A. Lefebvre: Une histoire de la pensée française de l'Allemagne

Cover
Titel
Le Miroir évidé. Une histoire de la pensée française de l'Allemagne (16e-18e siècles)


Autor(en)
Lefebvre, Armelle
Reihe
Deutsch-französische Kulturbibliothek 26
Erschienen
Anzahl Seiten
429 S.
Preis
€ 40,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Isabelle Deflers, Historisches Seminar, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Hinter der rätselhaften Metapher des „entleerten Spiegelbildes“ verbirgt sich in Armelle Lefebvres Buch die anspruchsvolle historische Rekonstruktion des Deutschlandbildes, das in der politischen Kultur Frankreichs von den Anfängen des Staatsbildungsprozesses bis zum Ende des Alten Reiches 1806 entwickelt wurde. Als Linguistin und Philosophin verbindet die Autorin die methodologischen Ansätze der Diskursanalyse Michel Foucaults mit der Begriffsgeschichte Reinhart Kosellecks und nimmt stets Bezug auf die Systemtheorie Niklas Luhmanns sowie auf die Intellectual History Quentin Skinners. Sie beansprucht, über eine „zu einfache“ quellenkritische Methode, die ihrer Meinung nach in meisten historischen Arbeiten vorherrscht, hinauszugehen. Ihr Ziel ist, unterschiedliche Deutschlandbilder zu definieren und entsprechend verschiedene „intellektuelle Landschaften“ herauszuarbeiten. Die hierfür verwendeten grilles sollen semantische und konzeptuelle Gemeinsamkeiten der zahlreichen Autoren im Laufe der drei betrachteten Jahrhunderte hervorheben.

Lefebvres Ziel ist dabei, die Entwicklung sowie die Verschiebung der Betrachtungsperspektive innerhalb der Absolutismus-Debatte in Europa ans Licht zu bringen. Im Laufe der ausgewählten Zeitspanne wurde die absolute Monarchie allmählich als Regierungsform akzeptiert; die universale Ordnung wurde daher in Europa durch eine „Sammlung von Absolutismen“ (S. 11) ersetzt, die im Zusammenhang mit dem sich langsam entwickelnden Nationalitätsprinzip schließlich zur nationalen Differenzierung führten. Somit setzte sich allmählich das Prinzip der Vielfalt und das damit verbundene System des souveränen Willens in Pluralform durch.

Die Untersuchung will also zeigen, wie sich der Staatsbegriff entwickelte, wie allmählich aus ihm die Konföderation als Konzeptualisierung des corps germanique ausgeschlossen wurde und wie schließlich der grundsätzliche Unterschied zwischen dem externe Beziehungen regulierenden „System“ und der politischen „Gesellschaft“ in Bezug auf „den anderen“ (auch „Fremden“ genannt) vor, während und nach dem Westfälischen Frieden die moderne politische Kultur bzw. die politische Semantik strukturierte. Darüber hinaus betont die Studie die Verbindung zwischen den Deutschlandbildern und der Geburt des Staatsbegriffes in Frankreich (S. 21). Lefebvre fragt, inwiefern die Konfrontation mit „dem Anderen“, insbesondere mit dem Deutschlandbild ein unentbehrliches Element der Identitätsbildung des monarchischen Staates in Frankreich war. Durch die Opposition zum corps germanique konnte sich der französische monarchische Staat als unvergleichbar im Gegensatz zum als dekadent gebrandmarkten Reich („l’empire qui empire“, S. 22) erklären. Das Ideal des absolutistischen französischen Staates diente als Gegenmodell. Das von den französischen Absolutisten und von späteren Etatisten gezeichnete „ausgehöhlte Spiegelbild“ Deutschlands (S. 80ff.) bildete für die französischen Staatstheoretiker den Anlass, sich mit Struktur, Grenze und Definition der Souveränität des monarchischen Staats Frankreichs wiederholt auseinanderzusetzen.

Das Buch gliedert sich in vier Hauptteile. Das erste Kapitel beschäftigt sich mit dem frühneuzeitlichen Deutschland in der französischen Historiographie und zeigt, wie sich die ursprüngliche französische Leidenschaft für das Reich allmählich in einen negativen Diskurs über dessen als zu schwach betrachtete Staatsverfassung verwandelte, bis das Reich schließlich jenes Gegenmodell in der verfassungsrechtlichen Debatte wurde. Der zweite Teil widmet sich dem Verständnis von Deutschland in der politischen Wissenschaft Frankreichs im 18. Jahrhundert, genauer der intensiven Debatte über die deutsche Reichspublizistik bis zur Rezeption der Theorie des Abbé de Saint-Pierre durch Rousseau, die beide die Reichsstruktur als Bund oder corps positiv bewerteten und in ihr das europäische Staatensystem gespiegelt sahen.

Im dritten Kapitel, dem längsten des Buches, wird die Entwicklung der politischen Kultur Frankreichs im Zusammenhang mit den unterschiedlichen Repräsentationen des Reichs analysiert. Hier wird die Rolle der humanistisch ausgebildeten Eliten, vor allem der juristischen Elite und der von ihr entwickelten komparatistischen Methodologie, hervorgehoben, die zur Frage der Definition und Begrenzung der Souveränität und zur Herausbildung einer von der Autorin so bezeichneten „diplomatischen Wissenschaft“ führte. Gemeint ist damit die für das 16. und 17. Jahrhundert charakteristische Verbindung von Wissenschaft und Politik. Humanisten und Juristen dienten in vielerlei Funktionen der Monarchie – nicht zuletzt als Diplomaten – und verbanden auf diese Weise theoretische Reflexion und politische Praxis. Die langen Ausführungen zum juristischen Humanismus bilden hier den wesentlichen Kern des Buches.

Der Bildung einer sogenannten „diplomatischen Kultur“ werden mit dem vierten und letzten Kapitel nur zehn Seiten gewidmet. Abschließend betont Lefebvre erneut, dass das im 17. Jahrhundert entwickelte und verbreitete Bild eines „dekadenten“ Reiches allein auf Missverständnissen beruht und lediglich dazu gedient habe, die Dominanz der französischen Monarchie als eines festen und einmaligen Staatsmodells zu stärken.

Im Anhang findet der Leser eine nützliche, ausführliche „institutionelle Lexik des Reiches“ mit den dafür verwendeten Quellen (S. 345–395), in welcher eine Auswahl der wichtigsten Begriffe präsentiert wird, die zur Beschreibung Deutschlands üblicherweise verwendet wurden. Während sich die Quellenliste durch eine erfreuliche Breite und Ausführlichkeit auszeichnet, weist das Literaturverzeichnis vor allem im Bereich der Geschichte der deutsch-französischen Beziehungen und des französischen Deutschlandbildes zahlreiche Lücken auf.1 Zu bemängeln sind hier zudem unzählige Tippfehler, alphabetische Unordnung, fehlende Seitenangaben und weitere Ungenauigkeiten. Angesichts der zahlreichen Autorennennungen vermisst man überdies ein Namensregister.

Angesichts des Themas könnte dieses Buches auf ein breites interessiertes Publikum hoffen, allerdings muss sich der Leser mit Geduld wappnen, denn die Autorin schreibt in einer weitgehend unverständlichen Sprache, so dass jeder Satz zum Kampf wird. Die Qual, die schon einer Muttersprachlerin die Lektüre bereitet, könnte leider ein absolutes Hindernis für die Rezeption bilden. Dies ist umso bedauerlicher, als Armelle Lefebvre eine gelehrte Studie zu einem schwierigen und bisher noch nicht in diesem Umfang bearbeiteten Thema durchgeführt und hierfür ein beeindruckend breites Quellencorpus verarbeitet hat.

Anmerkung:
1 Obwohl einige älteren Werke von Klaus Malettke erwähnt werden, fehlen die neueren Arbeiten von Jörg Ulbert (2004 und 2006) und Sven Externbrink (2001 und 2006) sowie die thematisch einschlägigen Aufsätze zum französischen Reichsbild im 17. und 18. Jahrhundert von Martin Wrede (2000 und 2002).

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension