W. Neugebauer u.a. (Hrsg.): Preußisches Kultusministerium

Titel
Das preußische Kultusministerium als Staatsbehörde und gesellschaftliche Agentur (1817-1934). Die Behörde und ihr höheres Personal. Darstellung


Herausgeber
Neugebauer, Wolfgang; Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
Reihe
Acta Borussica, N.F. 2. Reihe: Preußen als Kulturstaat Abt. 1, Bd. 1
Erschienen
Berlin 2010: Akademie Verlag
Anzahl Seiten
XXXII, 382 S.
Preis
€ 148,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Anne Chr. Nagel, Justus-Liebig-Universität Gießen

In der Erinnerung an Preußen dominieren Gedanken an den Militärstaat. Die preußische Armee und das Kriegsglück der Monarchen hatten das Königreich einst groß gemacht und es im Kreis der übrigen Herrschaften des Deutschen Reichs etabliert. Der preußische Staat war ein Machtstaat und in Berlin tat man sich viel darauf zugute. Aber die preußische Geschichte erschöpft sich nicht darin, neben dem Militär spielten Pflege und Ausbau der Kultur, besonders auch des staatlichen Bildungswesens, früh eine Rolle. So entstand das erste eigenständige Kultusministerium im Deutschen Bund 1817 in Berlin, dem mit einigem zeitlichen Abstand 1831 Sachsen, 1846 Bayern und 1849 Österreich folgten. Selbst der liberale Südwesten des Reichs blieb weit dahinter zurück, da erst 1848 in Württemberg und 1911 in Baden selbständige Kultusministerien errichtet wurden.1

Früher als andere Staaten hatte Preußen die Bedeutung des staatlichen Bildungssektors erkannt und die Weichen für den gezielten Ausbau gestellt. Wie sich dieser Prozess im Einzelnen vollzog, welche Maßnahmen der Staat dazu ergriff und ob und welche außerstaatlichen Impulse ihn unterstützten, steht im Zentrum der vorliegenden beiden Bände. Sie sind Teil eines umfassend angelegten Forschungsvorhabens der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften über „Preußen als Kulturstaat“ und setzen die 1892 von Gustav Schmoller begründeten Acta Borussica in neuer Folge fort. Begonnen wird mit einem Darstellungs- und einem Dokumentenband zum preußischen Kultusministerium „als Staatsbehörde und gesellschaftliche Agentur (1817-1934)“. Bei Wolfgang Neugebauer liegt die Leitung des Gesamtvorhabens, für das gemeinschaftlich erstellte Werk zeichnen Bärbel Holtz, Rainer Paetau, Christina Rathgeber, Hartwin Spenkuch und Reinhold Zilch als Autoren und Editoren verantwortlich.

Der in zwei Teile zerfallende Darstellungsband analysiert im ersten Teil Aufbau und Entwicklung der Behörde und wendet sich im zweiten dem höheren Personal des Hauses zu. Die einzelnen Kapitel dieser Teile sind chronologisch-systematisch gegliedert, erläutern Zuständigkeiten, Tätigkeitsgebiete und Organisationsstruktur des Ministeriums, stellen die Entwicklung des Etats vor und schildern nicht zuletzt die Baugeschichte des Hauptdienstgebäudes. Beim Blick auf die höheren Beamten wird nach sozialer und regionaler Herkunft, nach Laufbahnwegen und Karrieremustern gefragt. Was änderte sich infolge der markanten politischen Zäsuren 1866/71, 1918/19 und 1932/33 in der Personalpolitik, wie wirkten sich Erster Weltkrieg und Revolution, wie der „Preußenschlag“ auf die Personalrekrutierung aus? Der Aktenband folgt demselben Aufbau und legt rund 130 Dokumente zur Erläuterung des darstellenden Teils vor.

Die Geschichte des preußischen Kultusministeriums ist die seiner kontinuierlichen Expansion. Die Behörde wuchs mit ihren Aufgaben, die sich im Laufe des 19. Jahrhunderts durch den Ausbau des Schul- und Hochschulwesens beträchtlich vermehrten. Man begann 1817 klein mit gerade einmal 17 höheren und 13 subalternen Beamten und hatte am Vorabend des Ersten Weltkriegs mit 269 Beschäftigten (inklusive Angestellten und Arbeitern) den Umfang einer Großbehörde angenommen. Auch in den Weimarer Jahren hielt der Personalausbau an, der 1930 mit 317 Mitarbeitern einen Höhepunkt erreichte, um dann allerdings, bedingt durch die staatlichen Sparmaßnahmen, bis 1934 wieder auf 286 abzusinken. Die Sozialstruktur der höheren Kultusbeamten war schon im 19. Jahrhundert bürgerlich geprägt, allein die Minister trugen bis 1918 noch mehrheitlich einen Adelstitel. Man war bis auf wenige Ausnahmen evangelisch und hatte zumeist ein juristisches Studium absolviert, doch eigneten sich auch Theologie und Medizin zum Einstieg in den Ministerialdienst. Frauen bekamen freilich erst hundert Jahre nach Gründung des Ministeriums eine Chance im höheren Dienst, als 1919 Oberlehrerin Anna Siemsen zur ersten Vortragenden Rätin ernannt wurde. Anders sah es im mittleren Dienst aus, der seit 1909 zunehmend auch Frauen offen stand. 1909 trat die erste Telegraphengehilfin ihren Dienst an und während des Weltkriegs vermehrte sich die Zahl weiblicher Büroangestellter stetig. Dieser Trend hielt auch in den 1920er- und 1930er-Jahren an.

Mit der personellen ging die räumliche Expansion einher. 1883 erhielt das Ministerium einen repräsentativen Neubau Unter den Linden und dehnte sich in den folgenden Jahrzehnten durch den Ankauf angrenzender Liegenschaft weiter aus. Entsprechend stieg der Etat des Hauses, im Zeitraum 1817 bis 1849 erst zögerlich, danach bis 1934 in beachtlichen Dimensionen: 1930 war mit rund 755 Millionen Reichsmark das Maximum erreicht, das Preußen je für Kultur und Bildung im Land ausgegeben hat. Gemessen an den Gesamtausgaben des Staates fällt die Bilanz nicht ganz so eindrucksvoll aus, 1900 betrug der Anteil 6,2 Prozent, 1914 6,3 Prozent. Doch wuchs der Kultusetat 1925 dann immerhin auf 16,2 Prozent des Gesamthaushalts, 1930 sogar auf 17,3 Prozent. Über den gesamten Berichtszeitraum gesehen kann sich die Entwicklung des preußischen Kultusetats also durchaus sehen lassen, wenn er auch nicht, wie Reinhold Zilch betont, die erste Stelle im Haushalt einnahm.

Eine andere Frage ist, wie die energischen Anstrengungen des preußischen Staates für die Belange von Kultur, Bildung und Wissenschaft generell zu erklären und einzuordnen sind. Wolfgang Neugebauer will dies aus einer spezifischen „Verspätungslage“ Preußens heraus deuten, in der sich das Land im Vergleich mit anderen deutschen Staaten befunden habe. Schließlich habe Preußen in diesem Bereich vor 1800 keineswegs eine Vorbildfunktion eingenommen, sei sich erst danach seiner Defizite bewusst geworden und habe zum Aufholen des kulturellen Rückstandes angesetzt. Seine Entwicklung zum Kulturstaat sei damit weniger endogen motiviert gewesen, sondern wesentlich aus einer zwischenstaatlichen Konkurrenzsituation heraus entstanden. Dies mag so gewesen sein, aber die Verdienste Preußens um Bildung und Wissenschaft im Deutschen Reich schmälert das nicht. Darstellung und Dokumente, wenngleich überaus sparsam kommentiert, belegen das eindrucksvoll. Was schmerzlich fehlt in diesem ansonsten hochverdienstvollen Unternehmen, sind Bilder vom Ort des Geschehens und von den führenden Gestalten. Vielleicht kann dies in späteren Publikationen nachgeholt werden.

Anmerkung:
1 Bernhard vom Brocke, Kultusministerien und Wissenschaftsverwaltungen in Deutschland und Österreich: Systembrüche und Kontinuitäten 1918/19 – 1933/38 – 1945/46, in: Rüdiger vom Bruch / Brigitte Kaderas (Hrsg.), Wissenschaften und Wissenschaftspolitik. Bestandsaufnahmen zu Formationen, Brüchen und Kontinuitäten im Deutschland des 20. Jahrhunderts, Stuttgart 2002, S. 193-214.