U. Baron: Kalter Krieg und heißer Frieden

Cover
Titel
Kalter Krieg und heißer Frieden. Der Einfluss der SED und ihrer westdeutschen Verbündeten auf die Partei 'Die Grünen'


Autor(en)
Baron, Udo
Reihe
Diktatur und Widerstand 3
Erschienen
Münster 2003: LIT Verlag
Anzahl Seiten
XII, 294 S.
Preis
€ 40,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Hubertus Knabe, Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen

„Ich bin von Moskau ferngesteuert“ - mit diesem Spruch pflegten Friedensbewegte in der alten Bundesrepublik Anfang der 1980er-Jahre ihre Autos zu zieren, um den von konservativen Kreisen und den Verfassungsschutzämtern erhobenen Vorwurf ins Lächerliche zu ziehen, dass die damaligen Proteste gegen die NATO-Nachrüstung von der Sowjetunion inspiriert und organisiert würden. So absurd es schien, dass ein klappriger VW-Käfer in Köln von einer Zentrale in Moskau ferngelenkt würde, so unwahrscheinlich kam es den meisten vor, dass die massenhaften Aktionen gegen die Pershing-Raketen im Kreml geplant sein sollten.

Erst nach dem Untergang des Sowjetreiches wurden Belege dafür gefunden, dass der frühere Ostblock seit Ende der 1970er-Jahre tatsächlich keine Mühen scheute, die damaligen Proteste gegen die geplante Raketenstationierung im Westen anzuheizen. In seinen Erinnerungen gab beispielsweise der ehemalige Spionagechef der DDR, Markus Wolf, zu Protokoll, die prominente Initiative „Generäle für den Frieden“ sei von einem Inoffiziellen Mitarbeiter (IM) gelenkt und von der Hauptverwaltung A (HVA) mit 100.000 DM pro Jahr unterstützt worden. Und im Parteiarchiv der SED fanden sich Unterlagen, nach denen die Deutsche Friedensunion (DFU), die die Unterschriftensammlung unter den „Krefelder Appell“ organisiert hatte, von der DDR mit jährlich knapp fünf Millionen DM finanziert wurde. In einem Stasi-Dokument fand sich gar die Festlegung, dass IM der HVA beim SPD-Parteitag im April 1982 „Initiativanträge“ gegen die NATO-Nachrüstung einbringen sollten.

Diese bereits in den 1990er-Jahren bekannt gewordenen Fakten hatten bald heftige Dementis zur Folge. Wissenschaftler, die häufig selber in der Friedens- oder Studentenbewegung aktiv gewesen waren, wiesen die Vorstellung einer politischen Unterwanderung bundesdeutscher Protestbewegungen entschieden zurück. Da sie sich selbst keiner Fremdsteuerung bewusst waren, leugneten sie gleich alle Formen externer Einflussnahme. Allein die Fragestellung stößt noch heute auf allergische Reaktionen.

Vor diesem Hintergrund ist es ein besonderes Verdienst des angesehenen Forschungsverbundes SED-Staat an der Freien Universität Berlin, dass er den östlichen Einwirkungen auf die alte Bundesrepublik in seiner Schriftenreihe „Diktatur und Widerstand“ einen eigenen Band gewidmet hat. Anders als es der Untertitel suggeriert, untersucht Udo Baron darin nicht nur den Einfluss der SED auf die Partei Die Grünen, sondern analysiert ein breiteres Spektrum an Gruppierungen, die damals gegen die NATO-Nachrüstung protestierten. Nach einer allgemeinen Darstellung des „Friedenskampfes“ als Teil kommunistischer Bündnisstrategie beschreibt er die Friedensaktivitäten von DFU, Krefelder Initiative und Komitee für Frieden, Abrüstung und Zusammenarbeit (KOFAZ), deren Akten er neben Unterlagen der SED und des Staatssicherheitsdienstes auswerten konnte. Er kommt zu dem Ergebnis, dass diese Organisationen materiell, personell und ideologisch eng mit der DDR und der Sowjetunion verknüpft waren, es aber nicht gelungen sei, auch die Grünen in das Netzwerk kommunistischer Bündnisorganisationen zu integrieren.

Mit dieser Feststellung bestätigt Baron, was viele Zeitgenossen schon in den 1980er-Jahren wahrgenommen hatten. Unübersehbar war, wie eng bestimmte Friedensorganisationen mit der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) verbunden waren, die für den SED-Kritiker Rudolf Bahro damals „die Agentur des anderen Blocks in unserer Bewegung“ bildete. Mit einer wirksamen politischen Rhetorik, abgestimmt agierenden Kadern und dem nötigen Sitzfleisch auf den oft langen Zusammenkünften gelang es ihnen vielfach, von den sowjetischen Rüstungsanstrengungen und der Unterdrückung unabhängiger Friedensgruppen im Ostblock abzulenken. Erst die Stabilisierung der Grünen und ihr Konzept einer blockübergreifenden Friedensbewegung eröffneten eine neue politische Perspektive.

In dem so beschriebenen Ergebnis von Barons Arbeit, mit der er 2002 an der Technischen Universität Chemnitz promoviert wurde, liegt aber auch deren Schwäche. Die Lektüre hinterlässt das Gefühl, das Aufgeschriebene eigentlich schon gewusst zu haben. Statt die Linien der Einflussnahmen genauer nachzuzeichnen und deren politische Wirkungen zu analysieren, verläuft sich die Darstellung über weite Strecken in einer wenig interessanten Organisations- und Ideologiegeschichte der untersuchten Gruppierungen. Bekannt gewordene Agenten des Staatssicherheitsdienstes wie die grüne Europaabgeordnete Brigitte Heinrich oder der Westberliner IM „Zeitz“, der schon in der 1968er-Bewegung für die Stasi operierte und später Funktionär der Alternativen Liste wurde, werden nur kurz erwähnt, ohne ihr politisches Wirken näher zu beleuchten. Wie der Staatssicherheitsdienst den Befehl Erich Mielkes letztlich umgesetzt hat, „die Wirksamkeit der westlichen Friedensbewegung weiter zu erhöhen“, bleibt deshalb ebenso undeutlich wie die demselben Ziel dienende konspirative Tätigkeit des SED-Parteiapparates. Manche Rezensenten sahen in dieser Schwäche des Buches bereits dankbar die Bestätigung ihrer Auffassung, „dass Belege für geheimdienstliche Einflussnahmen dünn gesät“ seien (FAZ vom 4.3.2004).

Wenigstens zum Teil liegt dieser Mangel des Buches an der bis heute eingeschränkten Quellenlage. So kann Baron zwar nachweisen, dass zwei KOFAZ-Mitarbeiter über eine Scheinanstellung beim Kölner Pahl-Rugenstein-Verlag praktisch als Berufsrevolutionäre fungierten, doch wie viele IM der Staatssicherheitsdienst in der westdeutschen Friedensbewegung hatte, ist aufgrund einer unverständlichen Geheimhaltungspolitik bis heute unbekannt. So lange die so genannten Rosenholz-Dateien mit den Stasi-Mitarbeitern der HVA für die Forschung gesperrt sind, ist es praktisch unmöglich festzustellen, wer zum Beispiel bei dem erwähnten SPD-Parteitag im April 1982 im Auftrag des DDR-Staatssicherheitsdienstes wie aktiv wurde. Genauso wenig kann das Personal des zentralen Koordinierungsausschusses der Friedensbewegung überprüft werden, in dem ausweislich früherer Abschriften der Rosenholz-Dateien zum Beispiel eine Inoffizielle Stasi-Mitarbeiterin mit dem Decknamen „Hilde“ vertreten war. Barons Buch zeigt deshalb vor allem eines: Dass die konspirativen Einwirkungen auf die westdeutsche Friedensbewegung den Akten des KOFAZ nicht zu entnehmen sind – was angesichts der politischen und strafrechtlichen Risiken, die für die Ausführenden damit verbunden waren, auch nicht verwundern kann.

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