F. Bauer u.a.: Bruno Kreisky in Ost-Berlin 1978

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Titel
Bruno Kreisky in Ost-Berlin 1978. Ein Besuch der besonderen Art


Autor(en)
Bauer, Friedrich; Seewald, Enrico
Reihe
Bruno Kreisky International Studies 7
Erschienen
Innsbruck 2011: StudienVerlag
Anzahl Seiten
128 S.
Preis
€ 19,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Hans-Georg Golz, Historiker und Politikwissenschaftler, Bonn

Im Frühjahr 1978 besuchte der österreichische Bundeskanzler Bruno Kreisky als erster westlicher Regierungschef die DDR. Die knappe Studie skizziert Vorbereitung, Verlauf und Ergebnisse dieses „Besuchs der besonderen Art“. Die luzide Untersuchung beruht auf österreichischen und ostdeutschen Regierungsakten. Enrico Seewald, Historiker und Politikwissenschaftler beim Forschungsverbund SED-Staat der Freien Universität Berlin, und der Zeitzeuge Friedrich Bauer, Botschafter in beiden deutschen Staaten, präsentieren ein interessantes Fallbeispiel, das zu weiteren Forschungen einlädt.

Die fehlende demokratische Legitimation, das betont Seewald zu Recht gleich zu Beginn (S. 13), versuchte der ostdeutsche Staat durch angestrengte Versuche zu kompensieren, internationale bzw. „völkerrechtliche“ Anerkennung insbesondere im Westen zu erreichen. Dabei war man stets bemüht, etwa bei der Auswärtigen Kulturpolitik (in DDR-Diktion: „Auslandsinformation“) durch weitgehende Abschottung unerwünschten westlichen Einfluss zu vermeiden oder zumindest zu kanalisieren.

Die Bemühungen der DDR in der Nichtanerkennungsphase, durch „gesellschaftliche Organisationen“ und durch Aktivitäten der Kammer für Außenhandel (seit 1954 existierte eine Vertretung in Wien) dem Nichtverhältnis einen offiziellen Anstrich zu verleihen, können in dieser Studie leider nur angedeutet werden. Das gilt auch für andere nicht- oder semistaatliche Bemühungen, etwa für die Arbeit der Freundschaftsgesellschaften unter dem Dach der Liga für Völkerfreundschaft. Ebenso wenig wird problematisiert, dass Ost-Berlin mit Aufnahme der diplomatischen Beziehungen allein auf offizielle politische Kontakte setzte, um die Beziehungen zu gestalten. Prestigeträchtige Staatsbesuche standen fortan auf der Wunschliste ganz oben.

Unmittelbar nach Abschluss des Grundlagenvertrags zwischen den „beiden Staaten in Deutschland“, wie Brandt es formuliert hatte, erfolgte mit Wirkung vom 21. Dezember 1972 die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der DDR und Österreich. Kreisky war bemüht, die Visite in den Kontext der innerdeutschen Beziehungen zu stellen, und suchte in der Vor- und Nachbereitung die enge Abstimmung mit seinem Freund Willy Brandt und dem deutschen Bundeskanzler Helmut Schmidt. Auch für das österreichische Verhältnis zur DDR galt: Die bilateralen Beziehungen bewegten sich stets im Schatten des Verhältnisses von Ost-Berlin zu Bonn.

Vorteilhaft für die österreichisch-ostdeutschen Beziehungen war der Umstand, dass man dieselbe Sprache verwendete. Besonders wichtig nahm Kreisky die DDR indes nie. Schon bei Kreiskys Ankunft in Berlin-Schönefeld trat zudem ein Mentalitätsproblem zutage, das auch aus anderen Begegnungen von DDR-Funktionären mit „Westlern“ bekannt ist. Als sich die Ehrenformation der NVA im Stechschritt dem Bundeskanzler näherte, so erinnert sich Heinz Fischer, heute österreichischer Bundespräsident, habe Kreisky gebrummt: „Na, des fongt ja schön on“ (S. 8). Kreisky, ein „Zivilist par excellence“, wie es im Wiener „Kurier“ hieß, bat bei der Abreise seinen Gastgeber Willi Stoph, beim nächsten Mal auf militärisches Gepränge zu verzichten; man wolle sich doch treffen, „ohne daß Soldaten ausrücken müssen“ (S. 41).

Akribisch hatten sich die Gastgeber auf diesen Staatsbesuch vorbereitet, bei dem Kreisky den Orden „Großer Stern der Völkerfreundschaft“ erhalten sollte. In einer Vorlage für das Politbüro, die Außenminister Oskar Fischer im Februar 1978 Stoph übermittelte, hieß es: „[Kreisky] raucht nicht, trinkt nur mäßig Bier, tagsüber sehr viel Mineralwasser, sonst niederösterreichischen Weißwein […]; gegen strenges Protokoll; gilt als arbeitsamer Mensch […]. Militanter Antikommunist, lehnt eine Zusammenarbeit von Sozialdemokraten und Kommunisten prinzipiell ab.“ Und, besonders gefährlich: Kreisky „wertet die Lösung humanitärer Fragen als einen Gradmesser der Beziehungen“ (S. 28). Das musste die Staatssicherheit auf den Plan rufen, die aus Furcht vor öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten Übersiedlungswilliger die Visite mit einem „Maßnahmeplan zur politisch-operativen Sicherung“ begleitete. Von der „Demonstrativhandlung“ zweier DDR-Bürger vor dem Palast der Republik am 31. März 1978 dürfte Kreisky indes nichts mitbekommen haben. Ob die Sicherungsmaßnahmen über das bei Staatsbesuchen aus dem Westen Übliche hinausgingen, ist nicht anzunehmen.

Kreiskys zuweilen barocke Hemdsärmeligkeit stürzte seine Gastgeber von einer Verlegenheit in die andere. Als es am Abend nach dem Festakt im Gebäude des Ministerrats beim Pressegespräch in der Residenz Verpflegungsengpässe für die versammelten Journalisten gab, griff Kreisky zum Telefon, ignorierte das Bedauern der Protokollverantwortlichen und orderte kalte Platten; er könne sich nicht vorstellen, so die Erinnerung der FAZ-Korrespondentin Hanni Konitzer, dass die Küche im mondänen Gästehaus der DDR bereits geschlossen habe (S. 35). Bei der abschließenden internationalen Pressekonferenz am Morgen der Abreise am 1. April beantwortete er die unterwürfigen Fragen der DDR-Journalisten mit humorvollen Nadelstichen und feinem Spott, bevor er ausführlich auf den ARD-Korrespondenten Fritz Pleitgen einging: „Ich halte es für einen großen Erfolg, dass die Frage der Menschenrechte zu einer Kategorie der Politik wird.“ (S. 42)

Die politische Bewertung des Besuches war in Wien, Ost-Berlin und auch Bonn nahezu einhellig positiv. Der Entspannungsprozess sei vertieft worden. Ost-Berlin hoffte, dass durch solche Visiten die Isolation der DDR im Westen nachhaltig beendet werden könne. In der Folgezeit wurden Abkommen zur wissenschaftlichen und kulturellen Zusammenarbeit abgeschlossen, die auch mit Leben gefüllt wurden. Erich Honecker besuchte im November 1980 Österreich, und Bundespräsident Rudolf Kirchschläger reiste im Oktober 1983 in die DDR. Die offiziellen Beziehungen entwickelten sich dessen ungeachtet recht unspektakulär, auch wenn das Potential des bilateralen Handels größer gewesen zu sein scheint als das mit anderen westlichen Staaten.

Eine Ausnahme bildete der Ende 1975 abgeschlossene Konsularvertrag, mit dem Österreich offiziell die DDR-Staatsbürgerschaft anerkannte. Die Verhandlungen führten zu Irritationen mit Bonn, stand der Schritt doch im Widerspruch zum Alleinvertretungsanspruch Bonns und zu Artikel 116 des Grundgesetzes. Wien betonte, dass das Abkommen vor allem den Interessen von Bewohnern der DDR mit österreichischer Nationalität gelte. Schätzungsweise bis zu 18.000 Doppelstaatsbürger befanden sich in der DDR, hinzu kamen rund 5.000 österreichische Staatsbürger. Österreich hielt an der Praxis fest, nach der sich auch weiterhin jeder DDR-Bürger in den konsularischen Vertretungen der Bundesrepublik westdeutsche Personalpapiere beschaffen konnte.

Der interessanten Studie ist ein umsichtig zusammengestellter Dokumenten- und Fotoanhang beigegeben; der Staatsbesuch kann hier exemplarisch für die Kontakte Ost-Berlins zu westlichen Staaten interpretiert werden. Leider ist der Text aufgrund des reichlich verwendeten Idiolekts aus DDR-Archivalien nicht frei von Sprachungetümen und Substantivierungen, und auch „Mauerweiler“ finden ihren Platz (Otto Winzer „weilte“ auf Einladung in Wien, ebenso Gerhard Beil, S. 19). Die Interpretation von Konzeptionspapieren des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten der DDR hätte an manchen Stellen kritischer ausfallen können. So taucht die Behauptung, Österreich sei „von allen im Ausland wirkenden DDR-Institutionen als Schwerpunkt“ zu betrachten (S. 21), nahezu wortgleich in „Einschätzungen der auslandsinformatorischen Arbeit“ für andere westliche Staaten auf, zumal in der Nichtanerkennungsphase. Das gilt auch für die Vollzugsmeldung von 1975, nach der nunmehr „die sachliche Darstellung der DDR und ihrer Erfolge“ in Österreich die Debatten dominiere (S. 22).

Die Frage, ob das neutrale Österreich die Beziehungen zur DDR genutzt hat, um sich vom Partner Bundesrepublik abzusetzen und sich zu profilieren, wird auf dem knappen Platz leider nicht diskutiert. Kreiskys ausgezeichnetes, von persönlicher Sympathie geprägtes Verhältnis zu Brandt und Schmidt stand dem wohl entgegen. Das gemeinsame Interesse an der Ausgestaltung der Entspannungspolitik lag dem guten Verhältnis zwischen Wien und Bonn in jener Zeit zu Grunde. Botschafter Bauer räumt indes ein, es habe trotz aller ideologischen Gegensätze eine gewisse „Interessenidentität“ zwischen beiden Staaten gegeben: „Die DDR hatte sich das neutrale, deutschsprachige Österreich als Partner für Entspannung und friedliche Koexistenz in Europa auserkoren. Das paßte durchaus in die aktive Neutralitätspolitik Österreichs.“ (S. 24)

Die deutsche Einheit, sollte sie im europäischen Rahmen und friedlich zustande kommen, fand in Kreisky stets einen Fürsprecher. Das war nicht bei allen Verbündeten Bonns der Fall. Bruno Kreisky starb am 29. Juli 1990, die deutsche Einheit erlebte er nicht mehr. Eine umfassende politische Biographie Bruno Kreiskys bleibt ein Desiderat der Forschung.

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