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Titel
Erinnerungsbilder. Auschwitz-Prozess und Majdanek-Prozess im westdeutschen Fernsehen


Autor(en)
Horn, Sabine
Erschienen
Anzahl Seiten
299 S.
Preis
€ 39,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Frank Bösch, Historisches Institut, Justus-Liebig-Universität Gießen

Die zentrale Bedeutung des Frankfurter Auschwitz-Prozesses (1963-1965) wurde vielfach in der bisherigen Forschung betont. Er förderte neue Erkenntnisse über die Massenmorde, vergegenwärtigte diese einer breiten Öffentlichkeit und ermunterte auch Zeithistoriker über Prozessgutachten dazu, sich mit den NS-Verbrechen auseinanderzusetzen. Weniger bekannt und erforscht ist hingegen der Düsseldorfer Majdanek-Prozess (1975-1981), das letzte große „Komplexverfahren“ und das umfangreichste Gerichtsverfahren in der Bundesrepublik. Sabine Horn interessieren die beiden Prozesse insbesondere als Beispiele für den Wandel der Erinnerungskultur. Ihre Bremer Dissertation betritt dabei in doppelter Hinsicht Neuland. Erstens nähert sie sich der bislang noch kaum erforschten Erinnerungskultur der 1970er-Jahre an, nachdem bisherige quellenfundierte Studien entweder in vorherigen Jahrzehnten endeten oder erst in der Ära Kohl einsetzten. Zweitens ist ihre Studie wegweisend, weil sie zeitgenössische Fernsehberichte über die Ereignisse analysiert und damit eine für die Zeitgeschichtsforschung generell bislang kaum berücksichtigte Quelle heranzieht, die künftig eigentlich bei jedem Forschungsthema für die Zeit seit den 1960er-Jahren auszuwerten wäre.

Von der bisher spärlichen Forschung zur Holocaustdarstellung im Fernsehen grenzt sie sich dabei etwas zu unrecht mit dem Argument ab, diese hätte nicht die bewegten Bilder selbst analysiert.1 Neu an ihrer Studie ist vielmehr vor allem, dass sie nicht historische Dokumentationen, sondern Nachrichten, Features und politische Magazinsendungen untersucht, die die beiden Ereignisse in der Bundesrepublik thematisieren. Dagegen hatte Horn keinen Zugang zu schriftlichen Archivquellen aus den Rundfunkarchiven, die etwa Erkenntnisse über die Entstehung der Sendungen geben. Deren systematische Vernichtung oder schwere Zugänglichkeit ist in der Tat skandalös, ebenso die überzogenen Kosten der Rundfunkarchive für die Einsicht der audiovisuellen Quellen.

Horns Buch beginnt mit einem langen methodischen Vorspann, der gut ein Drittel des Buches umfasst. Ihre eigentliche Analyse setzt dann, für Historiker sicher ungewöhnlich, mit quantitativen Auswertungen ein, die minutengenau den Wandel der zentralen Darstellungsmittel der Fernsehberichte erfassen. Die Zahlenkolonnen und Diagramme sind dem Lesefluss sicher nicht förderlich, die Ergebnisse aber präzise bilanziert: Während beim Auschwitz-Prozess die Täter und die NS-Vergangenheit im Vordergrund standen, erfuhren beim Majdanek-Prozess die Opfer, deren gegenwärtige Situation und das Verfahren selbst mehr Beachtung. Ob für diese wichtige Beobachtung eine derartig aufwendige Quantifizierung nötig war, bleibt fraglich.

Weitaus ergebnisreicher und differenzierter ist die folgende „qualitative Inhaltsanalyse“. Sie zeigt mannigfaltig und überzeugend den differenten Umgang mit der NS-Vergangenheit in den 1960er- und 1970er-Jahren. Erst im Majdanek-Prozess wurden die Opfer häufiger als jüdisch gekennzeichnet und persönliche Aussagen gezeigt, während dafür der Anteil an historischen Filmaufnahmen aus dem „Dritten Reich“ abnahm. Bei der Täterdarstellung macht Horn für den Auschwitz-Prozess das Motiv des „Verwandlungstäters“ aus, bei dem Uniformbilder den Schilderungen über die Integration in die bürgerliche Moral in der Bundesrepublik gegenübergestellt wurden. Ausführlich zeigt Horn die geschlechtsspezifische Darstellung im Majdanek-Prozess, die Frauen ein „individuelles Täterprofil“ und eine besondere Verwandlungsfähigkeit zusprach (S. 227). Historiker fanden beim Auschwitz-Prozess noch keine Berücksichtigung im Fernsehen. Beim Majdanek-Prozess konnte hingegen der Gutachter und NS-Experte Wolfgang Scheffler mehrfach die Hintergründe erklären (S. 130). Auch die Bevölkerung wurde erst beim Majdanek-Prozess mit Interviews zu Stellungnahmen eingeladen und zudem die Kenntnisse und Einstellungen von Jugendlichen erfragt.

Für die 1960er-Jahre macht Horn zudem eine unhinterfragte Autorität der Justiz aus, die erst beim Majdanek-Prozess mit Interviews kritisch reflektiert wurde. Als Pionier des kritischen und investigativen Journalismus werden einzelne NDR-Sendungen für die 1960er-Jahre als Ausnahme herausgestellt, die als einzige bereits eigenständige Recherchen in Archiven vornahmen, kritische Fragen stellten und die unzureichenden Auskünfte offenlegten (S. 149). Damit grenzt sich Horn pointiert vom Befund Christina von Hodenbergs ab, in den 1960er-Jahren habe sich der kritische Journalismus etabliert.2 Bei anderen Befunden korrespondieren Horns Befunde durchaus stärker mit der bisherigen Forschung als es ihre Abgrenzungen vermuten lassen, etwa bei der neuen Rolle von Zeitzeugen in den 1970er-Jahren.3

Insgesamt ist die pointierte und knappe Ergebnisbildung des Buches zu begrüßen. Da Horns Studie anstrebt, Aussagen über den Wandel der Erinnerungskultur zu treffen, hätte die Arbeit sicherlich von einem stärkeren Einbezug medialer Repräsentationen jenseits ihrer beiden Fallbeispiele profitiert. Ein ganz nebenbei aufgeführter guter Querverweis zur Interaktion mit anderen Darstellungen ist etwa, dass nach der Ausstrahlung der US-Serie „Holocaust“ (1979) der bislang recht leere Gerichtssaal beim Majdanek-Prozess aus allen Nähten platzte (S. 67). Über solche Interaktionen wüsste man gerne mehr. Insgesamt handelt es sich aber um eine fundierte Arbeit, die sowohl für die Mediengeschichte als auch für die Erforschung der Erinnerungskultur wichtige Erkenntnisse bringt.

Anmerkungen:
1 Vgl. Judith Keilbach, Geschichtsbilder und Zeitzeugen. Zur Darstellung des Nationalsozialismus im bundesdeutschen Fernsehen, Münster 2008, vgl. Frank Bösch: Rezension zu: Keilbach, Judith: Geschichtsbilder und Zeitzeugen. Zur Darstellung des Nationalsozialismus im bundesdeutschen Fernsehen. Münster 2008, in: H-Soz-u-Kult, 17.04.2009, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2009-2-041>. Vgl. Christoph Classen, Bilder der Vergangenheit. Die Zeit des Nationalsozialismus im Fernsehen der Bundesrepublik Deutschland 1955-1965, Köln u.a. 1999.
2 Christina von Hodenberg, Konsens und Krise. Eine Geschichte der westdeutschen Medienöffentlichkeit 1945-1973, Göttingen 2006, vgl. Marcus M. Payk: Rezension zu: von Hodenberg, Christina: Konsens und Krise. Eine Geschichte der westdeutschen Medienöffentlichkeit 1945-1973. Göttingen 2006, in: H-Soz-u-Kult, 15.08.2006, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2006-3-114>.
3 Vgl. die Befunde in Keilbach, Geschichtsbilder; oder Frank Bösch, Geschichte mit Gesicht. Zur Genese des Zeitzeugens in Holocaust-Dokumentationen seit den 1950er Jahren, in: Rainer Wirtz / Thomas Fischer (Hrsg.), Alles authentisch? Popularisierung der Geschichte im Fernsehen, Konstanz 2008, S. 51-72, vgl. Judith Keilbach: Rezension zu: Fischer, Thomas; Wirtz, Rainer (Hrsg.): Alles authentisch? Popularisierung der Geschichte im Fernsehen. Konstanz 2008, in: H-Soz-u-Kult, 15.12.2008, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2008-4-229>.

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