S. Malfèr: Kaiserjubiläum und Kreuzesfrömmigkeit

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Titel
Kaiserjubiläum und Kreuzesfrömmigkeit. Habsburgische "Pietas Austriaca" in den Glasfenstern der Pfarrkirche zum heiligen Laurentius in Wien-Breitensee


Autor(en)
Malfèr, Stefan
Erschienen
Anzahl Seiten
144 S.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Dr. Andreas Nierhaus, Wien Museum, Wien

Es kommt selten vor, dass sich eine wissenschaftliche Publikation mit sakraler Glasmalerei des späten 19. Jahrhunderts in Österreich–Ungarn beschäftigt, einer Kunstgattung, die im Kontext des katholischen Kirchenbaus der Zeit eine neue Blüte erlebte, künstlerisch jedoch zu keinem Zeitpunkt an ihre deklarierten Vorbilder aus dem Mittelalter heranzureichen vermochte. Vielleicht ist es deshalb kein Zufall, wenn sich – wie im vorliegenden Fall – ein Historiker diesem Thema nähert und dabei eine heute weitgehend fremd gewordene Bilderwelt analysiert und neu erschließt, die aus einer traditionellen, stil- und entwicklungsgeschichtlich orientierten kunsthistorischen Perspektive wohl kaum auf Interesse stoßen würde.

In einem schmalen, reich mit – dem Gegenstand adäquaten – Farbabbildungen ausgestatteten Band präsentiert der Historiker Stefan Malfèr ein bemerkenswertes Beispiel historistischer Glasmalerei in Wien, das bislang der kunsthistorischen Aufmerksamkeit entgangen ist. In der 1896–98 erbauten Pfarrkirche zum heiligen Laurentius in Breitensee, einem Teil des 14. Wiener Gemeindebezirks, hat sich im Chor und den beiden Querhausapsiden ein umfangreicher Zyklus von Glasgemälden erhalten, der sich durch seine Ikonographie von der Massenproduktion jener Zeit deutlich absetzt: Das zentrale Thema ist die Kreuzesfrömmigkeit des Hauses Habsburg im Kontext der seit der Gegenreformation politisch instrumentierten „Pietas Austriaca“ – ein für eine Vorstadtpfarre zunächst ungewöhnlich scheinender Zuschnitt.

Malfèr führt den Leser behutsam und gut verständlich Schritt für Schritt in die Geschichte des Kirchenbaus und seiner Glasgemälde ein, sodass auch die strikt quellenbasierte methodische Herangehensweise des Autors transparent wird. Der Bau der Kirche, die einen bescheidenen Vorgängerbau des 18. Jahrhunderts ablöste, war bereits 1886 durch die Gründung eines Kirchenbauvereines vorbereitet worden. Das Dorf Breitensee lag damals noch außerhalb Wiens und wurde erst 1892 im Zuge der Vereinigung Wiens mit seinen Vororten Teil der vergrößerten Reichshaupt- und Residenzstadt. Anlass für den Kirchenbau war also vor allem das starke Bevölkerungswachstum, aufgrund dessen die Seelsorge in der kleinen Laurentiuskapelle nicht mehr gewährleistet werden konnte. Man befürchtete nichts weniger als die „gesellschaftliche Verwahrlosung der Bevölkerung“ (S. 15) – der Kirchenbau hatte also auch eine besondere gesellschaftspolitische Dimension. Die treibende Kraft hinter dem Neubau war der seit 1876 in Breitensee wirkende Kleriker Ferdinand Ordelt, unterstützt wurde er vom Breitenseer Baumeister Ludwig Zatzka, der später auch die Entwürfe für die Kirche liefern sollte, sein Bruder Hans war an der malerischen Ausstattung beteiligt. 1893 wurde der Beschluss gefasst, die Kirche bis zum Jahr 1898, dem fünfzigsten Thronjubiläum Kaiser Franz Josephs, zu vollenden. Den Ehrenschutz übernahm Erzherzogin Marie Valerie, die jüngste Tochter des Kaiserpaares. Die Breitenseer Pfarrkirche zählte damit zu einer jener zahlreichen Initiativen im gesamten Gebiet der Monarchie, mit denen dem außergewöhnlichen Kaiserjubiläum in Form von sakralen, karitativen oder gemeinnützigen Bauten sowie Stiftungen ein bleibendes Monument errichtet werden sollte (S. 17). In der Kirche, die schließlich rechtzeitig am 8. Oktober 1898 im Beisein des Kaisers eingeweiht werden konnte, wurde nicht nur durch eine eigene Kaiser–Jubiläums–Kapelle im südlichen Querschiff des besonderen Anlasses gedacht, sondern auch durch die Ikonographie der – 1898 allerdings noch keineswegs vollendeten – Glasmalereien in den insgesamt neun zweibahnigen Maßwerkfenstern der drei Apsiden. Sie sind der eigentliche Gegenstand von Malfèrs Forschungen.

Die Glasmalereien wurden zwischen 1897 und 1900 von Firmen in Grottau (Böhmen) und Wien angefertigt – ein Umstand, der die großen kompositorischen und stilistischen Unterschiede zwischen den einzelnen Fenstern erklären mag. Wichtiger dürfte den Auftraggebern aber ohnehin die Einheitlichkeit des von Ferdinand Ordelt entworfenen Bildprogrammes gewesen sein. Das Thema des Kreuzes wird in der Hauptapsis mit Szenen aus der Passion Christi angeschlagen und in den beiden Querschiffen in direkte Verbindung zum Haus Habsburg gebracht: Hier nun finden sich Darstellungen, die die Kreuzesfrömmigkeit des Herrscherhauses illustrieren und in einem größeren religions- und herrschaftsgeschichtlichen Kontext verorten sollen. Die unmittelbar auf die Habsburger bezogenen Szenen zeigen König Rudolf I. (Vereidigung der Kurfürsten auf das Kreuz), Kaiser Karl V. (Tunis–Feldzug), Erzherzog Ferdinand III., den späteren Kaiser Ferdinand II. (Gebet zum Kreuz) und Kaiser Leopold I. (Gebet zur Gottesmutter anlässlich der Türkenbelagerung 1683). Der hohe religionspolitische Anspruch – zugleich ein Spiegel des Selbstverständnisses des Hauses Habsburg – wird besonders im mittleren Fenster der Kaiserkapelle deutlich: Hier sind, begleitet von den Wappen Österreichs und Ungarns, Kaiser Franz Joseph und Kaiserin Elisabeth in Porträtmedaillons im Kirchenraum anwesend, über ihnen Standbilder König Stephans I. von Ungarn und eines Diakons – eine Anspielung auf die Christianisierung Ungarns – und darüber schließlich die Kreuzesvision Kaiser Konstantins. Der römische Kaiser wird hier zugleich auf eine Stufe mit Rudolf I. und dem späteren Kaiser Ferdinand II. gestellt, die links und rechts auf derselben Höhe in den Fenstern erscheinen.

Nach einer ausführlichen Beschreibung der Ikonographie macht sich Malfèr auf den Weg zu den literarischen Vorlagen dieser eigenwilligen Zusammenstellung, die er im populären Schriftgut und in den für den Schulgebrauch verfassten Geschichts- und Lesebüchern jener Zeit ausfindig macht. Wie diese Texte zeigen, war der Grundgedanke der „Pietas Austriaca“, so Malfèr, damals „tief ins Bewusstsein der Bevölkerung eingesickert“ (S. 72), die heutigen BetrachterInnen rätselhaft erscheinenden Dar- und Zusammenstellungen in den Glasfenstern also auch allgemein verständlich; der Autor beschreibt aber auch, wie schnell dieser Themenkreis, immerhin bis zuletzt konstituierend und zugleich sinnbildlich für das machtvolle Verhältnis von Thron und Altar in der Donaumonarchie, nach dem Ende der Monarchie in Vergessenheit geriet (S. 74–76).

Im letzten Kapitel behandelt Malfèr die möglichen Bildquellen, auf die sich die Darstellungen der Glasfenster stützen – angesichts unseres nach wie vor lückenhaften Wissens über die Produktionsbedingungen in den Glasmalereianstalten jener Zeit ein schwieriges und riskantes Unterfangen. Die Passionszyklen Joseph Führichs, die Malfèr als Vorbilder namhaft macht, dienten wohl ebenso wenig als unmittelbare Anregung, wie die in zeitgenössischen Illustrationen und Historiengemälden behandelten Themen aus dem Bereich der „Pietas Austriaca“, sondern waren vielmehr bereits Teil des allgemeinen Bilderreservoirs, aus dem auch die – die bis auf einen durch seine Signatur bekannten gewissen Johann Wirnstl unbekannt gebliebenen (S. 32) – Maler der Breitenseer Glasfenster für ihre Entwürfe schöpfen konnten. Berninis Konstantin in der Vorhalle von St. Peter in Rom oder Paul Strudels Kaiser Leopold an der Wiener Pestsäule schließlich taugen bestenfalls als formal durchaus weit entfernte ikonographische Ahnen der entsprechenden Darstellungen in Breitensee, ohne einen direkte künstlerische Bezugnahme erkennen zu lassen.

Als Zyklus, so Malfèr am Ende seiner Ausführungen, sind die Breitenseer Fenster tatsächlich einzigartig. Sie sollten nach den Worten Ferdinand Ordelts den Gläubigen zeigen, „wie die erhabenen Kaiser aus dem Hause Habsburg das Kreuz geehrt, bei demselben Trost und Hilfe gesucht und für dasselbe gekämpft haben“ (S. 95). Mit den Szenen in den beiden Querschiffen war das Herrscherhaus in äußerst prominenter Form und Position dauerhaft im Kirchenraum präsent, die Kaiserkapelle tat ein Übriges. Aus kunsthistorischer Perspektive freilich spiegelt der Zyklus das Dilemma der Glasmalerei des Historismus wider, die eine mittelalterliche Kunsttechnik wiederzubeleben trachtete, ohne sich ihrer künstlerischen und medialen Kriterien bemächtigen zu können oder zu wollen. Darauf geht Malfèr nicht ein; die Diskrepanz von mediokrer künstlerischer Qualität und bedeutender, hochpolitischer Themenwahl wäre jedoch weiterer Überlegungen zur Problematik des Stellenwertes sakraler Kunst im Historismus wert.

Malfèrs exemplarische und profunde Studie zeigt, dass es anderer als rein stil- und entwicklungsgeschichtlicher Parameter bedarf, um der religiösen Auftragskunst jener Zeit beizukommen und ihre historisch–politische Tragweite für die Gegenwart verständlich zu machen. Sie zeigt aber auch die äußerst begrenzte Halbwertszeit solcher Bildsetzungen: Wenn scheinbar ewige Mächte wie die Allianz von Thron und Altar unter dem Druck politischer Umwälzungen plötzlich obsolet werden, dann werden im nächsten Schritt nicht nur die entsprechenden Darstellungen irrelevant und schließlich unverständlich; auch das in diesem Fall nicht zuletzt mithilfe der besonderen Eigenschaften des Mediums Glasmalerei transportierte, übertriebene Pathos der Bilder wird schal und hohl.

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