M. Schmelzer: Freiheit für Wechselkurse und Kapital

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Titel
Freiheit für Wechselkurse und Kapital. Die Ursprünge neoliberaler Währungspolitik und die Mont Pèlerin Society


Autor(en)
Schmelzer, Matthias
Anzahl Seiten
256 S.
Preis
€ 19,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Martin Rempe, Berlin

Keine Frauen, keine Presse, keine Publikationen – der ursprüngliche Charakter der Mont Pèlerin Society, die aus einer von Friedrich von Hayek organisierten Tagung im gleichnamigen Ort nahe des Genfer Sees im April 1947 hervorging, ähnelte ein Stück weit einem Geheimbund einflussreicher Männer. Die Gesellschaft, der unter anderem so bekannte Ökonomen und Politiker wie Milton Friedman, Ludwig Erhard, Fritz Machlup und Luigi Einaudi angehörten, zielte in erster Linie auf eine Erneuerung des Wirtschaftsliberalismus, welcher durch den Aufstieg des Keynesianismus ins Hintertreffen geraten war. Wie einflussreich und erfolgreich dieses weithin unbekannte, da konsequent im Hintergrund agierende Netzwerk seit den 1950er-Jahren werden sollte, lässt sich in Matthias Schmelzers Studie zur Rolle der Mont Pèlerin Society bei der Durchsetzung eines globalen neoliberalen Währungssystems nachlesen.

Schmelzer erinnert daran, dass die globale Umstellung auf ein liberalisiertes Währungssystem zu Beginn der 1970er-Jahre keineswegs eine naturgegebene, gleichsam alternativlose Antwort auf technologische und ökonomische Entwicklungen war, sondern das Resultat eines langjährigen Austauschprozesses zwischen Ökonomen und politischen Entscheidungsträgern, welcher ganz wesentlich von der Mont Pèlerin Society gesteuert und befeuert wurde: "Die akademische Etablierung und die gesellschaftlich-politische Hegemonialisierung der Theorie floatender Wechselkurse", so seine zentrale These, "wurde maßgeblich vorangebracht und dominiert durch Mitglieder d[ies]es wichtigsten transnationalen Netzwerkes des aufkommenden Neoliberalismus" (S. 16).

Folglich konzentriert sich die Studie ausschließlich auf währungspolitische Diskussionen innerhalb des Netzwerks. Schmelzer folgt dabei einer klaren Struktur: Nach einem kontextbezogenen Kapitel zur Gründung der Gesellschaft und zur Funktionsweise des Bretton-Woods-Systems wendet er sich der äußerst konfliktreichen Durchsetzung der Theorie frei floatender Wechselkurse innerhalb des Netzwerkes in den 1950er- und 1960er-Jahren zu. In minutiöser Analyse zeichnet er nach, wie sich ausgehend von Milton Friedmans frühem Plädoyer für frei floatende Wechselkurse aus dem Jahre 1950 ein zäher Gesinnungswandel innerhalb der Gesellschaft vollzog: Die in den 1950er-Jahren noch vorherrschende Zielsetzung einer Rückkehr zum Goldstandard geriet mehr und mehr ins Zentrum der Kritik, ehe sich auf der Konferenz im italienischen Stresa 1965 die Theorie schwankender Wechselkurse endgültig durchsetzte. Schmelzer erklärt diesen Wandel unter anderem damit, dass diese Theorie zum einen, im Gegensatz zum Goldstandard, pragmatische Lösungen für reale politische Probleme anbieten konnte. Zum anderen habe sie aufgrund ihres innovativen Potentials insbesondere jüngeren Mitgliedern der Gesellschaft attraktive Forschungsmöglichkeiten eröffnet.

Dieser Binnenanalyse schließt sich ein Kapitel zur Verbreitung der Theorie schwankender Wechselkurse in Wissenschaft, Wirtschaft und Politik an. Schmelzer weist nach, dass es den Mitgliedern der Mont Pèlerin Society im Laufe der 1960er-Jahre gelang, auf zahlreichen internationalen Konferenzen mit akademischen Kollegen, Zentralbankchefs, Regierungsverantwortlichen und Bankern aus der Privatwirtschaft die weit verbreitete Ablehnung gegen ein System frei floatender Währungen aufzubrechen. Vor allem in der wissenschaftlichen Arena und im privaten Bankensektor fiel es Mitgliedern des neoliberalen Netzwerks ungemein leicht, neue Verbündete zu gewinnen. Schließlich macht Schmelzer deutlich, dass die Entscheidung der USA vom August 1971, zu frei schwankenden Wechselkursen überzugehen, ganz wesentlich von Beratern innerhalb der Nixon-Administration forciert wurde, die der Gesellschaft angehörten oder ihr zumindest nahestanden. Auch wenn die Argumentation in diesem Kapitel häufig einen assoziativen Charakter annimmt, da die Akteure zwar nahezu durchgehend Mitglieder der Mont Pèlerin Society waren, aber zu keiner Zeit in ihrem Auftrag handelten, behält Schmelzers Grundthese in der Zusammenschau mit dem vorhergehenden Kapitel hohe Plausibilität.

Doch nicht nur Story, These und Struktur gefallen an dieser Studie. Es gibt bislang kaum eine geschichtswissenschaftliche Arbeit, die Peter Haas' Konzept der epistemischen Gemeinschaft so konsequent und überzeugend umsetzt, wie Schmelzer dies für die Mont Pèlerin Society leistet.1 Insbesondere die Binnenanalyse der Gesellschaft dürfte die historische Forschung konzeptionell bereichern, da transnationale Netzwerke bislang überwiegend als homogene Interessengruppen verstanden und in erster Linie auf ihre Außenwirkung hin untersucht wurden.2 Darüber hinaus ist es Schmelzer gelungen, ein schwer verdauliches, teils sehr komplexes, nichtsdestotrotz hochaktuelles wirtschaftshistorisches Thema aus der verstaubten Dogmengeschichte herauszuholen und in einen breiteren wissensgeschichtlichen, politikhistorischen und zugleich transnationalen Kontext zu stellen. Eine derart betriebene Wirtschaftsgeschichte schlägt nicht nur Brücken zu anderen Teildisziplinen, sondern zwingt letztere geradezu, sich wieder verstärkt der allzu lange verpönten Ökonomie als zentralem Untersuchungsgegenstand geschichtswissenschaftlicher Forschung zuzuwenden.

Wo so viel Licht ist, fällt bekanntlich auch ein wenig Schatten: Schmelzer klärt den Leser erst nach mehr als 30 Seiten über sein Verständnis des "Neoliberalismus" auf; diese Definition wäre in der Einleitung besser aufgehoben gewesen. Manche Unterkapitel sind etwas lang geraten, und Redundanzen bleiben nicht aus. Zugleich hätte man gern mehr über die Alternativen erfahren, die angesichts der Krise des Währungssystems zu Beginn der 1970er-Jahre im keynesianischen Lager diskutiert wurden. Überhaupt bleibt die Frage, warum sich wenig Widerstand gegen den Vormarsch neoliberaler Ideen in Wissenschaft, Wirtschaft und Politik formiert hat, weitgehend ausgeklammert. Schließlich trüben kleinere formale und sprachliche Fehler mitunter das eigentliche Lesevergnügen, was allerdings nicht allein dem Autor, sondern auch dem Verlag zur Last zu legen ist. Alles in allem überwiegen jedoch eindeutig die Vorzüge der Studie, zu denen nicht zuletzt ein Glossar mit mehr als 30 Kurzbiographien der wichtigsten Mitglieder der Mont Pèlerin Society zu zählen ist.

Anmerkungen:
1 Vgl. Peter M. Haas, Introduction: Epistemic Communities and International Policy Coordination, in: International Organization 46 (1992), S. 1-36.
2 Vgl. etwa aus dem Bereich der europäischen Integrationsforschung Michael Gehler / Wolfram Kaiser / Brigitte Leucht (Hrsg.), Netzwerke im europäischen Mehrebenensystem. Von 1945 bis zur Gegenwart, Köln 2009.

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