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Titel
Queen Victoria. Eine Biografie


Autor(en)
Urbach, Karina
Reihe
Beck’sche Reihe 1975
Erschienen
München 2011: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
191 S.
Preis
€ 12,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Detlev Mares, Institut für Geschichte, Neuere / Neueste Geschichte, Technische Universität Darmstadt

Wer hätte gedacht, dass sich eine Biographie über Queen Victoria mit solchem Gewinn und Vergnügen lesen lässt? Ein Buch über eine Matrone, die ihr halbes Leben im Zustand der Trauer über ihren jung verstorbenen Prinzgemahl zubrachte und deren Langlebigkeit über ihre Langweiligkeit nicht hinwegtäuschen kann, so dass am Ende nur ein biographischer Clou zu bleiben scheint: Die Dame gab einem ganzen Zeitalter ihren Namen und war doch selbst politisch bedeutungslos.

Weit gefehlt! Karina Urbach gelingt es zunächst einmal, die Person selbst zu beleben, indem sie der jungen Königin viel Aufmerksamkeit widmet. Das Kind war zu seinem Glück willensstark und durchsetzungsfähig, sonst wäre es vermutlich zerbrochen an der Erziehung, die es „genoss“: Sein Vater, der lasterhafte, cholerische Herzog von Kent, starb 1820, im Jahr nach Victorias Geburt. Die Mutter, eine überforderte Coburgerin, suchte das Kind, das 1830 mit der Thronbesteigung seines kinderlosen Onkels Wilhelm IV. auf Platz Eins der Thronfolge vorrückte, mit Hilfe eigensüchtiger Berater vom Hof fernzuhalten und zum Instrument eigener Interessen heranzubilden. Victoria jedoch durchschaute dies frühzeitig und suchte sich eigene Vertraute. Ein besonderer Verbündeter war dabei der ihr persönlich nur wenig bekannte König, der sich ausdrücklich bis zu Victorias Volljährigkeit ans Leben klammerte, um eine Regentschaft ihrer verrufenen Umgebung zu verhindern. Dieser „Erfolg“ hatte jedoch nicht verhindern können, dass die junge Königin nun auf eine Hofgesellschaft und aristokratische Familien traf, in deren Netzwerke sie nur unzureichend integriert war.

Zeit ihres Lebens suchte sich Victoria daher Vertraute außerhalb dieser Kreise, mochten dies Premierminister, wie Melbourne und Disraeli, oder in ihren späteren Jahren Angehörige der Dienerschaft sein, wie der Schotte John Brown oder der Inder Hafiz Abdul Karim. Dass sie sich dabei bis ins hohe Alter hinein als „Kennerin attraktiver Männer“ (S. 160) erwies, passt zunächst scheinbar gar nicht ins Bild der trauernden Witwe. Es wird aber verständlich, wenn man die Lebenslust bedenkt, die schon die junge Königin ausgezeichnet hatte. Sie fand ihre Erfüllung bei dem smarten Coburger Prinzen Albert, der seinerseits von nicht uninteressierten Kreisen, darunter seinem und Victorias Onkel, König Leopold von Belgien, zum Heiratskandidaten für die Queen aufgebaut worden war. Beide Ehepartner hatten durchaus Probleme damit, für ihr Miteinander passende Rollen zu finden; heftige Auseinandersetzungen blieben nicht aus, bis Albert sich formal im Hintergrund hielt, während sich die Königin faktisch seinem Urteil nicht nur in privaten, sondern auch politischen Fragen immer mehr unterwarf. Auch wenn Victoria sich zeitlebens nur schwer mit ihren zahlreichen Schwangerschaften und ihrer Mutterrolle anfreunden konnte, gab ihr Wunsch nach seelischer und körperlicher Nähe Albert im ehelichen Ringen zwischen einer „Hedonistin“ und einem „Intellektuellen“ eine schlichte, aber starke und gern genutzte Waffe in die Hand: „Liebesentzug“ (S. 60 u. 61).

Albert war es aber auch, der die Weichen für die Umgestaltung der britischen Monarchie im 19. Jahrhundert stellte. Die königliche Familie wurde durch gezielte Presselenkung inszeniert als Hort bürgerlicher Häuslichkeit, der die Aspirationen und Lebensentwürfe des viktorianischen Bürgertums einerseits spiegelte und diese andererseits vorbildhaft präsentieren sollte. Gegenüber der Öffentlichkeit erschien die Monarchie zunehmend entpolitisiert. Anschaulich schildert Urbach aber an ausgewählten Beispielen die Versuche des Königspaars, hinter den Kulissen politischen Einfluss zu gewinnen, wenn dies auch nicht immer von Erfolg gekrönt war. So konnten beide während des Krimkriegs die Auseinandersetzung Großbritanniens mit Russland nicht verhindern. Etwas erfolgreicher war die Opposition gegen Außenminister Palmerston, den die Queen als „Rivalen um die Zuneigung des Volkes“ (S. 113) ausgemacht hatte – zu Recht, sahen sich doch beide als Kristallisationspunkte des patriotischen Bewusstseins in der Bevölkerung.

Der zeitweilige Rückzug der Queen aus der Öffentlichkeit nach Alberts Tod änderte das politische Selbstbewusstsein der Königin nicht grundsätzlich, auch wenn ihre mangelnde Sichtbarkeit ihr viel Kritik und das zeitweilige Aufblühen einer republikanischen Bewegung eintrug. Urbach schildert mit spitzer Feder, wie die Königin ihre reduzierten formalen Einflussmöglichkeiten mehr als wettmachte durch das ständige „Belästigen“ der Premierminister – Briefe, Memoranden und Konsultationen bildeten die Instrumente einer nachhaltigen Zermürbungstaktik, die sogar dem selbstbewussten, von ihr aber wenig geschätzten liberalen Premier Gladstone zusetzten.

Die letzte Phase der Herrschaft Viktorias brachte ihr ein sensationelles Comeback durch die Verschränkung ihrer königlichen Rolle mit dem Stolz der Briten auf das Empire. Das diamantene Thronjubiläum 1897 war ein Fest imperialen Selbstbewusstseins, während die Erhebung zur Kaiserin von Indien 1876 zunächst noch für Spott gesorgt hatte. Hier, wie an anderen Stellen, erweitert Urbach ihre Darstellung zu einer Art kleiner Kulturgeschichte des viktorianischen Zeitalters mit obligater Biographie der Monarchin. Durch diesen Kunstgriff gelingt es ihr, unaufdringlich den neuesten Forschungsansätzen zur Bedeutung der Königin gerecht zu werden: Die Überschreitung des engen biographischen Rahmens erlaubt es, die Monarchin als Reflexionsmedium für die gesellschaftlichen und kulturellen Wandlungsprozesse ihrer Zeit zu sehen. Die Queen lebte nicht nur ihr privilegiertes Leben in Palästen, sondern die modernisierte Monarchie suchte wesentliche Tendenzen der Zeit zu erfassen und darauf zu reagieren. Die Königin wurde daher zu einem wichtigen Bestandteil der Selbstinszenierung des viktorianischen Großbritannien – selbst die oft bespöttelte Witwenkleidung hatte in diesem Inszenierungsspiel ihren „nützlichen Nebeneffekt“ (S. 132): Sie suggerierte persönliche Bescheidenheit und unterstrich damit bürgerliche Werte, sie passte aber auch zum Bild mütterlicher Hinwendung zu allen Bevölkerungsschichten bis hin zu den Untertanen im Empire. Urbach präsentiert diese Zusammenhänge in analytisch scharfsinniger, zugleich oft ironisch funkelnder Prosa; regelrecht bewundernswert ist, wie es ihr gelingt, trotz des knapp bemessenen Raums wichtige Entwicklungen des 19. Jahrhunderts und zentrale Persönlichkeiten – von Dickens über Mill bis Nightingale – in konturierten Vignetten hervortreten zu lassen. Wer hätte gedacht, dass sich eine Biographie der Queen Victoria mit solchem Gewinn und Vergnügen lesen lässt!

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