W. Thielmann: Deutsche und englische Wissenschaftssprache im Vergleich

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Titel
Deutsche und englische Wissenschaftssprache im Vergleich. Hinführen - Verknüpfen - Benennen


Autor(en)
Thielmann, Winfried
Reihe
Wissenschaftskommunikation 3
Erschienen
Heidelberg 2009: Synchron Verlag
Anzahl Seiten
352 S.
Preis
€ 39,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Wilfried Witte, Institut für Geschichte der Medizin, Charité-Universitätsmedizin Berlin

„Die Komparatistik der Wissenschaftssprachen „steckt noch in den Kinderschuhen“ (S. 22). Der Ausgangspunkt von Thielmanns komparatistischer Monographie ist die Frage, wie in deutschen und englischen wissenschaftlichen Aufsätzen Wissen beim Leser generiert wird bzw. wie diese „das Wissen ihrer Leser bearbeiten“ (S. 44). Er führt dies aus anhand der Textart der Wissenschaftlichen Einleitung, der kausalen Verknüpfung als sprachlicher Einzelhandlung und der Benennung und sprachlichen Bearbeitung des Erkenntnisgegenstandes im Wort.

Wissenschaftliche Einleitungen im Deutschen und Englischen differieren demnach grundsätzlich. Die interne Organisation der deutschen Einleitung gründet auf gesellschaftlich eingeübtem „Musterwissen“, das vermittelt, wie die hermeneutisch strukturierte Einleitung prinzipiell geschrieben wird und zu lesen ist. Die Darstellung erscheint sprachlich sprunghaft und arbeitet sich an Begriffen determinierend ab. Sie unterliegt der Aufgabe, argumentativ die wissenschaftliche Notwendigkeit des neuen Wissens begründen zu müssen (S. 76). Dem entgegen sind die Begrifflichkeiten der englischen Wissenschaftlichen Einleitung nicht-determinierende Termini, auf denen kaum die Last der Darstellung des neuen Wissens ruht. Dieses wird vielmehr strikt linear entwickelt. Dabei kommen binnenstrukturierend vielerlei Vorab-Informationen (advance organizer) zur Anwendung, also Textelemente, die „den Leser auf Kommendes hin“ orientieren (S. 55). Im Autorenmonolog wird eine dialogisch-argumentative Situation inszeniert, die dort, wo ein „weitgehender Konsens nicht vorausgesetzt werden kann“, diesen über den common sense herzustellen hat, was wiederum die Kenntnis der common sense-fähigen Annahmen der gedachten Leserschaft voraussetzt (S. 82f.). Funktional wird auf eine Kommunikationssituation rekurriert, „in der Verstehen bereits weitgehend hergestellt ist“. Der common sense-Bezug ist solcherart beschränkt auf eine „enge community“, das heißt auf eine potentiell begrenztere Teil-Öffentlichkeit als im Deutschen (S. 86). Nach Thielmann dürfte das Inszenatorische des Verfahrens auch der Grund dafür sein, dass die angelsächsische Befassung mit englischer Wissenschaftssprache unter dem Titel „academic rhetoric“ firmiert (S. 178, 231).

Das, was in deutschen Augen an der englischen Einleitung leicht als oberflächlich erscheinen kann, ist mithin wesentlich eher das gelungene Produkt einer gut lesbaren komplexen Hinführung zum Thema. Die deutsche Einleitung hingegen erscheint in der Perspektive des englischsprachigen Betrachters – so diese denn überhaupt eingenommen wird – vorrangig als sperrig, hermetisch und belehrend. Letzteres ergibt sich schon deshalb, weil im Deutschen stets die Notwendigkeit der Untersuchung nachgewiesen werden muss, was im Englischen so nicht vorgesehen ist, da der fiktive Konsens dieses Nachweises nicht bedarf.

Im Weiteren leitet Thielmann kausale Relationen als philosophiehistorisch grundlegende Kategorien von Sprache als Handlung her. Er entlarvt die oberflächlich-lexikalische Gleichsetzung von „weil“ und „because“ im Besonderen als grundlegenden Irrtum, der soweit reicht, dass in vielen Fällen „because“ keine Entsprechung in „weil“ oder einer anderen kausalen Konjunktion im Deutschen findet. Deutsche Autoren legen mithilfe eines „weil“-Satzgefüges, häufig am Schluss platziert, „entscheidungsrelevantes Wissen“ (im Sinne einer Sprechhandlung) dar, um eine begriffliche Entwicklung zu veranschaulichen (S. 228). Der „Logik des Begriffs“ im Deutschen entspricht die „Logik des effektiven Überzeugens“ (S. 178) in der englischen Darstellungsweise, in deren Modus eine „Causa inszeniert“ wird, „die vor dem aus den wissenschaftlichen Lesern bestehenden Gerichtshof der community durchgefochten wird.“ (S. 232) Die inszenatorische Funktion eines Satzgefüges mit „because“ besteht vor allem darin, andere Wissenschaftler sowie Quellen, die „als Mitspieler der wissenschaftlichen Auseinandersetzung“ auftreten, virtuell als Zeugen der überlegenen eigenen Darstellung aufzuführen (S. 177). Thielmann nennt das den „konzeptuellen Ausgangspunkt“ des im Hauptsatz „versprachlichten Wissens“ (S. 218). Verkürzt gesagt sind „weil“-Sätze verstehensanleitend, während „because“-Sätze rückführend sind (S. 316).

Der deutsch-englische Vergleich auf Wortebene bestätigt detailliert die zuvor gemachten Feststellungen. Wo im Deutschen Determination vorherrscht, die begriffliche Eindeutigkeit herstellen soll, wird im englischen wissenschaftlichen Text seriell gearbeitet. Die Wortbestandteile bleiben tendenziell selbständig, die sprachliche Oberfläche erscheint simpel, erfordert aber eine weitaus höhere „Deutungsleistung“ (S. 284) als im Deutschen. Die Uneindeutigkeit des Begrifflichen begünstigt überdies die Kreation von Akronymen (S. 285).

Die historischen Rückbezüge der Arbeit (Geschichte der Wissenschaftssprachen, Geschichte des Kausalitätsbegriffs) sind eher knapp und instrumentell. Darüber hinaus fällt die geringe Beschäftigung mit Metaphorik auf, die nur randständig erwähnt wird (S. 273, 316). Wenn man postuliert, dass beispielsweise die US-amerikanische Wissenschaft spezifische Unterschiede im Vergleich zur britischen aufweist, könnten außerdem Erläuterungen zu denkbaren Unterschieden vom British English zum American English in der Wissenschaftssprache aufschlussreich sein. Dies ist komplett unterblieben, vielmehr ist unisono nur von „Englisch“ die Rede.

Die Probleme der „Teilnahme deutscher Wissenschaftler am angelsächsischen Wissenschaftsdiskurs“ benennt Thielmann als „aus mehreren Gründen fatal“, eine Lösung bietet er nicht an (S. 316-319). Thielmanns Arbeit legt grundlegende und entscheidende Unterschiede von deutscher und englischer Wissenschaftssprache offen. Von daher sollte dem Buch eine große Leserschaft beschieden sein. Dem steht allerdings entgegen, dass das Buch ausgesprochen fachwissenschaftlich geschrieben ist. Fachsprachliche Abkürzungen werden beispielsweise regelhaft nicht erläutert („IdS-Grammatik“, S. 97; „D-Element“, S. 113, „LOB-Korpus“, S. 161, etc.). Der volle Gehalt des Buches ist insgesamt nur für Linguisten entschlüsselbar.

Dies erklärt sich natürlich mühelos durch die Gattung des Buches: Sie ist eine Habilitationsschrift. Es ist jedoch angesichts des Umstands, dass im arg gebeutelten Deutschen immerhin die Fachgrenzen leichter überschreitbar zu sein scheinen, auffällig, dass die Arbeit, die dies ausweist, sich gänzlich der Interdisziplinarität verweigert. In diesem Sinne ist auch die Titulatur zu kritisieren. Der Titel selbst ist zwar technisch korrekt („Deutsche und englische Wissenschaftssprache im Vergleich“), der Untertitel jedoch („Hinführen – Verknüpfen – Benennen“) ist blass und irreführend und der Reihentitel „Wissenschaftskommunikation“ wird nur eingelöst, wenn damit gemeint ist, dass das Wissen der linguistisch geschulten Leser „bearbeitet“ werden soll.