D. Olusoga u.a.: The Kaiser’s Holocaust

Titel
The Kaiser’s Holocaust. Germany’s Forgotten Genocide and the Colonial Roots of Nazism


Autor(en)
Olusoga, David; Erichsen, Casper W.
Erschienen
London 2010: Faber & Faber
Anzahl Seiten
396 S.
Preis
€ 24,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jonas Kreienbaum, Humboldt-Universität zu Berlin

„It is amazing that previous writers have paid so little attention to this history […]“, wird Adam Hochschild auf dem Buchrücken von „The Kaiser’s Holocaust“ zitiert. Die Geschichte, um die es geht, ist die Vernichtung der Herero und Nama während des Kolonialkrieges (1904-1907) im ehemaligen deutschen „Schutzgebiet“ von Südwestafrika, dem heutigen Namibia. Dass es sich dabei um einen „forgotten genocide“ handelt, wie der Buchtitel suggeriert, kann angesichts der Vielzahl an Publikationen der letzten Jahre zu diesem Thema – deutsch wie englischsprachig – kaum mehr behauptet werden. Das Fachpublikum dürfte wenig von dem, was auf den insgesamt fast 400 Seiten ausgebreitet wird, überraschen. Ebenso wenig wird es „shocking new archival evidence“ finden, die der Verlag auf dem Klappentext ankündigt, wenn es bereits Casper W. Erichsens 2005 erschienene Studie zu den Konzentrationslagern in Namibia zur Kenntnis genommen hat.1 Allerdings scheint dieses Expertenpublikum angesichts der populärwissenschaftlichen Aufmachung des Bandes – ohne Literaturverzeichnis und mit lediglich schlankem Endnotenapparat – auch gar nicht primäre Zielgruppe des Verlages zu sein.

Die Autoren arbeiten sich zunächst durch die vorkoloniale Geschichte Namibias, den Erwerb und die Entwicklung des deutschen Kolonialreiches seit 1884 im Allgemeinen und des „Schutzgebietes“ Deutsch-Südwestafrika bis 1904 im Speziellen. Dabei wechselt der Blick zwischen Kolonie und Metropole, fängt sowohl deutsche wie afrikanische Perspektiven mit ein und flicht die Entstehung zentraler Konzepte wie die der Lebensraum-Theorie und des sozialdarwinistischen Rassismus ein.

Auf diese breit angelegte Einführung folgt in den Kapiteln acht bis zwölf die Auseinandersetzung mit dem Schwerpunktthema des Buches: dem Krieg in Deutsch-Südwestafrika, der im Januar 1904 begann. Dargestellt werden die anfänglichen Schwierigkeiten des deutschen Militärs, die Entscheidungsschlacht am Waterberg und der folgende „Vernichtungsbefehl“ des Generals Lothar von Trotha, der die Tötung bzw. Vertreibung aller Herero anordnete. Es folgen Beschreibungen des Guerillakrieges der Nama im Süden der Kolonie und der Internierung der überlebenden Herero und Nama in Konzentrationslagern. Olusoga und Erichsen sehen die Absicht zur Ausrottung – das entscheidende Kriterium, um von Genozid zu sprechen – dabei nicht allein in von Trothas „Vernichtungsbefehl“ belegt. Für die Autoren zieht sich die genozidale Intention vielmehr seit der Schlacht am Waterberg durch den gesamten Krieg, spiegelt sich in den Konzentrationslagern wider und findet sich auch beim Generalstabschef und beim Kaiser in Berlin (S. 360). Diese Thesen werden allerdings nicht mit den gegensätzlichen Auffassungen in den zahlreichen wissenschaftlichen Beiträgen zum Krieg in Südwestafrika konfrontiert. Isabel V. Hull etwa hat sehr überzeugend argumentiert, dass sich die Vernichtungsabsicht erst nach der Schlacht am Waterberg entwickelte und die Konzentrationslager, obwohl die Mortalitätsraten erschreckend waren, keinesfalls als Instrumente der Vernichtung konzipiert wurden.2 Hull steht damit in deutlichem Widerspruch zu Olusoga und Erichsen, die in dem Lager auf der südwestafrikanischen Haifischinsel vielmehr die Erfindung des „death camp“ (S. 10) sehen. Ähnlich ist eine genozidale Absicht beim Kaiser mit guten Gründen in Frage gestellt worden. Sie lässt sich kaum aus dem von den Autoren genutzten Quellenmaterial deduzieren. Insofern ist bereits der Buchtitel „The Kaiser’s Holocaust“, so griffig (und verkaufskräftig) er auch sein mag, in doppelter Hinsicht problematisch. Weder war der Kaiser die treibende Kraft hinter den Massenmorden, noch ist der Terminus „Holocaust“, der ausschließlich die Ermordung der Juden durch die Nationalsozialisten bezeichnet, passend.

Im letzten Drittel des Buches steht schließlich die stark umstrittene Frage nach möglichen Kontinuitäten zwischen Kolonialzeit und Nationalsozialismus im Fokus. Die Autoren streichen dabei die auffällige Rolle verschiedener Kolonialmilitärs in den Freikorps nach dem Ersten Weltkrieg und später in den Reihen der NSDAP heraus. Sie betonen den nachhaltigen Einfluss von Kolonialromanen sowie die wachsende Rolle von Eugenik, Lebensraum-Theorien und biologistischem Rassismus. Diese Ausführungen münden in der zentralen These, dass, „so much of what took place in German-South-West Africa at the beginning of the twentieth century horribly prefigures the events of the 1940s: […] the Herero and Nama genocides along with the Nazi vision of race war and settlement in Eastern Europe, can both be seen as aspects of a larger phenomenon: the emergence from Europe of a terrible strain of racial colonialism […]“ (S. 361). Hier gelingt Olusoga und Erichsen die ausführlichste und bis dato wohl beste Darstellung dieser Kontinuitätsthese, wenngleich viele ihrer Argumente aus den Artikeln bekannt sind, die diesen Gedanken in den letzten Jahren populär gemacht haben.3 Diese finden allerdings ebenso wenig Erwähnung wie jene Aufsätze, die sich mit der Kontinuitätsthese kritisch auseinander gesetzt haben.4

Alle hier umrissenen Kritikpunkte sind jedoch Teil eines Fachdiskurses und sollen über die große Stärke des Buches nicht hinwegtäuschen: „The Kaiser’s Holocaust“ ist ausgesprochen lebendig geschrieben und entfaltet wie keine zweite Darstellung des Kolonialkrieges in Namibia und seiner Folgen eine Sogwirkung auf Leserinnen und Leser. Einem populärwissenschaftlich interessierten Publikum werden die fachlichen Schwächen des Bandes dabei nicht auffallen. Allein die Flut an orthographischen und grammatikalischen Fehlern bei der Verwendung deutscher Namen und Schlüsselbegriffe wird auch diesem Leserkreis nicht verborgen bleiben.

Anmerkungen:
1 Casper W. Erichsen, „The Angel of Death Has Descended Violently Among Them“. Concentration Camps and Prisoner-of-War in Namibia, 1904-1908, Leiden 2005.
2 Isabel V. Hull, Absolute Destruction. Military Culture and the Practices of War in Imperial Germany, Ithaca 2005, hier S. 7-90.
3 Vor allem Jürgen Zimmerer, Krieg, KZ und Völkermord, in: Jürgen Zimmerer / Joachim Zeller (Hrsg.), Völkermord in Deutsch-Südwestafrika. Der Kolonialkrieg (1904-1908) in Namibia und seine Folgen, Berlin 2004, S. 45-63; und Benjamin Madley, From Africa to Auschwitz. How German Southwest Africa Incubated Ideas and Methods Adopted and Developed by the Nazis in Eastern Europe, in: European History Quarterly, 35 (2005), S. 429-464.
4 Robert Gerwarth / Stephan Malinowski, Der Holocaust als „kolonialer Genozid“? Europäische Kolonialgewalt und nationalsozialistischer Vernichtungskrieg, in: Geschichte und Gesellschaft, 33 (2007), S. 439-466; Birthe Kundrus, Von den Herero zum Holocaust? Einige Bemerkungen zur aktuellen Debatte, in: Mittelweg 36, 14 (2005), S. 82-92.