Cover
Titel
How Enemies Become Friends. The Sources of Stable Peace


Autor(en)
Kupchan, Charles A.
Erschienen
Anzahl Seiten
464 S.
Preis
€ 18,95
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von:
Werner Bührer, Fakultät für Wirtschaftswissenschaften, Technische Universität München

Charles A. Kupchan, Professor für internationale Angelegenheiten an der Georgetown University in Washington, Senior Fellow des renommierten Council on Foreign Relations und Mitglied des Nationalen Sicherheitsrats in den Jahren der Clinton-Administration, hat ein beeindruckendes Buch geschrieben. Dessen Hauptbotschaft lautet, in leichter Abwandlung eines bekannten Lennon-Songs: „Give stable peace a chance“ (S. 13). Gestützt auf die einschlägige politikwissenschaftliche Literatur – von Karl W. Deutschs Arbeiten aus den 1950er–Jahren über Kenneth Bouldings Stable Peace von 1978 bis zu der von Arie Kacowicz und anderen 2000 veröffentlichten Studie Stable Peace Among Nations – formuliert der Autor zunächst eine Theorie des dauerhaften Friedens. Dabei versucht er, die Schwachpunkte sowohl der älteren funktionalistischen als auch der neueren konstruktivistischen Ansätze zu überwinden. Anschließend überprüft er sein Modell anhand einer Vielzahl von räumlich und zeitlich weit ausgreifenden Fallstudien. Das geographische Spektrum umgreift fast sämtliche Kontinente, freilich mit Schwerpunkten im europäisch-nordamerikanischen und im arabischen Raum; zeitlich reicht die Untersuchung vom 13. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Als älteste Beispiele erwähnt Kupchan die Schweiz (seit 1291) und die „Konföderation“ von fünf Irokesenstämmen in Nordamerika, die erstaunlicherweise von 1450 bis 1777 Bestand hatte, als jüngere die Vereinigten Arabischen Emirate, Brasilien und Argentinien sowie den Verband Südostasiatischer Nationen (ASEAN) und die Europäische Union. Von Kupchans Befunden und Thesen können die geschichts- und sozialwissenschaftliche Forschung ebenso profitieren wie die aktuelle politische Debatte über die Voraussetzungen friedlicher internationaler Beziehungen.

Zwei Leitfragen stehen im Mittelpunkt der Untersuchung. Erstens, auf welche Weise können Staaten ihre gemeinsamen Probleme lösen, ihre geopolitischen Rivalitäten entschärfen und eine Zone des Friedens, verstanden als „a grouping of strategically proximate states among which war has become unthinkable“ (S. 29), errichten? Zweitens, welche Bedingungen begünstigen die Entstehung und Bewahrung eines dauerhaften Friedens?

Nach Kupchan entsteht ein stabiler Frieden in vier Etappen: Ausgangspunkt sei eine „unilateral accommodation“, gefolgt von „reciprocal restraint“, „societal integration“ und schließlich der „generation of new narratives and identities“ (S. 6). Ein einseitiges Zugeständnis in einer substantiellen Streitfrage solle die Gegenseite von den eigenen wohlwollend-friedlichen Absichten überzeugen. Daraus entwickle sich eine Praxis gegenseitiger Zurückhaltung und „Selbstbindung“: „the parties move beyond the exchange of individual acts of accommodation by regularizing the reciprocal withholding of power through measures such as demilitarization, territorial concession, and the removal of barriers to commerce“ (S. 42). (Zivil)gesellschaftliche Integration, die dritte Phase, meint die „intensification of direct contact between the reconciling societies“, insbesondere „the involvement of bureaucracies, private firms, and mobilized citizens“ (S. 46). Seinen Abschluss findet dieser Prozess laut Kupchan in der Konstruktion neuer Narrative – „the states engaged in reconciliation recast the identities they hold of each other“ (S. 50) – und der Konsolidierung „of a narrative of communal identity“ (S. 52).

Als kausale Bedingungen für das Erreichen der jeweils nächsten Phase nennt Kupchan drei Faktoren: „restraint“, „compatible social orders“ und „cultural commonality“ (S. 54). Sie seien das Fundament eines dauerhaften Friedens, aber nicht als Garanten im Sinne eines Automatismus zu verstehen. Vielmehr seien weitere drei aktivierende Faktoren erforderlich: „geopolitical necessity“, „a preponderant state that anchors the zone of peace“, und „policy entrepreneurship“ (S. 66–67). Ist das Stadium des dauerhaften Friedens erreicht, unterscheidet der Autor folgende Stufen: „Rapprochement“, „Security Community“ und „Union“ (S. 37).

Soweit das komplexe theoretische Modell, das Kupchan in den folgenden vier Kapiteln empirischen Tests unterzieht. Den größten Raum widmet er der anglo-amerikanischen Verständigung, auf die das Modell freilich besonders gut passt. Aus einer über hundertjährigen unversöhnlichen Feindschaft entstand mit Hilfe des Narrativs von der „cultural kinship“ zwischen Briten und Amerikanern die sprichwörtliche „special relationship“ zwischen den USA und Großbritannien. Zu Recht resümiert er deshalb, dass das Beispiel „highlights the importance of institutionalized restraint, the convergence of social orders, and cultural commonality in making possible the emergence of an Anglo-American zone of stable peace“ (S. 73). Weitere gelungene Beispiele einer Verständigung lieferten Norwegen und Schweden im Zeitraum zwischen 1905 und 1935 sowie Brasilien und Argentinien von 1979 bis 1998, während die Annäherungsversuche zwischen Großbritannien und Japan in den ersten beiden Dekaden des 20. Jahrhunderts sowie zwischen der Sowjetunion und der VR China zwischen 1949 und 1960 scheiterten. Vor allem letzteren Fall interpretiert Kupchan als Beleg dafür, dass „the adherence of China and the Soviet Union to communist ideology offers a compelling explanation of the insignificance of cultural variables to both the rise and demise of rapprochement“ (S. 182).

Auch für die anderen beiden Formen eines stabilen Friedens, die „Sicherheitsgemeinschaft“ und die „Union“, präsentiert das Buch Erfolge und Misserfolge. Insbesondere mit Blick auf die europäische Einigung zwischen 1949 und 1963 wiederholt Kupchan fast gebetsmühlenartig seine Überzeugung: „The economic integration of Europe followed from, and did not precede, the political reconciliation produced by reciprocal restraint and the evolution of co-binding institutions.“ (S. 208) Diesen aus der Analyse des europäischen Beispiels abgeleiteten Befund verallgemeinert er in der Zusammenfassung auf das Verhältnis zwischen politischer und wirtschaftlicher Integration überhaupt: „it is politics, not economics, that is in command“ (S. 400). Gerade im Fall der europäischen Einigung erscheint eine solche Deutung indes als zu undifferenziert. Insbesondere während der Anfänge der deutsch-französischen Verständigung, die den Anstoß zur Integration gab und nicht erst 1949, sondern bereits 1947 begann, spielten ökonomische Interessen und Akteure diesseits und jenseits des Rheins eine überragende Rolle.

Ungeachtet gelegentlicher simplifizierender Sichtweisen dieser Art liefert das Buch nicht zuletzt in seinem theoretischen Teil viele höchst wichtige Überlegungen und Anregungen für die geschichts- und politikwissenschaftliche Friedensforschung – freilich in erster Linie für die Analyse der gegenwärtig an Bedeutung verlierenden „alten“, zwischenstaatlichen Konflikte. Mindestens ebenso groß ist der Wert der Studie für aktuelle politische Debatten etwa über Sinn und Unsinn des Demokratieexports. „Liberal democracy, although it is a facilitating factor, is not a neccessary condition for enemies to become friends“, konstatiert Kupchan bespielsweise, vielmehr seien „many different kinds of regimes, including autocracies,…capable of fashioning zones of stable peace.“ (S. 406) Eine solche Einsicht wäre nicht nur amerikanischen Außenpolitikern zu wünschen.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit dem Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung. (Redaktionelle Betreuung: Jan Hansen, Alexander Korb und Christoph Laucht) http://www.akhf.de/
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