Titel
Creating Black Americans. African-American History and Its Meanings, 1619 to the Present


Autor(en)
Painter, Nell Irvin
Erschienen
Anzahl Seiten
496 S.
Preis
€ 28,52
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christian Orban, Historisches Seminar, Universität Erfurt

Vor mehr als 60 Jahren veröffentlichte John Hope Franklin (1915-2009), der Doyen afroamerikanischer Geschichtsschreibung, die erste Edition seines hoch angesehenen und bahnbrechenden Textbooks „From Slavery to Freedom“. Seither wurde jener Longseller nunmehr sieben Mal neu herausgegeben. Dabei liegt das Legat von Franklins Klassiker (wie insgesamt seines imponierenden Oeuvres) vor allem darin begründet, dass er nachfolgende Generationen Geschichtsschreibender, insbesondere afroamerikanische Historiker/innen, nachhaltig inspiriert und geprägt hat. So sind inzwischen beispielsweise weitere exzellente Einführungs- und Überblickswerke zur Geschichte der African Americans zu verzeichnen, die nicht nur ihren Titeln nach in der Tradition von „From Slavery to Freedom“ stehen.1

Gewiss zählt hierzu auch „Creating Black Americans“, das programmatisch-innovative Textbook der renommierten afroamerikanischen Historikerin Nell Irvin Painter, die zugleich als „Public Intellectual“ gelten kann; eine Berufung, der Franklin bis zu seinem Tode voller Würde, Entschlossenheit und Leidenschaft vorbildhaft nachging.2 Und auch Painter nimmt diese Aufgabe ernst, wobei sie sich in ihrem Buch, das explizit zuvorderst auf den angesprochenen (Vor)Arbeiten ihrer Kolleg/innen fußt, an eine neue Generation in erster Linie Studierender richtet, aber ohne die Ambition zu hegen, hierbei „the wheel of African-American history“ (S. 437) neu zu erfinden. Insofern bietet sie ihren Leser/innen eine aktuelle und kompetente, klar formulierte und gut lesbare, lebendige und vielschichtige sowie thematisch weit gespannte Darstellung afroamerikanischer Vergangenheit und Gegenwart. Entlang der Zeitachse von „1619 to the Present“ entwickelt Painter mithin ein inklusives Narrativ: von der Sklaverei als atlantisch-transnationalem Problem bis hin zur um Authentizität ringenden Hip-Hop-Kultur; von namen- und stimmlosen unfreien „Afro-Virginians“ bis hin zu milliardenschweren Entrepreneur/innen wie Robert Johnson und Oprah Winfrey. Aber, dies sei hier betont: Mitnichten zeichnet sie die linear-teleologische kollektive Erfolgsgeschichte einer homogenen Minorität. Stattdessen werden Gleichzeitigkeiten, (Un)Gleichheiten und Gegenläufigkeiten akzentuiert, respektive „numerous, diverse, and creative people whose history is richly varied“ (S. xix) vorgestellt, die entgegen von Selbst- und Fremdzuschreibungen de facto niemals „a simple monolith“ (S. 390) konstituiert haben. Folgerichtig wird Painters Betrachtung entlang von Geschlecht, Ethnizität, sozialer Klasse, Religion, Sprache, Alter, Region und politischer Orientierung von differenziellen und intersektionalen identitären Achsen durchzogen, um die sich African Americans spannungsvoll drehten und drehen.

Der programmatisch-innovative Dreh und Clou ihrer Interpretation afroamerikanischer Geschichte besteht nun darin, dass Painter als passionierte Kunststudentin ihre Präsentation mit Nicht-Historiker/innen, mit mehr als 100 afroamerikanischen bildenden Künstler/innen teilt. Genauer gesagt ist der Text mit einer eindrucksvollen farbenprächtigen Palette von rund 150 visuellen Kunstwerken versehen und verlinkt. Jene heterogene Auswahl der Arbeiten von relativ bekannten – etwa Romare Bearden, Aaron Douglas, Jacob Lawrence und Kara Walker – sowie weitgehend unbeachteten Kunstschaffenden, zu denen ein alphabetischer Appendix kurze biografisch-künstlerische Portraits offeriert, schließt unter anderem Reproduktionen von Gemälden, Fotografien, Quilts, Skulpturen und Graffiti ein. Dabei ist der gezielte Einsatz eines solch umfangreichen Bildkorpus mit mehreren Anliegen Painters, auch in ihrer politischen Rolle als „Public Intellectual“, untrennbar verknüpft. Generell möchte sie mit ihrem Buch einen Beitrag dazu leisten, lange Zeit marginalisierte afroamerikanische Kunst(Geschichte) und Künstler/innen sichtbarer zu machen. Insbesondere gilt dies für ab den 1920er-Jahren – „[d]uring the Harlem Renaissance, large numbers of African Americans produced visual arts for the first time“ (S. 211) – und vor allem in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstandene Werke. Einschränkend muss hinzugefügt werden, dass Painters selektives Bildprogramm abstrakte Kunst vernachlässigt sowie bewusst Kunst repräsentiert, die einen Bezug zu afroamerikanischer Geschichte aufweist und sich explizit mit „black themes“ (S. xvii) auseinandersetzt. Sonach bereichern die kulturellen (Kon)Texte der zahlreichen Abbildungen den durch eine wissenschaftlich-analytische Perspektive informierten Fließtext um vielfältige künstlerisch verarbeitete Sichtweisen und Lesarten, die hinsichtlich afroamerikanischer Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft dezidiert subjektive, emotionale wie politische Dimensionen beinhalten. Daher erscheinen jene kunstschaffenden African Americans nicht als passive Opfer der Geschichte, sondern als historische Akteur/innen in einem zwar ungleichen, aber weder statischen noch einseitigen Beziehungsgeflecht zwischen „Schwarz“ und „Weiß“. Sie fungieren als ein kreatives Beispiel für das Aufzeigen afroamerikanischer „Agency“; zumal ihre bedeutsame Rolle in der fortwährenden (Re)Kreierung von African Americans, in der Hervorbringung mannigfaltiger und veränderlicher Selbstentwürfe als Menschen von Painter zugleich akzentuiert wird: „The work of black artists contradicts demeaning conventional images of black people and puts black people’s conception of themselves at the core of African-American history (S. xvi).“

Als eine politische Geschichte afroamerikanischer Selbstwahrnehmungen setzt „Creating Black Americans“ gegenüber weiterhin florierenden negativen und stereotypisierenden Repräsentationen demnach positive wie kritische Kontrapunkte. Die ausgewählten Darstellungen fokussieren zwei beständig zentrale Motive im Repertoire der Künstler/innen. Einerseits veranschaulichen sie African Americans, vornehmlich „gewöhnliche“, hart arbeitende Menschen in alltäglichen Situationen, „as beautiful and their story as valuable“ (S. xvi). Anderseits nehmen sie Rassismen, speziell in Form körperlicher Gewaltanwendung, in den Blick und legen bestehende Diskriminierungen offen. In der Zusammenschau vermag man stolze und entschlossene, leidenschaftliche und produktiv-kreative Menschen zu erkennen, die trotz oder gerade wegen erheblicher Widerstände und Probleme ein wirkmächtiges kulturelles Legat der Stärke, Hoffnung und des Glaubens geformt haben. Gleichwohl kann diese durchaus legitime Vorstellung anhand des ausdifferenzierten Bildkorpus, der das soziale Gemacht-Sein der einzelnen Kunstwerke, ihrer wandelbaren Sujets, Stilmittel, Blickrichtungen und Aussagen vor dem Hintergrund jeweilig spezifischer historischer Konfigurationen, Interpretationen und Subjektpositionen nahe legt, implizit ein wenig aufgebrochen und dezentriert werden. Indes sind die künstlerischen Äußerungen in nach historiografischen Zeitabschnitten chronologisch angelegten und thematisch untergliederten Kapiteln in entsprechenden historischen Kontexten situiert.3 Zudem betont Painter die Relationalität von Vergangenheit und Gegenwart bzw. die an gegenwärtige Bedürfnisse und Sensibilitäten angepasste Ausrichtung und Zuspitzung von Geschichte und damit von sich verändernden relevanten Fragen, Ideen sowie Bildern. Beispielgebend ist in dieser Hinsicht besonders das einführende Kapitel, indem sie die Verschiebungen und Wandel unterworfene, identitätspolitisch eminent wichtige Beziehung von African Americans und „Afrika“ mit Blick auf künstlerische und historiografische Darstellungen historisierend beleuchtet. Direkt daran anschließend sei herausgestellt, dass Painter afroamerikanische Menschen auch in allen weiterführenden Kapiteln als „a diasporic people“ (S. 47) ernst nimmt, transregionale und -nationale Perspektiven einnimmt sowie diverse Schattierungen von Afrikanisch- und Amerikanisch-Sein nachzeichnet.

„Creating Black Americans“ kann überdies als eine Herausforderung gelesen werden, durch und in künstlerischen Werken hervorgebrachte historische Bedeutungen kritisch zu denken; das heißt zu hinterfragen, wie Vergangenheit afroamerikanischer Gegenwart imaginiert und visualisiert wurde bzw. wird. Dabei ist kritisch anzumerken, dass Painters innovativer Zugang zu afroamerikanischen Wissensproduktionen darunter leidet, dass es ihr nicht immer gelingt, Narrativ und Bildmaterialien produktiv zu verflechten. Denn obschon Letztere sicherlich Argumente illustrieren und bestärken sowie die „Agency“ von African Americans als „Autor/innen“ ihrer Geschichte verdeutlichen, fehlt jenseits von knappen Bildbeschreibungen oftmals leider ein analytischer Zugriff. So wird etwa die interessante Komplexität und Ambiguität vieler der reproduzierten Arbeiten größtenteils kaum problematisiert.

Zusammenfassend sind in der hier rezensierten, vor allem Einsteiger/innen und Kunst-Aficionados zu empfehlenden Lektüre in Text und Bild zwei zentrale Themenfelder auszumachen: materielle Bedingungen und die getitelten Bedeutungen. Erstere verweisen auf die sich wandelnden demografischen, ökonomischen, politischen, sozialen und kulturellen Lebensverhältnisse innerhalb des beschriebenen Raum-Zeit-Fensters afroamerikanischer Geschichte, welche Painter übrigens auch in Schaubildern quantifiziert. Zweitgenannte meinen die Herstellung sich wandelnder historischer Narrative: von Wissen als Prozess, in dem African Americans ihrer Situation und Vergangenheit von „1619 to the Present“ Bedeutungen beilegen; und historischer Kommemoration als bedeutsamer Komponente im ebenfalls andauernden Prozess afroamerikanischer Identitätsbildung. Folgerichtig vollzieht „Creating Black Americans“ nicht nur eine Annäherung an das, „was passierte“, sondern zugleich bietet es Einblicke in die vielfältigen Bedeutungen, die Afroamerikaner/innen ihren Erfahrungen beigemessen haben. In diesem Sinne sei das Schlusswort Painter selbst gestattet: „Welcome to this introduction to a past rich in beauty and creativity, but also in tragedy and trauma. Welcome to the history of the creation of black Americans by black Americans (S. xix).“

Anmerkungen:
1 John Hope Franklin / Alfred A. Moss, Jr., From Slavery to Freedom: A History of African Americans, 8. Aufl. New York 2000 [1947]; James Oliver Horton / Lois E. Horton, Hard Road to Freedom: The Story of African America, New Brunswick, NJ 2001; Robin D. G. Kelley / Earl Lewis (Hrsg.), To Make Our World Anew: A History of African Americans, 2 Bde. New York 2005; Darlene Clarke Hine / William C. Hine / Stanley Harrold, The African-American Odyssey, 2 Bde., 4. Aufl. Upper Saddle River, NJ 2007 [2000]. In der deutschsprachigen Forschung ist das unangefochtene Standardwerk zu afroamerikanischer Geschichte nach wie vor Norbert Finzsch / James Oliver Horton / Lois E. Horton, Von Benin nach Baltimore: Die Geschichte der African Americans, Hamburg 1999.
2 Siehe John Hope Franklin, Mirror to America: The Autobiography of John Hope Franklin, New York 2005; und Special Issue: The Legacy of Dr. John Hope Franklin, in: Journal of African American History 94,3 (2009), S. 317-421.
3 Die insgesamt 15 Kapitel, zu denen sich im Appendix jeweils hilfreiche Literaturhinweise finden, bergen im Übrigen einige nützliche Features (Konklusionen, Timelines, Review- und Diskussionsfragen), die den Textbookcharakter von „Creating Black Americans“ und seine Eignung als Grundlagentext unterstreichen.

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