M. Berg u.a. (Hrsg.): Mit Feder und Schwert

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Titel
Mit Feder und Schwert. Militär und Wissenschaft - Wissenschaftler und Krieg


Herausgeber
Berg, Matthias; Thiel, Jens; Walther, Peter Th.
Reihe
Wissenschaft, Politik und Gesellschaft, Bd. 7
Erschienen
Stuttgart 2009: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
380 S.
Preis
€ 46,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Andreas Braune, Institut für Politikwissenschaft, Friedrich-Schiller-Universität Jena

Mit dem Sammelband „Mit Feder und Schwert“ legen die Herausgeber den Tagungsband für den gleichnamigen Workshop vor, der vom 15.-17. Januar 2009 in Berlin im Rahmen des DFG-Schwerpunktprogramms „Wissenschaft, Politik und Gesellschaft - Deutschland im internationalen Zusammenhang im späten 19. und im 20. Jahrhundert: Personen, Institutionen, Diskurse“ abgehalten wurde.1 Bis auf wenige Ausnahmen entspricht der Sammelband den dort präsentierten Beiträgen. Wie das gesamte Schwerpunktprogramm nimmt auch der vorliegende Band den für das 20. Jahrhundert so charakteristischen Prozess der „Verwissenschaftlichung der Gesellschaft und der Vergesellschaftung der Wissenschaft“ in den Blick, erstmals jedoch unter der spezifischen Perspektive des Krieges, woraus sich die These der „Militarisierung der Wissenschaften und […] Verwissenschaftlichung des Krieges“ (Rüdiger Hachtmann, S. 25) ableitet. Der für das Schwerpunktprogramm späte Zeitpunkt für diese Perspektivwahl verwundert insofern, als dass kein Jahrhundert zuvor von einer so starken Verwissenschaftlichung der Kriegsführung gekennzeichnet war wie das 20. Jahrhundert. Dass hiervon die wechselseitigen Dynamiken zwischen soziopolitischer Entwicklung einerseits und Transformationen des Wissenschaftssystems andererseits nicht unberührt bleiben konnten, liegt auf der Hand.

Um das Gesamturteil vorwegzunehmen: Die einzelnen Beiträge des vorliegenden Bandes erfüllen die in der Einleitung geweckten Erwartungen nur bedingt, wobei eine Reihe von Aufsätze positiv hervorstechen. Generell bedient sich eine Vielzahl der Beiträge eines Ansatzes, der in Anlehnung an Mitchell G. Ash von der „These eines Ressourcenverhältnisses von Wissenschaft, Politik und Gesellschaft“ (S. 20) ausgeht.2 In impliziter Anlehnung an die Luhmannsche Systemtheorie wird dabei von relativ autonomen gesellschaftlichen Teilsystemen – der Wissenschaft, dem Staat, dem Militär, der Wirtschaft – ausgegangen, welche in einem dynamischen materiellen wie symbolischen Ressourcenverhältnis stehen. Der Krieg als exponiertes gesellschaftliches Ereignis, so die generelle These, sorgt für eine intensivierte Mobilisierung dieser Ressourcen und führt mithin zu einer Ressourcenverschiebung innerhalb des Wissenschaftssystems. Dabei gelte es, den Fokus weg von der für einzelne Forschungsdisziplinen bereits gut aufgearbeiteten Personen- und Institutionengeschichte zu lenken hin auf die Frage nach dem Habitus und den Denkstilen der Wissenschaftler, ihre Forschungsinhalte und deren kriegsbedingte Modifikationen. Soweit, so einleuchtend. Diesem Fragekomplex für den zeitlichen Rahmen des Schwerpunktprogramms und mit Fokus auf das deutsche Wissenschaftssystem nachzugehen, hätte dem Band besser angestanden als die Ambitionen eines „transepochalen und transnationalen Vergleich[s]“ (S. 18).

Der Anspruch des transepochalen Vergleichs soll mit einer Erweiterung des zeitlichen Horizontes des Schwerpunktprogramms um den Zeitraum des 18. Jahrhunderts wie der Zeit der Befreiungskriege als einer relevanten „Inkubations- und Prägephase“ (S. 19) eingelöst werden. Die Bedeutung einer Inkubationsphase verdeutlicht Rüdiger Hachtmann in seinem breit angelegten und lesenswerten Beitrag unter anderem am Beispiel der Kunstgeschichte, für die der napoleonische Kunstraub zur Initialzündung der Disziplingenese wurde und die im 20. Jahrhundert in verschiedene, in die deutschen Kriegsplanungen integrierte Programme des Kunstraubs mündete. Martin Winter hingegen schildert anhand der Entwicklung militärbezogener Bildungseinrichtungen im 18. Jahrhundert die Ambivalenz des Aufklärungsprozesses im Bereich des Militärischen, der einerseits auf eine Rationalisierung und ‚Humanisierung‘ des Krieges zielte, andererseits damit aber auch seine Dynamisierung bewirkte, die bis ins 20. Jahrhundert (und bis zur Gegenwart) fortdauerte. Sven Haase legt an den Beispielen Fichtes und Schleiermachers dar, wie die Gelehrten der Zeit der Befreiungskriege sich selbst für die Literarisierung des Krieges und zur Selbststilisierung als dessen Chefinterpreten mobilisierten. Klaus Ries schließlich widmet sich der „Bildung einer intergenerationellen Wertegemeinschaft aus dem Geist des Freiheitskrieges“ (S. 95) zwischen politisierten Professoren und Studenten, welche durch die Etablierung der Nationalidee als Leitfigur und den Durchbruch des politischen Liberalismus geprägt war. Zu dem Verständnis einer Inkubations- und Prägephase hätte an dieser Stelle gehört, dass die hier vorgezeichneten Topoi im Verlauf des 19. Jahrhunderts weiterverfolgt würden. Dabei verweisen die Herausgeber ebenso wie Rüdiger vom Bruch in seinem abschließenden Kommentar zu Recht auf ein in diesem Zeitraum, also ca. 1820-1880, vorzufindendes Forschungsdesiderat. Allerdings nimmt es dann auch nicht wunder, wenn die im ersten Abschnitt angerissenen Topoi im Übergang zum zweiten Abschnitt weitestgehend abbrechen und nicht wieder aufgegriffen werden (wie zum Beispiel die Literarisierung des Krieges durch Gelehrte). Der Ansatz eines transepochalen Vergleichs harrt demnach noch einer adäquaten Umsetzung.

Der zweite und dritte Abschnitt des Sammelbandes widmen sich dann dem Zeitalter der Weltkriege. Sören Flachowsky schildert in seinem Beitrag anhand der „Kriegschemiker“ (S. 110) und Materialwissenschaftler Emil Fischer, Rudolf Schenk und Adolf Fry die „hochgradige Selbstmobilisierung der bildungsbürgerlichen Eliten“ (S. 133) für die Sache des Krieges als generationenübergreifendes Motiv zwischen 1914 und 1945. Im Anschluss daran widmet sich Christoph Roolf dem deutschen Besatzungsregime in Belgien. In diesem von der Forschung bisher wenig beachteten Bereich „zwischen Front und Heimat“ (S. 138) boten sich auch für deutsche Wissenschaftler zahlreiche Möglichkeiten, sich in den Dienst der Besatzungsbehörden zu stellen. Für eine genuin transnationale Perspektive hätte es aber auch eines Blicks auf das belgische Wissenschaftssystem und die Auswirkungen der Besatzung auf dasselbe bedurft. Trotzdem lässt Roolfs lesenswerter Aufsatz eine gewichtige Dissertation erwarten.

Im folgenden Beitrag vergleicht Arne Schirrmacher die Forschungen zur Berechnung von Artilleriegeschossbahnen und zur Schallortung in Frankreich, Großbritannien und Deutschland während des Ersten Weltkrieges miteinander. Er kommt dabei zu dem vorläufigen Ergebnis, dass in Deutschland die wechselseitige Mobilisierung von Militär und Wissenschaft vergleichsweise schwach ausgeprägt war. Dabei deutet Schirrmacher als einziger der Beitragenden ein Motiv an, welches in dem Sammelband (bis auf eine Andeutung in der Einleitung, S. 13) sonst leider vergeblich zu suchen ist, nämlich das Vorhandensein von Differenzen und Spannungen im Verhältnis von Wissenschaft und Militär. Wo sonst alles sehr teleologisch auf die Symbiose beider Seiten im Kriegs- und Vernichtungsapparat der Nationalsozialisten hinauszulaufen scheint, attestiert Schirrmacher eine erhebliche „kulturelle Differenz zwischen Wissenschaft und Militär“ (S. 170). Sei es Technikfeindschaft auf Grundlage eines romantisierten Militarismus oder ein aus der Universalität und Internationalität der Wissenschaft abgeleiteter Pazifismus: Wissenschaft und Militär waren auch im 20. Jahrhundert nicht widerspruchsfrei kompatibel, wie der Sammelband zuweilen suggeriert.

Mit Frank Reichherzers Ausführungen über die Entstehung der Wehrwissenschaften seit Ende der 1920er-Jahre folgt einer der beststrukturierten, reflektiertesten und lesenswertesten Beiträge des Bandes. Im Anschluss an und in Abgrenzung zu Wolfram Wettes Militarismus-Studie 3 spricht Reichherzer von einer „Tendenz zur gesamtgesellschaftlichen Bellifizierung“ (S. 194), worunter er das Bestreben versteht, den Krieg (und nicht das Militär) „als verbindliche Leitkategorie gesellschaftlichen Denkens und Handelns zu etablieren“ (S. 195). Paradigmatisch für die symbiotische Beziehung von Wissenschaft und NS-Kriegsplanung steht im Folgenden der Beitrag Sabine Schleiermachers über die Etablierung der Geomedizin durch Heinz Zeiss, die sich in die bereits geleistete Erforschung der NS-Ostplanungen (zum Beispiel zum Generalplan Ost) einreiht.4 Ähnlich angelegt ist Matthias Bergs interessanter und auf die Person Wilhelm Graus zugeschnittener Beitrag zur Etablierung der ‚Judenforschung‘ im NS-Deutschland.

Jens Thiel macht am Rande seines Beitrags zu „Hochschulkarrieren zwischen Militarisierung und Kriegserlebnis“ auf einen Aspekt aufmerksam, dessen weitgehendes Fehlen sich als ein merkbarer Schwachpunkt des Sammelbandes erweist, und der sonst explizit nur noch von Sören Flachowsky und Tim B. Müller thematisiert wird. Thiel schildert die Ausformung eines neuen, spezifisch nationalsozialistischen Wissenschaftlertypus‘ in Abgrenzung zum bildungsbürgerlichen ‚Stubengelehrten‘ und zum liberalen bis ‚bolschewistischen‘ Intellektuellen. Dies verdeutlicht, dass die Rollenverständnisse und Eigenschaftszuschreibungen des Gelehrten, Wissenschaftlers, Forschers, Experten und Intellektuellen im Untersuchungszeitraum weder identisch noch konstant sind und daher die Begriffe nicht austauschbar Verwendung finden können.5 Dies zu berücksichtigen, hätte es dann auch ermöglicht, die einzelnen Beiträge unter dem Gesichtspunkt kriegsbedingter Rollenmodifikationen untereinander zu verknüpfen.

Die beiden folgenden Aufsätze Till Knaudts und Hans Martins sowie Levke Harders‘ beschäftigen sich mit der kriegsbedingten Wissenschaftsentwicklung außerhalb Deutschlands (Natur- und Technikwissenschaften in Japan bzw. American Studies in den USA). Beide sind durchaus lesenswert, erfüllen aber das Kriterium des transnationalen Vergleichs insofern nicht, als dass sie allein die nationalen Dynamiken schildern und es dem Leser überlassen bleibt, Parallelen und Unterschiede zur deutschen Entwicklung aufzudecken.

Der letzte Abschnitt widmet sich dem Wechselverhältnis von Krieg und Wissenschaft in der Nachkriegszeit nach 1945 und offenbart deutlich das hier vorhandene Forschungsdesiderat. Vor allem der Aufsatz Tim B. Müllers kann in diesem Abschnitt als lesenswert qualifiziert werden. Müller deckt die grundlegend unterschiedlichen methodischen Paradigmen in der Feindforschung der US-Geheimdienste und -Ministerien und die damit zusammenhängenden innerbürokratischen Konflikte im Übergang vom Welt- zum Kalten Krieg auf. Besonders beachtenswert ist dabei die Rolle emigrierter deutscher Intellektueller wie Herbert Marcuse oder Franz Neumann. Dies würde auch für den Aufsatz Alexia Arnolds über deutsch-amerikanische Verwaltungswissenschaftler im Nachkriegsdeutschland gelten, wäre ihr Beitrag nicht wie im vorliegenden Maße eher unreflektiert ausgefallen, da sie weitgehend nur biographische Daten referiert und Vorarbeiten teilweise ignoriert.6 Nicht neu aber dennoch beachtenswert ist dabei die Geschichte der Etablierung der Politikwissenschaft in Deutschland über den Umweg der deutschen Emigration in die USA. Ähnlich zäh gestaltet sich dann auch zum Abschluss der Aufsatz Uta Gerhardts zum Wechselverhältnis amerikanischer Besatzungspolitik und empirischer Surveyforschung im Nachkriegsdeutschland, das zu einer erfolgreichen Entmilitarisierung der Deutschen geführt habe.

Abschließend betrachtet lässt sich festhalten, dass der Sammelband eine gewisse Anzahl an Beiträgen enthält, die tatsächlich etwas zu dem spannenden und untersuchenswerten Wechselverhältnis von Krieg und Wissenschaft zu sagen haben. Anderen Beiträgen merkt man hingegen an, dass sie von anderen Forschungsfragen kommend sich schwer tun, Substantielles zur zentralen Fragestellung beizutragen. Dies führt dazu, dass ein die einzelnen Beiträge verbindender roter Faden nur schwer auszumachen ist und manche Aufsätze beinahe deplatziert wirken. Dies spiegelt sich in dem Umstand wider, dass die Herausgeber darauf verzichteten, den einzelnen Abschnitten aussagekräftige Zwischenüberschriften zuzuordnen. Besonders ermangelt es einer analytischen Zusammenführung durch die Herausgeber, die im abschließenden Kommentar Rüdiger vom Bruchs durch die Ausformulierung von fünf zentralen Problembereichen zumindest angedeutet wird. Ein Namensregister erleichtert zwar die Arbeit mit dem Band, jedoch wäre eine gemeinsame Auswahlbibliographie sehr empfehlenswert gewesen. Der Großteil der Aufsätze arbeitet auf einer breiten, aktuellen und sich oftmals überschneidenden Literaturbasis, sodass eine solche Bibliographie einen schönen Spiegel des aktuellen Forschungsstandes zum Thema Krieg und Wissenschaft geliefert hätte.

Anmerkungen:
1 Vgl. Tagungsbericht Mit Feder und Schwert. Militär und Wissenschaft - Wissenschaftler und Krieg. 15.01.2009-17.01.2009, Berlin, in: H-Soz-u-Kult, 02.02.2009, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=2506> (25.08.2010).
2 Vgl. Mitchell G. Ash, Wissenschaft und Politik als Ressource für einander, in: Rüdiger vom Bruch / Brigitte Kaderas (Hrsg.), Wissenschaften und Wissenschaftspolitik. Bestandsaufnahme zu Formationen, Brüchen und Kontinuitäten im Deutschland des 20. Jahrhunderts, Stuttgart 2002, S. 32-51.
3 Vgl. Wolfram Wette, Militarismus in Deutschland: Geschichte einer kriegerischen Kultur, Darmstadt 2008.
4 Vgl. exemplarisch: Ingo Haar, Historiker im Nationalsozialismus: Deutsche Geschichtswissenschaft und der „Volkstumskampf“ im Osten, 2., durchges. u. verb. Aufl., Göttingen 2002.
5 Vgl. Jürgen Habermas, Heinrich Heine und die Rolle des Intellektuellen in Deutschland, in: Ders.: Eine Art Schadensabwicklung, Frankfurt am Main 1987, S. 25-54; Gangolf Hübinger, Gelehrte, Politik und Öffentlichkeit. Eine Intellektuellengeschichte, Göttingen 2006, S. 13.
6 Vgl. Markus Lang, Karl Loewenstein: Transatlantischer Denker der Politik, Stuttgart 2007.

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