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Titel
Feind-Bild Springer. Ein Verlag und seine Gegner


Autor(en)
Staadt, Jochen; Voigt, Tobias; Wolle, Stefan
Erschienen
Göttingen 2009: Vandenhoeck & Ruprecht
Anzahl Seiten
328 S.
Preis
€ 19,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sabine Pamperrien, Berlin

Kaum ein anderes Feindbild der Protest-Generation von 1968 hat sich bis heute so frisch erhalten wie die „Springerpresse“. Die Parole „Enteignet Springer“ ist legendär. Noch immer tragen insbesondere linke deutsche Intellektuelle dem Verlag dessen aggressive Propaganda gegen die Studentenbewegung nach. Seit in den Diskussionen um Werteverfall und Bildungsnotstand die „68er“ von der politischen Publizistik wiederentdeckt wurden, feiern in Teilen des deutschen Zeitungswesens Feindbilder aus den Urzeiten ideologischer Konfrontation fröhliche Auferstehung.

Die „Springerpresse“ selbst hingegen ist bereits seit Anfang der 2000er-Jahre in Sachen „68er“ ambivalent. Damals sorgte Wolf Biermann in seiner Funktion als Kulturkorrespondent der Springer-Zeitung „Die Welt“ für verlagsinterne Auseinandersetzungen, als er mit eindeutigen Schuldzuweisungen die Rolle seines Arbeitgebers bei den Studentenunruhen thematisierte. Der frühere Chefredakteur von „Bild“, Peter Boenisch, der seine eigene polemisierende Rolle öffentlich zugegeben hatte, legte unter dem Eindruck der Kritik, die ihm aus dem Verlag entgegen schlug, sein Aufsichtsratsmandat nieder. Damit war das Thema jedoch nicht beendet. Trotz dieses Fehlstarts gibt es offenbar bei Springer ein großes Bedürfnis zur Klärung. Ob dies damit zu tun hat, dass inzwischen zahlreiche ehemalige Protagonisten der linken Revolte in Diensten des ehemaligen Feindes stehen, kann nur gemutmaßt werden. Möglicherweise soll auch das Image des Verlags vom Ruch einseitiger Propaganda befreit werden. Alle Zeichen stehen auf Differenzierung. 2009 scheiterte ein schon angesetztes Treffen zur Aufarbeitung der Kontroverse mit prominenten „Alt-68ern“. Die ehemaligen Revoluzzer hatten selbstgerechte Töne im Hause Springer wahrgenommen. Vielleicht hatten sie dabei die von Springer alimentierte Studie „Feind-Bild-Springer. Ein Verlag und seine Gegner“ im Blick.

Die Studie, die auf Anregung der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes (BStU), Marianne Birthler, in einer Kooperation der Axel Springer AG mit dem Forschungsverbund SED-Staat an der Freien Universität Berlin (FU Berlin) entstand, eignet sich kaum, die Diskussion um Springer aus der ideologischen Sackgasse zu führen. Erforscht werden sollten die Kampagnen und Maßnahmen der SED und des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) gegen den Axel Springer Verlag. Erstmals sollen laut Projektankündigung des SED-Forschungsverbunds die Machenschaften der DDR-Oberen gegen Springer systematisch im gesamtdeutschen Zusammenhang dargestellt werden. Dies ist jedoch nur ein Aspekt des Buches. Auch hier ist ein großer Teil der westlichen Kritik an der Berichterstattung von Seiten der Studentenbewegung gewidmet. Breiten Raum nehmen die neomarxistischen Theoriegebäude der 68er ein, deren antikapitalistische Kritik an den politischen Verhältnissen im Allgemeinen und den Konzentrationserscheinungen im Pressewesen im Besonderen durchaus der offiziellen Haltung der DDR zur Bundesrepublik glich. Der ursächliche Zusammenhang zwischen der „Enteignet Springer“-Kampagne im Westen und den Bestrebungen der DDR bleibt gleichwohl Behauptung – trotz aller bisweilen etwas angestrengt wirkenden Bemühungen der Forscher, diesen Beweis zu finden. Besonders problematisch für eine Arbeit mit wissenschaftlichem Anspruch ist das Fehlen des Hinweises, dass der unbewiesene Vorwurf früher zum Standardrepertoire der umstrittenen „Springerpresse“ zählte. Die drängende Frage, warum in einer „gesamtdeutschen Analyse“ die Artikel aus dem angegriffenen Verlag nicht systematisch untersucht wurden, beantworten die Autoren nicht. Ebenso fehlt ein Hinweis, warum die Analyse den internationalen Kontext der Studentenbewegung ausblendet. Stichworte wie Vietnam, Algerien, Iran, Spanien, die Apartheid in Südafrika und die Bürgerrechtsbewegung in den USA sucht man vergeblich.

Nach den Recherchen der Forscher des Forschungsverbundes mischte der Staatssicherheitsdienst der DDR bei der westlichen Anti-Springer-Kampagne kräftig mit. Demnach sei der Anti-Springer-Affekt der Studentenbewegung von der DDR nicht nur geschürt worden, Walter Ulbricht selbst sei der Erfinder der „Enteignet Springer“-Kampagne gewesen. Die DDR habe die propagandistische Macht des antikommunistischen Verlags unbedingt brechen wollen. Sie bediente sich dabei nicht zuletzt bekannter Mittel: Im Umfeld konnten zahlreiche Spitzel angeworben werden, bis in die Konzernzentrale hinein rekrutierte das MfS Informanten. Der Fall einer von einem „Romeo“ abgeschöpften Vorstandssekretärin ging durch alle Medien. Das MfS wertete außerdem sämtliche Telefonate im West-Berliner Telefonnetz aus und hielt 27 Mitarbeiter des Verlags unter ständiger Beobachtung. Einen wirklichen Einfluss habe die DDR bei Springer dennoch nie gewinnen können, so die Autoren.

Die Bemühungen erschöpften sich jedoch nicht in der klassischen Agententätigkeit. Vielmehr gipfelte die DDR-Kampagne in dem ebenso kostspieligen wie überlangen biographischen Fernsehfilm „Ich – Axel Caesar Springer“, der in fünf Teilen von insgesamt mehr als 600 Minuten Länge zwischen 1968 und 1970 ausgestrahlt wurde. Die Melange aus Wahrheiten, Halbwahrheiten und Lügen fand allerdings auch in der DDR kein wirklich interessiertes Publikum und verschwand alsbald auf Nimmerwiedersehen im Fundus des Staatsfernsehens. Daneben gab es den Versuch, eine Ost-Antwort auf die „Bild“-Zeitung zu etablieren, der ebenfalls fehlschlug und schnell beendet wurde. Bemühungen, ein Zeitungsprojekt von Springer-Antipoden wie Rudolf Augstein in West-Berlin personell zu unterwandern, scheiterten daran, dass das Projekt letztlich nicht realisiert wurde. Im Dunstkreis der arrivierten Springer-Gegner fanden die Autoren zahlreiche personelle Verflechtungen mit der DDR, jedoch auch hier nur wenige tragfähige Beweise für den Erfolg ostdeutscher Propaganda. Ein klärenswerter Fall bleibt die Zusammenarbeit des „Stern“ mit DDR-Vertretern bei der öffentlichen Diffamierung von Heinrich Lübke als mutmaßlichem KZ-Planer. Einen tragfähigen Beweis für eine erfolgreiche Beeinflussung der 68er durch die DDR bleibt die Studie dennoch schuldig. Die Versuche aus der DDR, den Axel Springer Verlag zu unterwandern und zu diskreditieren, hätte man demnach auch ganz ohne die zahlreichen polemischen Seitenhiebe der FU-Forscher auf die „68er“ beschreiben können.

Gerade dort, wo die Disparität der gesamtdeutschen Konstellationen jener Jahre zum Thema wird, fehlt es der Studie nicht nur an Sensibilität, sondern auch an Tiefgang. (...) Schmidt alias Paul Carell sei bei der Entnazifizierung als Mitläufer entlastet worden. Dass die Entlastung des ehemaligen SS-Mannes auf dubiose Weise erfolgte, bleibt unerwähnt. Springers Plazet, minder belastete Nazis seien verlässliche Antikommunisten, wird folgerichtig nicht kritisch hinterfragt. Statt die Rolle ehemaliger Nationalsozialisten in der Nachkriegspublizistik (keineswegs nur bei Springer) klar herauszuarbeiten, begnügt sich die Studie mit Andeutungen. Was wollen Historiker sagen, die feststellen, dass der „West-Linken oder [...] der SED“ (S. 62) durch solche Fälle „alle ihre Thesen von den personellen Kontinuitäten des Dritten Reiches in der Bundesrepublik [...] bestätigt“ (S. 63) worden seien? Man hätte besser reflektiert, wie in die gesamtdeutsche Geschichtsschreibung einzuordnen ist, dass wesentliche Quellen aus der Zeit des Nationalsozialismus westdeutschen Forschern über Jahrzehnte unzugänglich waren.

Für die beabsichtigte gesamtdeutsche Analyse fehlt es ganz einfach an Durchblick. (...) Dabei ist erforscht, wie sich jener SS-Mann Schmidt aus der Affäre zog. Auf das Buch, in dem die Perfidie nachzulesen ist, wird sogar verwiesen. Wurde es nicht gelesen oder nicht verstanden? Die Autoren nennen den Titel ausschließlich in einer Fußnote zum Sterbeort des umstrittenen Ex-Nationalsozialisten. Studenten nutzen solche Tricks bei Hausarbeiten, um die Liste der verwendeten Literatur künstlich zu verlängern – in der Hoffnung, die Fußnoten würden nicht überprüft. In einem anderen Kontext mahnen die Autoren in ganz unwissenschaftlicher Entrüstung, dass Nachsicht bei ehemaligen MfS-Agenten unangebracht sei. Gefordert war die ideologische Positionierung vom Auftraggeber nicht. Und da von namhaften Autoren der Axel Springer AG längst selbstkritische Stellungnahmen zur Rolle des Verlags in jenen aufregenden Zeiten publiziert wurden, konterkariert die Studie in ihrem analytischen Teil sogar den Aufklärungsanspruch. Fast wünscht man sich, die Forscher des SED-Forschungsverbundes hätten sich mit einem Dokumentenband beschieden.

Kommentare

Von Hohls, Rüdiger31.05.2011

Der Wortlaut der Rezension wurde nach seiner Veröffentlichung an zwei Stellen geändert. Diese Änderungen sind durch Auslassungszeichen im Text kenntlich gemacht.


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