F. Fuchs (Hrsg.): Medizin, Jurisprudenz und Humanismus in Nürnberg

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Titel
Medizin, Jurisprudenz und Humanismus in Nürnberg um 1500. Akten der gemeinsam mit dem Verein für Geschichte der Stadt Nürnberg, dem Stadtarchiv Nürnberg und dem Bildungszentrum der Stadt Nürnberg am 10./ 11. November 2006 und 7./ 8. November 2008 in Nürnberg veranstalteten Symposien


Herausgeber
Fuchs, Franz
Reihe
Pirckheimer Jahrbuch für Renaissance- und Humanismusforschung 24
Erschienen
Wiesbaden 2010: Harrassowitz Verlag
Anzahl Seiten
410 S., 17 Abb.
Preis
€ 60,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Marek Wejwoda, Sächsische Landesgeschichte, Historisches Seminar der Universität Leipzig

Dass es gerade Vertreter der scienciae lucrativae der Höheren Fakultäten waren, Juristen und Mediziner also, die eine besondere Affinität zu den philosophisch-philologischen (und insofern eigentlich artistischen) studia humanitatis entwickelt haben, ist nicht neu und gehört geradezu zu den Grundtatsachen der Humanismusforschung. Insbesondere Einzelstudien über Juristen des Spätmittelalters behandeln regelmäßig auch die humanistischen Interessen ihres jeweiligen Protagonisten oder führen die Doppel-Charakterisierung als „Jurist und Humanist“ gar im Titel. Es ist insofern nur konsequent, wenn gerade die Willibald-Pirckheimer-Gesellschaft für Renaissance- und Humanismusforschung diesen Konnex, auf den sie gewissermaßen schon in ihrem Namen verweist, in den Jahren 2006 und 2008 auf zwei Tagungen thematisiert hat. Die Tagungsakten sind nun im jüngsten Band des Jahrbuches der Gesellschaft erschienen und sollen im Folgenden vorgestellt werden. Ein Leitkonzept ist zwar nicht explizit formuliert, dennoch fokussieren die insgesamt elf Beiträge zumeist mehr oder weniger deutlich die Frage, wie sich die Diffusion des Humanismus am Übergang vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit in Medizin und Jurisprudenz ausgewirkt hat.

Dieses Problem wird auf verschiedene Weise behandelt. Mehrere Autoren bieten Einzelfallstudien über prominente Juristen und Mediziner und hier insbesondere über verschiedenartige „fachliche“ Auswirkungen und Funktionen der Humanismusrezeption dieser Gelehrten. So widmet sich Bernhard Schnell den medizinischen Handschriften in der Bibliothek Hartmann Schedels (S. 11–45), die schon an sich, als größte mittelalterliche Privatsammlung im Reich, deutlich von den humanistischen Interessen des „bibliophagen“ Sammlers geprägt ist. Diese humanistische Prägung spiegelt sich aber – wie Schnell im Einzelnen herausarbeitet – auch im medizinischen Segment wider, das zu großen Teilen auf Schedels Medizinstudium in Padua (1463–1466) zurückgeht. Mit zahlreichen chirurgischen Texten, medizinischen Consilia und Rezepten ist es stark von der damaligen Praxisorientierung der italienischen Medizin beeinflusst, die sich von den scholastischen Autoritäten zu lösen und der eigenen Erfahrung zu vertrauen begann. Auch die Vielzahl der Illustrationen in den erhaltenen Handschriften interpretiert Schnell als einen Ausdruck von Schedels humanistischer Bibliophilie.

Ganz ähnliche Spuren des geistesgeschichtlichen Umbruchs findet René Hurtienne in einem ganz anderen heuristischen Zugriff, nämlich in den insgesamt nicht sehr zahlreichen medizinischen Notizen in dem berühmten Bericht, den der Nürnberger Arzt und Humanist Hieronymus Müntzer über seine Santiago-Reise 1494/95 verfasst hat (S. 47–69). In Müntzers genauen, eigene Erfahrungen formulierenden Beschreibungen, etwa von medizinischen Einrichtungen oder von Gesprächen mit Fachkollegen, enthüllt sich demnach „ein schon fast neuzeitlich anmutender Forschergeist, der sich durchaus nicht auf Lektüre zurückzog, sondern ausprobierte, empirisch arbeitete“ (S. 62), mithin eine Haltung, die zum Kern des humanistischen Programms gehört. In die gleiche Richtung weist nach Hurtienne auch der Befund, dass Müntzer keinerlei Verbindungen zwischen Heilkunst und religiösen Praktiken herstellte, was als ein Beleg für „humanistische Frömmigkeit“ (S. 69) zu deuten sei.

Dass in einem juristischen Fachumfeld freilich durchaus andere Aspekte humanistischer Bildung von Bedeutung sein konnten, zeigen entsprechende Einzelfallstudien von Georg Strack, Helga Scheible und Uta Goerlitz. Dabei arbeitet Goerlitz – aus textwissenschaftlicher Perspektive und gegen traditionelle rechtshistorische Deutungen – vor allem den bewusst differenzierten und zielsicheren Einsatz von humanistischer Latinität und Volkssprache in Peutingers Stellungnahmen zur zeitgenössischen Monopoldebatte heraus, eine herausragende Fähigkeit des gelehrten, rhetorisch versierten uomo universale der Renaissance, der seine Gutachten virtuos im Hinblick auf den jeweiligen (gelehrt-akademischen oder ungelehrt-politischen) Adressatenkreis zu formulieren verstand und seine Argumentationen auf die jeweiligen Diskurse abstellte (S. 369–398). Georg Strack zeichnet am Beispiel des Thomas Pirckheimer den Weg von der Aneignung humanistischer Latinität zum gezielten und effektiven Einsatz entsprechender Rhetorik in den Gesandtschaftsreden des Juristen nach (S. 315–338). Durchaus bemerkenswert ist, dass Willibald Pirckheimer von Helga Scheible nicht so sehr mit seinen bekannten humanistischen Interessen, sondern – auf der Grundlage von circa 30 Parteischriften und zehn Gutachten – vor allem als praktizierender Jurist präsentiert wird, handelt es sich bei der juristischen Praxis doch um ein für deutsche Juristen des Mittelalters bisher stark unterbelichtetes Tätigkeitsfeld. Auch hier zeigt sich freilich, dass der Humanist die rhetorischen Mittel der klassischen Gerichtsrede beherrschte und sie im Bedarfsfall gezielt einzusetzen wusste (S. 339–367).

Die übrigen Beiträge nähern sich dem Thema auf anderem Wege. Melanie Bauer untersucht mit prosopographischen Mitteln Herkunft, Studium und Karrieremuster der 13 Nürnberger Mediziner, die in Padua studiert haben (S. 71–90) und hebt (wie Schnell) die humanistisch geprägte, kritisch-empirische Ausrichtung der italienischen Medizin hervor, die ebenso die Attraktivität eines Studiums in Padua wie den Erfolg der Absolventen begründete, die ihrerseits zur Ausbreitung des neuen Bildungsideals beitrugen. Eine auf den ersten Blick institutionengeschichtliche Perspektive wählt der Aufsatz von Arno Mentzel-Reuters über die „Medizin in der Frühzeit der Universität Tübingen“ (S. 91–127). Mentzel hinterfragt die Verdikte, die Leonhard Fuchs, der erste lutherische Dekan der Tübinger Mediziner, im Jahre 1535 über seine Vorgänger formuliert hat und die bisher auch das Bild der Geschichtswissenschaft dominiert haben, würdigt Person und Tätigkeit des von Fuchs heftig angegriffenen, bedeutendsten älteren Tübinger Mediziners Johannes Widmann (circa 1440–1524) und kann die Anfänge jener „modernen“ Praxisorientierung der Tübinger Medizin schon in das späte 15. Jahrhundert datieren; ein gelungener Beitrag auch zur Kritik der bekannten pauschalen humanistischen und protestantischen Negativurteile über „Mittelalter“ und „Vorreformation“ überhaupt. Peter Zahn zeigt, wie humanistische Bildung formal und inhaltlich in die Grab- und Gedenkschriften der Nürnberger Ärzte des 15. bis 17. Jahrhunderts eindringt (S. 145–195), wenn auch erst seit der Mitte des 16. Jahrhunderts in voller Entfaltung. Michael Stolberg und Eberhard Isenmann schließlich erörtern – jenseits einer dezidiert humanismusgeschichtlichen Fragestellung – allgemeinere Aspekte von Modernität in mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Medizin und Jurisprudenz. Stolberg erläutert die Prinzipien der Harnschau (S. 129–143), jedoch auch die zunehmende fachliche, empirisch begründete Kritik an dieser zentralen diagnostischen Methode der mittelalterlichen Medizin. Anregend ist insbesondere, wie die Harnschau hier gewissermaßen auch als soziale Praxis gedeutet wird, die in der Interaktion zwischen Ärzten und Patienten den Anspruch auf einen privilegierten Zugang zum Körperinneren belegte, daher zum zentralen Ausweis ärztlicher Kompetenz avancierte und deswegen erstaunliche Beharrungskraft entfaltete.

Eberhard Isenmann (S. 241–314) behandelt die Frage, inwiefern es im Spätmittelalter Juristen gegeben habe, die als „liberal“ gelten können, in dem Sinne, dass sie mit ihren Argumentationen „weitgehende Freiheitsräume des Einzelnen zugunsten einer autonomen Selbstgestaltung privatrechtlicher Lebensbereiche gegenüber Eingriffen von Obrigkeit und Staat“ (S. 241) sicherten, und findet – wenn auch vorsichtig formuliert – durchaus Hinweise auf eine so verstandene „Rechtsstaatlichkeit“, die in den gelehrten Rechten angelegt war und von Rechtsgelehrten im Einzelfall auch herausgestellt wurde.

Abgerundet wird der Band, insbesondere in seinem juristischen Teil, durch die Ausführungen des ehemaligen Nürnberger Stadtrechtsdirektors Hartmut Frommer über „Nürnberger Recht um 1500“ (S. 199–239). Hier wird einerseits ein facettenreiches Panorama der bewusst gestalteten Rechtsordnung und Administration der Reichsstadt entfaltet. Andererseits betont Frommer die hohe Bedeutung dieser von ihm als vorbildlich gekennzeichneten Nürnberger Verfassung in der Geschichte des peinlichen und des gemeinen Rechts sowie der Polizeiordnungen in Deutschland, ja für die Entwicklung des modernen Staates. Zwar mag diese im Grunde sicher berechtigte, aber vielleicht doch etwas euphorisch formulierte Auffassung auch der Nürnberger Lokalisierung der beiden Tagungen geschuldet sein, so wie die Reichsstadt ja überhaupt im Zentrum der Beiträge des Bandes steht. Dass hier über Nürnberg hinaus ganz allgemein wichtige Einsichten über das Verhältnis von Humanismus, Medizin und Jurisprudenz formuliert worden sind, steht freilich außer Frage. Zu hoffen ist, dass davon auch die eine oder andere weiterführende Anregung für die künftige Forschung ausgeht.

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