Cover
Titel
From Nazism to Communism. German Schoolteachers under Two Dictatorships


Autor(en)
Lansing, Charles B.
Reihe
Harvard Historical Studies
Erschienen
Anzahl Seiten
307 S.
Preis
£36.95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Veronika Wabnitz, ZZF Potsdam

„Wer die Jugend hat, hat die Zukunft.“ Dieses von Napoleon Bonaparte stammende Bonmot nutzten in ähnlicher oder leicht abgewandelter Form sowohl die Nationalsozialisten als auch die Kommunisten, um die zentrale Rolle von Bildung, Erziehung und Schule zur Sicherung ihrer Herrschaft zu beschreiben. Auch in Charles Lansings Studie zu den deutschen Lehrern zwischen 1933 und 1953 steht die Bedeutung schulischer Indoktrination zur Schaffung eines deutschen „Volkskörpers“ bzw. zur Ausbildung der wahren sozialistischen Menschen am Anfang der Überlegungen. Ihm geht es in erster Linie um die Suche nach Kontinuitäten, darum, eine Antwort auf die Frage zu erhalten, ob und wie die nationalsozialistische Diktatur und der Zweite Weltkrieg die folgenden Jahre unter kommunistischer Herrschaft beeinflussten. Auf der einen Seite macht Lansing es sich also zum Ziel, die in der (bildungs-)historischen Forschung omnipräsente Periodisierung der deutschen Geschichte in „vor 1945“ und „nach 1945“ zu unterlaufen. Darüber hinaus will er mit seiner Studie einen Beitrag zum deutschen Diktaturvergleich leisten. Den Ausgangspunkt für seine Überlegungen bilden dabei nicht etwa theoretische Gedanken zur Vergleichbarkeit von NS-Herrschaft und DDR, sondern der einfache Befund, dass die allermeisten Menschen sich nicht erst mit dem 8. Mai 1945 „materialisierten“ (S. 13), sondern bereits auf ein Leben mit den unterschiedlichsten Erfahrungen zurückblickten. Die DDR sei nicht in einem luftleeren Raum entstanden, sondern vielfältig beeinflusst worden durch die nationalsozialistische Herrschaft und den Zweiten Weltkrieg.

Um die Frage nach Kontinuitäten (aber auch Diskontinuitäten) zu beantworten, stützt sich Lansing auf eine detaillierte Untersuchung der Brandenburger (gemeint ist die Stadt Brandenburg im gleichnamigen Bundesland) Lehrerschaft zwischen der Machtergreifung Hitlers und dem 17. Juni 1953. Anhand von Akten aus deutschen und russischen Archiven, ergänzt durch Zeitungsauswertungen und Oral-History-Interviews gelingt ihm eine Kollektivbiographie der Brandenburger Pädagogen während des Dritten Reichs und den ersten Jahren der kommunistischen Herrschaft. Ausgehend von dem überraschenden Befund, dass die Mehrzahl der Lehrer, die sich 1945 zum Schuldienst zurückmeldeten, bereits seit der Weimarer Zeit mehr oder weniger ununterbrochen unterrichtet hatten, untersucht Lansing die komplexe und fundamentale Beziehung zwischen dem Staat, den städtischen Lehrern und ihren beruflichen Organisationsformen (zum Beispiel den Gewerkschaften). Am Beispiel einer überschaubaren Lehrerschaft werden so einerseits Herrschaftsmechanismen und -strategien des Staates sichtbar, auf der anderen Seite lassen sich aber auch Widerstands- und Vermeidungsstrategien der Beherrschten und damit Grenzen der Diktaturdurchsetzung aufzeigen.

Lansings Studie folgt einem chronologisch-systematischen Aufbau. Zunächst schildert er die juristischen Maßnahmen, mit deren Hilfe die Lehrerschaft nach der Machtergreifung 1933 von politisch unzuverlässigen „Elementen“ gesäubert werden sollte. Anschließend ist dem Nationalsozialistischen Lehrerbund (NSLB) als Indoktrinations- und Schulungsinstrument der NSDAP ein umfangreiches Kapitel gewidmet. Analog dazu stellt der zweite Teil die Entnazifizierungsbestrebungen nach 1945 und die (kommunistische) Gewerkschaft Lehrer und Erzieher (GLE) in Gestalt detaillierter Mikrostudien dar. Die dazwischen liegenden Kriegsjahre werden nur vergleichsweise knapp behandelt. Da das Hauptaugenmerk auf den staatlichen Säuberungsaktionen nach 1933 und 1945 und den NSDAP- bzw. SED-gelenkten Berufsverbänden der Lehrer liegt, ist diese unterschiedliche Gewichtung durchaus gerechtfertigt.

Anhand des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums von 1933/34, des Anti-Freimaurer-Dekretes von 1935-1937 und der Nürnberger Gesetze von 1935-1937 untersucht der Autor, inwiefern die Nationalsozialisten mit ihren Säuberungsaktionen tatsächlich erfolgreich waren. Auf der Ebene der einzelnen Lehrer weist Lansing ihren Organisationsgrad in der NSDAP und dem Nationalsozialistischen Lehrerbund (NSLB) nach und kann auf diese Weise zeigen, dass die Gleichschaltungsbemühungen der Nationalsozialisten weit weniger erfolgreich waren, als bisher vielfach angenommen. Die gängige These von der gründlichen und erfolgreichen sowohl personellen als auch ideologischen Säuberung dieses Personenkreises muss angesichts der hier vorliegenden Forschungsergebnisse hinterfragt werden. So hatten die Nationalsozialisten nach der Machtübernahme mit einem akuten Lehrermangel in Brandenburg – wie auch in anderen Teilen des Landes – zu kämpfen, und den städtischen Schulpolitikern war es angesichts dieser Situation möglich, sich für die ihnen unterstellten Lehrer an höherer Stelle einzusetzen. Die Tatsache, dass die Mehrzahl der 1938 angestellten Lehrer bereits vor 1933 im Schuldienst war, wirft in diesem Zusammenhang ein erstes Licht auf Möglichkeiten und Grenzen nationalsozialistischer Herrschaft im Schulbereich.

Für die Entnazifizierungsbestrebungen der kommunistischen Machthaber kommt Lansing zu ganz ähnlichen Ergebnissen wie für die Säuberungsaktionen der NSDAP. Am 1. August 1945 wurden zunächst 83 Lehrer offiziell entlassen, da sie Mitglieder der Partei, der Sturmtruppen, der Wehrmacht oder der SS gewesen waren. Doch mit dem Ende der Entnazifizierung und dem Beginn der Sowjetisierung der Schulen in der SBZ ab 1948 lässt sich trotz aller gegenteiliger Beteuerungen der Behörden feststellen, dass immer noch weit mehr als die Hälfte der tätigen Lehrer bereits vor 1945 unterrichtet hatten, von einer umfassenden Entnazifizierung keine Rede sein konnte (S. 140-152). Denn ebenso wie die Nationalsozialisten stand auch die SED vor dem Problem eines eklatanten Lehrermangels. Und da die Ausbildung der Neulehrer nicht so erfolgreich verlief, wie gewünscht, wurden stillschweigend ehemals entlassene Pädagogen wieder eingestellt. Die Einstellung zahlreicher (neuer, aber eben auch altgedienter) Lehrer war dringend geboten, wollte man an dem erklärten Ziel einer umfassenden Beschulung der Kinder in der SBZ/DDR zu einem möglichst baldigen Zeitpunkt nach Kriegsende festhalten.

Eine wichtige Rolle in Lansings Untersuchung spielen die Berufsverbände NSLB und GLE. Von den Nationalsozialisten und Kommunisten mit ganz ähnlichen Zielen gegründet, erfüllten sie für ihre Mitglieder doch ganz unterschiedliche Funktionen. Der bereits 1927 ins Leben gerufene NSLB wurde nach der Machtergreifung sukzessive in die einzige berufliche Vertretung der Lehrer umgewandelt. Alle anderen bestehenden Berufsverbände wurden dem NSLB zwangsweise untergeordnet und eine Mitgliedschaft jedes einzelnen Lehrers ab 1939 verpflichtend. Die Hauptaufgabe des Verbandes lag nicht in der klassischen Interessenvertretung, sondern in der politischen Indoktrination und (Um-)Schulung seiner Mitglieder. Diese mussten vielfältige finanzielle Abgaben leisten, regelmäßig an den wöchentlich stattfindenden Sitzungen teilnehmen und in den Sommermonaten mindestens eine einwöchige Schulung besuchen. Verglichen mit der geringen Mobilisierungskraft des NSLB gelang es der GLE von Anfang an, sich als Fürsprecher der Pädagogen zu etablieren. Gegründet bereits am 16. Juli 1945, sollte sie nach dem Willen Paul Wandels (Chef der Verwaltung für Volksbildung in der SBZ) eigentlich der Durchsetzung der neuen politischen Linie dienen. Die Führer der GLE, in der Mehrheit altgediente Sozialdemokraten mit Gewerkschaftserfahrungen aus der Weimarer Zeit, verstanden ihre Organisation demgegenüber als echte Interessenvertretung der legitimen Ansprüche ihrer Mitglieder. In der Anfangszeit kümmerte man sich um höhere Löhne, aber auch um die Versorgung der Lehrer mit Nahrungsmitteln, Kleidung, Lehrmaterialien und Räumlichkeiten für private und berufliche Belange. Die Gewerkschaft vermittelte auch zwischen dem einzelnen Mitglied und der jeweiligen Entnazifizierungskommission über eine Fortsetzung der Tätigkeit. Trotz ihrer Sowjetisierung konnte die GLE einige ihrer Funktionen zugunsten ihrer Mitglieder und damit auch ihre Akzeptanz innerhalb der Lehrerschaft aufrecht erhalten.

Zum Abschluss seiner Studie kommt Lansing zu dem Ergebnis, dass es eine ganz spezifische Mischung von Mentalität und erprobten praktischen Verhaltensweisen war, die die politische Einstellung und die Haltung gegenüber den wechselnden Machthabern bestimmte: „a marked disengagement from and a high degree of adaptability to the major ideological developments of the period“ (S. 216). Äußerlich folgten die Lehrer den an sie gestellten Anforderungen, sie unterrichteten die veränderten Lehrpläne, wurden formal Mitglied im NSLB, nahmen mit ihren Schülern an nationalsozialistischen respektive kommunistischen Feierlichkeiten teil – doch nur die wenigsten von ihnen wurden Parteimitglieder (1954 waren nur 27 % der Brandenburger Lehrer SED-Mitglieder) oder zeichneten sich in anderer Weise durch aktive politische Teilhabe aus. Diese Haltung führte in den Beziehungen zu den kommunistischen Machthabern zu einer paradoxen Situation: Auf der einen Seite beklagten sich die Vertreter der SED über mangelnde Unterstützung durch die Lehrer, auf der anderen Seite wurden die Pädagogen nach dem 17. Juni 1953 gelobt, weil sie während der Ausschreitungen ihrer Arbeit in den Klassenzimmern weiterhin nachgegangen waren und sich nur zu einem verschwindend geringen Anteil an den Kundgebungen beteiligt hatten.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die detaillierte und differenzierte sowie gut lesbare Studie von Lansing in der Tat einige neue Erkenntnisse enthält. Der deutsche Diktaturenvergleich im Rahmen einer dergestalt empirisch gesättigten Arbeit wurde bereits mehrfach gefordert1, fehlte bislang jedoch für die Geschichte der deutschen Lehrer. Bedauerlich erscheint in diesem Zusammenhang allenfalls, dass der Autor die Diskussion der Forschungsliteratur komplett in den Endnotenapparat verbannt hat und daher die Tragweite seiner Ergebnisse an manchen Stellen nicht recht zum Ausdruck kommt. Ebenso wäre eine etwas ausführlichere Bezugnahme auf die deutsche Forschungsdiskussion insgesamt wünschenswert gewesen. Auch fehlt die Auseinandersetzung mit den Studien zu Erziehungsstaaten bzw. Erziehungsdiktaturen und den Grenzen staatlicher Indoktrination, etwa von Heinz-Elmar Tenorth, Dietrich Benner und anderen, vollständig. Sie hätte dazu beitragen können, die konkreten Ergebnisse in einen größeren Rahmen einzuordnen.2 Trotz dieser Einwände ist die vorliegende Arbeit dem interessierten Publikum uneingeschränkt zur Lektüre zu empfehlen.

Anmerkungen:
1 Günther Heydemann, Die DDR-Vergangenheit im Spiegel des NS-Regimes? Zur Theorie und Methodologie des empirischen Diktaturvergleichs, in: Internationale Schulbuchforschung 22 (2000), S. 407-416, hier S. 410; Konrad H. Jarausch, „Erziehung zur Unmündigkeit“ – Überlegungen zur Schule im NS und in der DDR, in: Franz-Josef Jelich / Stefan Goch (Hrsg.), Geschichte als Last und Chance. Festschrift für Bernd Faulenbach, Essen 2003, S. 303-314, hier S. 306.
2 Vgl. dazu etwa: Sonja Häder / Heinz-Elmar Tenorth (Hrsg.), Bildungsgeschichte einer Diktatur. Bildung und Erziehung in SBZ und DDR im historisch-gesellschaftlichen Kontext, Weinheim 1997; Heinz-Elmar Tenorth, Grenzen der Indoktrination, in: Peter Drewek u.a. (Hrsg.), Ambivalenzen der Pädagogik. Zur Bildungsgeschichte der Aufklärung und des 20. Jahrhunderts, Weinheim 1995, S. 335–350; Heinz-Elmar Tenorth, Politisierung des Schulalltags im historischen Vergleich – Grenzen von Indoktrination, in: Berlin-Brandenburgische Geschichtswerkstatt e.V. (Hrsg.), Erinnerung für die Zukunft II. Das DDR-Bildungssystem als Geschichte und Gegenwart, Ludwigsfelde-Struveshof 1997, S. 37–48; Dietrich Benner, Erziehungsstaaten. Historisch-vergleichende Analysen ihrer Denktraditionen und nationaler Gestalten, Berlin 1998.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension