Cover
Titel
"Wenn Hamburg brennt, brennt die Welt". Der kommunistische Griff nach der Macht im Oktober 1923


Autor(en)
Paschen, Joachim
Erschienen
Frankfurt am Main 2010: Peter Lang/Frankfurt am Main
Anzahl Seiten
265 S.
Preis
€ 29,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Kurt Schilde, Siegen/Potsdam

"Ihr Wettkampf um die Macht war der Zündfunke des Hamburger Aufstandes" (S. 237). Mit den Rivalitäten zwischen dem politischen Sekretär des KPD-Bezirks Wasserkante Hugo Urbahns und dem Fraktionsvorsitzenden der KPD in der Hamburger Bürgerschaft Ernst Thälmann um die Führung der kommunistischen Bewegung in Hamburg erklärt Joachim Paschen den "Hamburger Aufstand" vom Oktober 1923. Um zu diesem "Resultat" zu kommen, benötigte er zunächst zwei ausführliche Darstellungen zu den Vorbereitungen und zur Entscheidung. Nach 120 Seiten geht es dann in einer Art Reportage um die Darstellung der Ereignisse an den drei Tagen vom 23. bis 25. Oktober in Hamburg. In einem Nachspann folgen die juristische Aufarbeitung und abschließend die Lehren aus dem Hamburger Aufstand, die in den eingangs zitierten Satz münden. Das von der "Revolution in weiblicher Gestalt" – gemeint war hier Ketty Guttmann, eine "36-jährige Witwe im feschen Kostüm und mit [...] kurzen Haaren" (S. 28) – stammende Titelzitat wird öfter wiederholt. Paschen ist – nach Verlagsangaben – ein im Ruhestand befindlicher promovierter Historiker, der zahlreiche Bücher zur Geschichte von Hamburg und zuletzt über die dortige "Revolution" verfasst hat.1

Die Ereignisse wurden mit Hilfe von Artikeln aus Zeitungen und Zeitschriften, Unterlagen des Bundesarchivs und aus dem Staatsarchiv Hamburg rekonstruiert. Des Weiteren hat der Autor Protokolle von Parteitagen und Kongressen der SPD und KPD sowie der Kommunistischen Internationalen, stenographische Berichte der Hamburgischen Bürgerschaft, Sitzungsprotokolle des Reichstags, Dokumentensammlungen, zeitgenössische Veröffentlichungen, Lebenserinnerungen sowie Sekundärliteratur herangezogen. Darunter befinden sich über zwanzig zwischen 1923 und heute entstandene Texte propagandistischer und wissenschaftlicher Art.2

Aus diesem Konvolut hat Paschen eine Mischung von Reportage und Anklageschrift hergestellt, um einen "Einblick in das Innenleben der kommunistischen Partei in Hamburg" (S. 45) zu geben. Als eine Besonderheit sei auf Paschens verwirrende Art der Verdichtung von Zitaten hingewiesen: "Die gesamte Darstellung des Hamburger Aufstands kann und soll sich der Dramatik der Ereignisse nicht entziehen. Dazu passt es, dass die handelnden Personen – wo immer es geht – selber zu Worte kommen. Wortwörtlich übernommene Zitate sind wie üblich in Anführungszeichen gesetzt. Wenn das Zitat verdichtet, verkürzt oder sinngemäß verändert wiedergegeben wird, erscheint es kursiv; dabei gilt grundsätzlich, dass niemandem ein Wort untergeschoben wird, das er nicht gesagt oder geschrieben hat" (S. 12). Das können leider Leser und Leserinnen nicht ohne großen Aufwand überprüfen. Sie können es glauben – oder auch nicht. Dies gilt ebenso für die nicht immer eindeutig gekennzeichnete Herkunft der Informationen.

Der dritte Teil besteht aus einer akribischen Chronologie der Straßenkämpfe zwischen dem 23. und 25. Oktober 1923 in einer Art Kriegs- bzw. Frontberichterstattung. Mit dieser Darstellungsform sollen die Leser und Leserinnen an den dramatischen Ereignissen teilnehmen können, etwa den fast immer erfolgreichen Erstürmungen der Hamburger Polizeireviere, ausgehend vom Stadtrand in Richtung Innenstadt mit mehreren Toten und zahlreichen Verletzten auf beiden Seiten. Dem Aufstand folgte sofort die polizeiliche Rückeroberung mit Hilfe militärischer Strategien bis zur Niederschlagung. Besondere Aufmerksamkeit widmete Paschen dem Kampf um Eimsbüttel und in Barmbek sowie der "Räterepublik Schiffbek".

Aufgrund der Quellen kann Paschen – was die polizeiliche Seite des Kampfes anbelangt – mit vielen Details dienen: welche Hauptwachtmeister usw. wurden wo und wann erschossen und welche Straßenkreuzung wurde mit welchem Panzerwagen besetzt. Eine interessantere Seite der Beschreibung bildet die festgestellte Beteiligung der Bevölkerung, zum Beispiel beim Barrikadenbau in Barmbek: "Das geht nur, wenn alle in den Straßen mithelfen, Frauen, Jugendliche, Kinder, und mit Feuereifer dabei sind, Straßenlaternen und Straßenbahnmasten umzulegen, Sitzbänke und andere Möbelstücke aufeinanderzutürmen, Haustüren auszuhängen, Fahrzeuge aller Art zusammenzuschieben" (S. 143).

Unmittelbar nach dem Ende der Kämpfe folgten zahlreiche Prozesse vor einem Außerordentlichen Gericht, die nach 40 Tagen eingestellt und vor den Strafkammern der ordentlichen Gerichte fortgesetzt wurden. Die anfänglichen Sondergerichtsverfahren endeten mit Strafen, zum Beispiel bei Plünderungen, zu zehn Monaten Gefängnis oder auch mit Todesstrafen wegen Hochverrats oder Festungshaft. In der Regel folgten anschließend Gnadenerlasse und Amnestierungen. Die beiden eingangs erwähnten Führer der Hamburger KPD beispielsweise wurden mit Haftbefehl gesucht. Aber nur Urbahns wurde, zusammen mit anderen Angeklagten, 1925 zu zehn Jahren Festungshaft verurteilt. Nach seiner kurz darauf erfolgten Wahl in den Reichstag erlangte er – wie der in der ganzen Zeit untergetauchte Thälmann – Immunität als Abgeordneter. Im Jahr darauf wurde er aus der KPD ausgeschlossen.

Die Zahl der Opfer des Hamburger Aufstandes ist nur auf Seiten der Polizei gesichert: 17 Polizisten mussten ihr Leben lassen. Meldungen aus Krankenhäusern legen eine Totenzahl von insgesamt 60 nahe. „Unklar ist, wie viele davon an den Kämpfen aktiv beteiligt waren und wie viele von verirrten Kugeln getroffen wurden“ (S. 174). Ob die 17 toten Polizisten noch dazu gezählt werden müssen, wird nicht gesagt. Wie eine in der Einleitung genannte Zahl von hundert Menschen zustande gekommen ist, die ihr Leben verloren haben sollen, wird ebenfalls nicht geklärt.

Paschens Beschreibung des Hamburger Aufstandes als politisches Regionaldrama ist reichhaltig illustriert, wenngleich die Qualität der Abbildungen in der Regel zu wünschen übrig lässt. Der Anhang enthält eine chronologische Übersicht und ein Personenregister. Zusammenfassend lässt sich über das "Ergebnis einer anderthalbjährigen Arbeit" (S. 7) sagen: Herausgekommen ist eine um Akribie und populäre Darstellung bemühte – nicht durchgehend seriöse – historische Beschreibung eines antikommunistischen Historikers. Dementsprechend kritisiert er zum Beispiel die Aussage des damaligen Reichskanzlers Josef Wirth "Der Feind steht rechts" und will mit seiner Publikation dagegen setzen: "Der Feind steht links" – als wenn die Geschichte der Weimarer Republik so einfach zu verstehen wäre.

Anmerkungen:
1 Joachim Paschen, "Frieden, Freiheit, Brot!" Die Revolution 1918/19 in Hamburg, Hamburg 2008.
2 Hinzuweisen ist vor allem auf die sehr informative aus russischen Archivbeständen erarbeitete Dokumentation von Bernhard H. Bayerlein u.a. (Hrsg.), Deutscher Oktober 1923. Ein Revolutionsplan und sein Scheitern, Berlin 2003.

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