B. Jacobs u.a. (Hrsg.): Der Achämenidenhof

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Titel
Der Achämenidenhof – The Achaemenid Court. Akten des 2. Internationalen Kolloquiums zum Thema „Griechische und lateinische Überlieferung und Altvorderasien“, Landgut Castelen bei Basel, 23.-25. Mai 2007


Herausgeber
Jacobs, Bruno; Rollinger, Robert
Reihe
Classica et Orientalia 2
Erschienen
Wiesbaden 2010: Harrassowitz Verlag
Anzahl Seiten
XI, 941 S.
Preis
€ 118,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Andreas Klingenberg, Historisches Institut, Universität zu Köln

Die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Hof der Achämeniden wie auch dem Persischen Reich als Ganzem sieht sich vor einige Probleme gestellt: Unser Bild der Perser wird in vielen Aspekten durch die Schilderungen griechischer Autoren bestimmt, die der Realität oft nicht gerecht werden. Diese Situation war der Ausgangspunkt für eine Serie von Konferenzen, die sich mit den in den Werken griechischer bzw. römischer Autoren konstruierten oder gespiegelten Orientbildern auseinandersetzten. Aus der im Jahr 2007 in Castelen bei Basel veranstalteten zweiten Tagung dieser Reihe zum Thema „Vorderasien im Spannungsfeld klassischer und altorientalischer Überlieferungen“ ist der vorliegende Sammelband hervorgegangen. Die Publikation der Ergebnisse der beiden anderen bislang veranstalteten Tagungen zu Ktesias und Herodot steht noch aus, wird aber offenbar demnächst erfolgen.1

Der umfangreiche Tagungsband gliedert sich in sieben Teile. Der erste Abschnitt ist der historischen Einordnung des Achämenidenhofs gewidmet. Jan Hirschbiegel legt in seinem einleitenden Beitrag (S. 13–37) die Schwierigkeit dar, den Begriff ‚Hof‘ nicht nur für die achämenidische Zeit trennscharf zu definieren. Er kann gleichwohl auf der Grundlage der reichhaltigen Forschung zu mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Höfen, bei denen die Quellenlage besser ist, einige charakteristische Eckpunkte herausarbeiten, die den ‚Hof‘ als überzeitliches Phänomen begreifen lassen und auch für den Achämenidenhof vorauszusetzen sind. Hierzu schlägt er vor, den Hof als soziales System im Sinne der Systemtheorie nach Luhmann zu erfassen. Der Hof ist demnach eine Institution, die ohne die „Mittelpunktsfigur“ (S. 21) des Herrschers nicht auskommt. Sie muss einerseits dessen Bedürfnis nach Schutz und Repräsentation genügen, andererseits erfüllt der Hof als Kommunikationsraum administrative Zwecke. Dieses Konzept wird zwar von den anderen Autoren in unterschiedlichem Maße direkt angesprochen, ihre Beiträge lassen sich aber gut in diese Betrachtungsweise einfügen.

Giovanni B. Lanfranchi, Michael Jursa und Daniel T. Potts behandeln die Höfe der neuassyrischen (S. 39–65), neubabylonischen (S. 67–99) und neuelamischen Zeit (S. 107–137). Diese Vergleichsperspektiven zeigen die Traditionslinien auf, in die der Achämenidenhof eingebettet war. Wie Alessandra Coppola (S. 139–152) herausarbeitet, war die Hofhaltung Alexanders des Großen weder rein makedonisch noch eine völlige Übernahme achämenidischer Formen. Vielmehr habe Alexander eigene Formen gefunden, die vor allem auch den Erfordernissen des Kriegszuges und der dadurch verursachten fortwährenden Mobilität unterworfen waren.

Die Behandlung des persischen Hofes in verschiedenen Quellen bzw. Quellengruppen bildet den Inhalt des zweiten großen Abschnitts. Reinhold Bichler spürt dem Perserhof in Herodots Historien nach (S. 155–187), Christopher Tuplin nimmt sich dagegen Xenophon vor (S. 189–230). Im Alten Testament fungiert der Hof der Achämeniden vielfach als Kontrastfolie für die Bewährung der Juden in der Diaspora, wie Hans-Peter Mathys darlegt (S. 231–308). Einen eigenen Beitrag zu Ktesias, der sich besonders ausführlich (und vielfach auch besonders realitätsfern) mit dem Achämenidenhof beschäftigt hat, vermisst man indes. Wie die Herausgeber eingangs bemerken (S. 5, Anm. 4), werden sich aber mehrere Beiträge im Band zur Ktesias-Tagung mit diesem Thema befassen.

Der dritte Teil besteht nur aus einem Aufsatz, nämlich Dietrich Huffs Überlegungen zum Apadana in Persepolis und dessen Funktion (S. 311–374), die er besonders mit repräsentativen Zwecken verbindet. Das architektonische Grundprinzip erwies sich in Persien als so prägend, dass es bis in die Moderne rezipiert wurde.

Eine Annäherung an verschiedene Aspekte des Geschehens am Hofe vollziehen die Beiträge des vierten Abschnitts. Dem höfischen Lebensstil und der zugehörigen materiellen Prachtentfaltung widmet sich Bruno Jacobs (S. 377–409). An der Tafel des Großkönigs offenbart sich dabei ein besonders wichtiger Aspekt, der von Erich Kistler weiter vertieft wird. Die Tischgesellschaft war Kristallisationspunkt von Hierarchien, die sich im Verhältnis (Nähe bzw. Ferne) zum Großkönig zeigten. Mit der Erteilung (oder Entziehung) von Privilegien und Gunstbeweisen nahm der König Einfluss auf die Hierarchie am Hofe. Damit honorierte er Loyalität, förderte zugleich aber auch die Konkurrenz unter den Höflingen. Dieser Effekt konnte sowohl herrschaftssichernd als auch -gefährdend sein, wie Josef Wiesehöfer veranschaulicht (S. 509–530). Die besondere Rolle des persischen Gardechefs, von der im Zusammenhang mit Herrscherwechseln berichtet wird, untersucht Arthur Keaveney und erklärt sie mit dem Fehlen eindeutiger Thronfolgeregeln (S. 499–508). Auch das Hofzeremoniell in seinen verschiedenen Facetten versinnbildlichte die politische Ordnung, wie Maria Brosius belegt (S. 459–471). Obwohl die griechischen Historiker einzelne Aspekte beschrieben, fehlte ihnen offenbar das Verständnis für die dahinterstehenden Zusammenhänge, so Brosius. Das einzig von Plutarch (Artaxerxes 3,1–2) geschilderte Krönungszeremoniell beurteilt Carsten Binder sehr skeptisch (S. 413–497); die Ungereimtheiten ließen viele Details fragwürdig erscheinen.

Die Aufsätze der fünften Sektion, in der religiöse, rechtliche und wirtschaftliche Gesichtspunkte im Mittelpunkt stehen, schließen quasi nahtlos an. Albert de Jong konstatiert in seiner Betrachtung der Religion am Hof (S. 533–558), dass der Zoroastrismus in der Achämenidenzeit weniger als normatives System zu begreifen sei, von dem die Könige geprägt wurden. Vielmehr hätten sie bei seiner Ausformung aktiv mitgewirkt. In seiner umfangreichen Quellenanalyse vergleicht Robert Rollinger die von Herodot und Ktesias geschilderten grausamen Hinrichtungs- und Bestrafungsformen der Achämeniden (S. 559–666) und kommt dabei zu dem Ergebnis, dass die Schilderungen Herodots sich prinzipiell belegen ließen, während dies für seinen historiographischen Nachfolger Ktesias weniger gelten könne; in diesem „miroir grecque“ spiegele sich vielmehr der „innergriechische Diskurs“ über griechische (demokratische) Freiheit und persische (monarchische) Unfreiheit wider (S. 619f.). Zwei weitere Aufsätze beschäftigen sich mit wirtschaftlichen Aspekten: Wouter Henkelman (S. 667–775) geht den zahlreichen Informationen über Aufwendungen am Hofe in den ‚Persepolis Fortification Tablets‘ nach und kann daraus auch Erkenntnisse über die Hofverwaltung erzielen. Caroline Waerzeggers zeigt (S. 777–813), dass die vielfach belegten Reisen von Babyloniern die persische Stadt Susa zum Ziel hatten und mit der achämenidischen Steuererhebung in Zusammenhang zu bringen sind.

Die Beiträge des sechsten Abschnittes erweitern den Blick vom Königshof auf die Satrapenhöfe. Während Matt Waters der Frage nach den Kontrollmöglichkeiten des Großkönigs im Hinblick auf das Handeln des Satrapen nachgeht und dabei auch dessen Spielräume beleuchtet (S. 817–828), analysiert Deniz Kaptan, inwieweit sich die Hofhaltung der Satrapen an der des Großkönigs orientiert (S. 829–852). Margaret Miller schließlich wendet sich dem luxuriösen Tafelgeschirr und dessen Funktion auch an den (westlichen) Satrapenhöfen zu (S. 853–897).

In einem doppelten Resümee werden die Ergebnisse aus zwei Perspektiven bilanziert, vom Blickwinkel der Alten Geschichte durch Amélie Kuhrt (S. 899–924) sowie aus mediävistischer Sicht durch Jan Hirschbiegel (S. 913–924), der darin seine in seinem Einleitungsbeitrag geäußerte Hoffnung (S. 13) aufgreift, der vorliegende Band möge auch der Hofforschung allgemein zum Nutzen gereichen. Die Forschung zum Achämenidenhof und der Achämenidenzeit als Ganzes ist jedenfalls einen erheblichen Schritt weitergekommen, auch wenn manchmal die Ergebnisse der Einzeluntersuchungen negativ ausfallen. Gerade durch die verschiedenen Herangehensweisen und Fragestellungen in den einzelnen Beiträgen kann der Band Streiflichter auf den so schwer zu greifenden Hof der Achämeniden werfen und ihn damit ein wenig fassbarer machen. Der Auftakt zu der neuen Schriftenreihe ‚Classica et Orientalia‘, die für die genannte Tagungsserie ins Leben gerufen wurde, kann daher rundweg als gelungen bezeichnet werden.

Anmerkung:
1 Josef Wiesehöfer/ Robert Rollinger/ Giovanni B. Lanfranchi (Hrsg.), Die Welt des Ktesias – Ctesias’ World (= Classica et Orientalia 1), Wiesbaden 2011 (als Erscheinungstermin ist Frühjahr 2011 angekündigt); Robert Rollinger/ Brigitte Truschnegg/ Josef Wiesehöfer (Hrsg.), Herodot und das Persische Weltreich – Herodotus and the Persian Empire (Classica et Orientalia 3), Wiesbaden 2011 (das Buch soll im Januar 2011 erscheinen).