass irgendwann Ende 1941 feststand, dass die „Judenfrage“ mörderisch gelöst werden sollte. Aber es spielte eine entscheidende Rolle für die Art und vor allem die Ausdehnung der „Lösung“ wer bzw. welche Organisationen die Maßnahmen durchführen würden und wie sich das Kriegsgeschehen entwickeln würde.

Bloxham gelingt es mit seiner sehr überzeugenden kontextualisierenden, prozessorientierten Interpretation des Judenmordes sowohl Holocaust- als auch Genozidstudien einen produktiven Weg für zukünftige Forschungen aufzuzeigen. Den Holocauststudien illustriert er, dass eine Öffnung des Blicks für andere Fälle der Massengewalt – synchron wie diachron – die Analyse der „Endlösung“ bereichern kann. Wichtiger scheint mir aber die Lektion für die Genozidforschung. Denn Bloxhams Buch macht besonders deutlich, woran die Genozidforschung so häufig krankt. Die Fixierung der Kategorie Genozid auf die Intentionalität der Vernichtung, verhindert nicht selten, die Prozesshaftigkeit des Massenmordens in den Blick zu nehmen. Zu oft geht es in der Forschungsliteratur zum Genozid lediglich um die Anwendbarkeit des Begriffs4, wodurch ein unterkomplexes, statisches Bild des Mordens entsteht. Bloxhams „Final Solution“ zeigt, wie überzeugend eine prozessorientierte Analyse von Genozid sein kann. Es wäre sehr wünschenswert, wenn ihm die Genozidforschung auf diesem Pfad folgt.

Anmerkungen:
1 Boris Barth, Genozid. Völkermord im 20. Jahrhundert. Geschichte – Theorien – Kontroversen, München 2006, S. 55.
2 Saul Friedländer, Nazi Germany and the Jews, 2. Bde., New York 1997/2007; zur Kritik an Bloxhams Täterfokussierung, siehe die Beiträge von Omer Bartov und Doris Bergen in: Jürgen Matthäus / Martin Shaw / Omer Bartov / Doris Bergen / Donald Bloxham, Donald Bloxham: The Final Solution. A Genocide, in: Journal of Genocide Research 13 (2011), 1, S. 107-152.
3 So argumentiert etwa Christian Gerlach, Hitler habe die politische Grundsatzentscheidung zur Judenvernichtung wenige Tage vor der Wannsee-Konferenz verkündet. Christian Gerlach, Die Wannsee-Konferenz, das Schicksal der deutschen Juden und Hitlers politische Grundsatzentscheidung, alle Juden Europas zu ermorden, in: Werkstatt Geschichte 6 (1997), S. 7-44. Siehe auch Mark Roseman, Die Wannsee-Konferenz. Wie die NS-Bürokratie den Holocaust organisierte, München 2002.
4 Vgl. Birthe Kundrus / Henning Strotbek, „Genozid“. Grenzen und Möglichkeiten eines Forschungsbegriffs – ein Literaturüberblick, in: Neue Politische Literatur 51 (2006), S. 397-423, hier S. 406f.

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